Klettersport:"Der Alpinismus lebt vom Risiko"

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Heinz Mariacher machte schon früh durch riskante Alleinbegehungen auf sich aufmerksam. Ein Gespräch über die Wandlungen beim Klettersport.

Dominik Prantl

Schon der Wohnort erzählt eine Menge über den Abenteurer und Alpinisten Heinz Mariacher: Der 53-Jährige lebt mit der ehemaligen italienischen Wettkampfkletterin Luisa Jovane am Karerpass inmitten der Dolomiten, abseits der großen Menschenmassen. Mariacher machte dort schon früh durch riskante Alleinbegehungen auf sich aufmerksam, erschloss Anfang der achtziger Jahre unter anderem die ersten Routen in Arco sowie zahlreiche Routen der Ostalpen.

Noch heute ist der 53-jährige Heinz Mariacher gerne in den Dolomiten unterwegs, am liebsten in Routen mit großen Abständen zwischen den Sicherungen, weil da auch "adrenalinmäßig was geboten ist". (Foto: Foto: oh)

Die Linie "Moderne Zeiten" in der Marmolada-Südwand der Dolomiten, die er 1982 durchstieg, gilt noch immer als bahnbrechend; als Sportkletterer bewältigte er Touren im zehnten Schwierigkeitsgrad. Ein Gespräch über die Ethik und Veränderungen des Klettersports.

SZ: Herr Mariacher, Sie gelten in der Kletterszene als einer der letzten Rebellen. Sind Sie denn so ein schlimmer Aufwiegler?

Mariacher: Überhaupt nicht. Ich sage nur ab und zu, was ich denke. Vielleicht ist das ungewohnt, weil wir in Zeiten des Konformismus leben.

SZ: Ist Ihnen "Mann der ersten Stunde des Sportkletterns" denn lieber?

Mariacher: Eigentlich habe ich auch nichts gegen Rebell. Vielleicht rührt mein Ruf bloß daher, dass ich einer der letzten aus meiner Generation bin, die noch aktiv klettern. Ich habe ja schon 1967 mit dem Gebirgsklettern und 1980 im Yosemite mit dem Sportklettern angefangen.

SZ: Was war damals anders?

Mariacher: Es war nicht nur die absolute Neuigkeit, auch unser Hintergrund war ein anderer. Wir kamen als Alpinisten aus dem Gebirge und waren das Risiko gewohnt. Es war gewissermaßen Bestandteil der Schwierigkeit. Eine schwierige Stelle war immer auch eine riskante Stelle.

Mit dem Sportklettern wurden Routen besser abgesichert, indem alle paar Meter ein Haken eingebohrt wurde. Dort sind schwierige Stellen ein rein klettertechnisches Problem, eine Arbeitsfrage. Es gibt keine Fragezeichen mehr.

SZ: Sicherheit ist doch nichts Verwerfliches. Sie selbst haben in Arco am Gardasee damit angefangen, Haken einzubohren und damit die Entwicklung hin zum sicheren Sportklettern mit eingeleitet.

Mariacher: Dafür schäme ich mich auch (lacht). Nein, im Ernst, ich war früher ein knallharter Bohrhakengegner, aber der Bohrhaken hat uns die wirklich schönen Felsen erst eröffnet, weil man im kompakten Fels meist oft keine anderen Sicherungen legen konnte. Mittlerweile kann sogar ich mich über Bohrhaken freuen.

SZ: Moment, Sie freuen sich über die kletterethisch so verpönten Bohrhaken? Wo ist denn da der risikobereite Mann der ersten Stunde, der angeblich gegen den Fortschritt rebelliert?

Mariacher: Das würde ich nie tun! Anders als beim Alpinklettern ergeben Bohrhaken beim Sportklettern ja Sinn. Ich bin immer noch kein Sicherheitsfanatiker, doch gibt es beim reinen Sportklettern nun einmal die Kletterstellen mit dem interessantesten Bewegungsablauf. Das reizt auch mich mittlerweile oft mehr als eine lange Wand.

SZ: Aber Sie finden doch auch, dass in den Bergen der Alpen generell schon zu viele Haken stecken?

Mariacher:: Für mich geht es in den alpinen Wänden nach wie vor darum, eine Linie zu finden, die der Fels anbietet. Und es geht um die Überwindung, ohne Sicherheitsreserven ins Ungewisse zu klettern. Bohrhaken nehmen diese Überwindung und zwingen zugleich dem Fels eine Linie auf. Vielen jungen Kletterern fehlt dadurch heute das Auge für natürlich vorgegebene Linien.

SZ: Sie selbst haben 1986 eine Route in der Marmolada-Nordwand eingebohrt. Sind Sie sich untreu geworden?

Mariacher: Ich bin flexibler geworden. Damals hat mich dieser Stil als Experiment interessiert. Um einen Konflikt mit bestehenden Regeln zu vermeiden, habe ich extra eine Wand gesucht, in der es keine anderen Routen, vor allem keine historischen gab. Man muss klassischen Wänden und Routen ihren Charakter lassen.

SZ: Ehrlich gesagt, wirkt diese in der Kletterszene mit Verve geführte Diskussion um den Einsatz von Bohrhaken auf Außenstehende etwas, nun ja, abstrakt?

Mariacher: Klar. Deswegen ist es für einen Kletterprofi, der immer nur Bestleistungen und Schwierigkeiten verkaufen muss, auch so schwer zu erklären, dass er beispielsweise eine Acht mit selbst gelegten Sicherungen geklettert ist, während der andere nebendran in einer mit Bohrhaken versehenen Route eine Elf schafft. Die höheren Schwierigkeitsgrade sind nicht nur dem allgemein höheren Kletterniveau zu verdanken, sondern auch der Verminderung des Risikofaktors.

SZ: Worum geht es Ihnen beim Klettern heute denn?

Mariacher: Es geht nicht um Schwierigkeitsgrade, auch weniger um das rein Athletische, sondern um die Schönheit einer Route, die Einzigartigkeit einer Linie und die Ruhe am Fels. Klettersteige haben für mich mit dem Bergsteigen beispielsweise gar nichts zu tun, weil die nur weitere Touristen anlocken sollen.

Ich liebe immer noch Sportkletterrouten mit großen Hakenabständen, Situationen, in denen der Ausweg nur in einer "Flucht nach oben" besteht. Da ist adrenalinmäßig was geboten, ohne das Leben zu riskieren. Heute sind viele junge Kletterer nur auf Schwierigkeitsgrade fixiert und dann ständig am Fluchen, weil sie ihre eigenen Erwartungen nicht erfüllen.

SZ: Gefällt Ihnen überhaupt einer der jüngeren Alpinisten?

Mariacher: Ueli Steck. Der probiert öfter eine Route, ohne dass ein Gipfelerfolg nahezu garantiert ist.

SZ: Er geht teilweise ein extrem hohes Risiko ein.

Mariacher: Ja. Aber das ist der Stil von früher und zugleich die Zukunft. Der Alpinismus lebt vom Risiko. Ohne Risiko stirbt auch die Faszination.

© SZ vom 04.06.2009/gdo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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