Klimaschutz:Drahtseilakt

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Früher hatte Lützerath, 60 Kilometer westlich von Köln, etwa 100 Einwohner. Heute sind hunderte Protestierende dort – und noch mehr Polizisten. Sie sollen das Dorf räumen, also die Menschen aus den Gebäuden und Baumhäusern wegtragen, damit die Kohle unter dem Dorf gefördert werden kann. (Foto: dpa)

In Lützerath bei Köln eskalieret gerade der Kampf ums Klima. Zu Besuch in einem Dorf im Ausnahmezustand.

Von Britta Röös

Was macht die da oben?

Protestieren. Das hört man auch. Oft ist da zunächst ein leises Klicken. Das Geräusch kommt vom Einhängen der Karabiner, mit denen sich Demonstrierende an Seilen hoch über dem Boden von Lützerath festmachen und auf ihnen von einem Baumhaus zum nächsten laufen. Sie verschanzen sich so weit oben, damit es schwieriger für die Polizei ist, sie wegzutragen. Ansonsten ist die Geräuschkulisse sehr gemischt: Mal hört man Wind durch Blätter rauschen, mal Protestgesänge, manchmal Bagger oder Kettensägen. "Lützi bleibt", "Klimaschutz ist kein Verbrechen" oder Lautsprecherdurchsagen der Polizei. Andere singen, spielen Geige oder Gitarre.

Warum hacken die da Holz?

Ernsthaft? Klimaschützer hacken Holz? Sie tun das, damit es nicht zu ungemütlich wird: In den vergangenen Tagen hat es viel geregnet, der Boden ist nass und rutschig. Damit das Laufen einfacher ist, haben Unterstützer des Protests Wege aus Holzplatten oder Matten auf den Boden gelegt. An großen Lagerfeuern wärmen sie sich auf. Wer fürs Hacken zuständig ist, wird täglich neu geplant. Dazu treffen sich die Menschen morgens in einem blau-weiß gestreiften Zirkuszelt und verteilen Aufgaben: Küchendienst, Desinfektionsspender nachfüllen, Holzhacken, Abspülen. Weniger beliebt ist die "Shitbrigade", die für das Leeren der Klos zuständig ist.

Wie riecht es dort?

Gerade vor allem nach Matsch und feuchter Erde. Ansonsten kommt es darauf an, wo man ist: Das Protestcamp wurde in dem verlassenen Dorf Lützerath errichtet und grenzt an die Abbruchkante. Also dort, wo es bis zu 210 Meter nach unten geht. Der Auftrag der Polizei ist es, die Menschen dort wegzubringen, weil die Braunkohle unter dem Dorf geschürft werden soll. Ob das nötig ist, darüber wird viel gestritten. Die Protestierenden und ein wissenschaftliches Gutachten sagen: Nein. Der Energiekonzern RWE und die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hingegen sagen, dass die Kohle in der aktuellen Energiekrise benötigt wird und gefördert werden muss. Genau das wollen die Protestierenden verhindern. Sie verbarrikadieren sich in den verlassenen Gebäuden und auf selbstgebauten Baumhäusern. Etwa 40 Minuten zu Fuß entfernt liegt das Ausweichcamp. Die Menschen dort unterstützen den Protest, scheuen aber den direkten Kontakt mit der Polizei. Dort riecht es vor allem nach Kaffee, Kartoffellauchsuppe und Lagerfeuer. Es sei denn, man kommt in die Nähe der selbstgezimmerten Trennklos ...

Gibt es da auch Pommes?

Die nächste Pommesbude ist ganz schön weit weg. Zu Fuß, aber auch gedanklich: Es dreht sich alles um den Protest, Essen ist in den Camps eher Nebensache. Hauptsache, es macht lange satt und ist leicht in großen Mengen zuzubereiten. Morgens gibt es Haferbrei oder Brot, mittags meist Suppe oder Eintopf und abends noch mal ein warmes Gericht. Außerdem können sich die Unterstützer immer Kaffee, Kräutertee und warmes Wasser für Wärmflaschen holen. Wer nicht ohne Pommes kann, muss etwa sieben Kilometer bis zum nächsten Ort laufen.

Wozu die Glitzerfinger?

Viele Aktivistinnen und Aktivisten möchten aus Angst vor Strafverfolgung nicht erkannt werden. Sie verraten ihre Namen und ihr Alter nicht, lassen ihre Ausweise zu Hause, ziehen sich Schals bis unter die Nase und Mützen bis kurz über die Augen. Manche kleben sich außerdem Glitzer auf die Hände, um ihre Fingerabdrücke zu verfälschen. Das macht es für die Polizei schwieriger, sie zu identifizieren.

Wie wird das Wochenende?

Diese Woche waren in Lützerath täglich etwa 1500 Polizisten im Einsatz. Am Wochenende wollen sie die Räumung des Dorfs vorantreiben. Die Klimaschützer haben Widerstand angekündigt - mit Barrikaden, Klebeaktionen und Sitzblockaden. Für Samstag planen sie eine große Demonstration, zu der sogar Greta Thunberg kommen will. Wahrscheinlich wird es auch wieder Dorfspaziergänge geben, vorige Woche waren mehr als 3000 Leute dabei. Bei dem Protest geht es auch um Zeit: Am 1. März endet die Rodungssaison. Ist Lützerath bis dahin nicht geräumt, darf RWE erst von Oktober an wieder Bäume fällen und weiterbuddeln.

© SZ vom 14.01.2023 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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