Historie:Pfeif drauf

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Vor vierzig Jahren schufen Monty Python ein Meisterwerk: "Das Leben des Brian". Unsere Autoren erzählen, was sie aus dem Film gelernt haben.

Von SZ-Autoren

Jeder nur ein Kreuz: Szene aus "Das Leben des Brian". (Foto: RTL II)

Verstecken lernen

Die Zentrale der Volksfront von Judäa ist bekanntlich eine winzige Bruchbude mit einem Balkon, der wirkt wie aus Zahnstochern gebaut. Es ist ziemlich schwierig, auf diesen geschätzt zwölf Quadratmetern nicht entdeckt zu werden, wenn ausgerechnet während einer konspirativen Sitzung eine römische Patrouille zur Hausdurchsuchung anrückt. Aber na ja, echte Profis finden eben auch auf kleinem Raum gute Verstecke. Sehr effektiv ist es zum Beispiel, sich ein Tuch über den Kopf zu legen und damit einfach gerade im Raum stehen zu bleiben. Oder unter einen Stuhl zu kriechen. Auch ein kleiner Strohkorb in der Ecke ist eine ziemlich sichere Zuflucht für einen erwachsenen Mann. Die 15 martialisch in den Raum gehoppelten Römer jedenfalls können gegen so viel Tarnung nichts ausrichten und ziehen nach erfolgloser Suche wieder ab. Und als sie kurz danach noch mal kommen und ganz genau nachsehen, finden sie im ganzen Raum lediglich einen verdächtigen Löffel. Der militärisch zackig gesprochene Satz "Hab den Löffel gefunden, Herr!" ist in den Kanon jener Sätze eingegangen, die man immer zu jemandem sagen kann, der einem erwartungsvoll entgegenkommt. Und was die "Kunst des Nichtgesehenwerdens" angeht, der hat Monty Phyton noch eine ganze Reihe gewidmet: In diesen Sketchen werden die Versteckten dann allerdings trotz ihrer sehr guten Verstecke letztlich immer enttarnt und zur Strafe in die Luft gesprengt. Max Scharnigg

Latein lernen

Eine tote Sprache lernen kann sich sehr lebendig anfühlen, kennt man ja: wie der Lokativ das Blut in Wallung bringt. Es ist deshalb nur logisch, dass die Latein-Szene in "Das Leben des Brian" mit dem zu Recht gestrengen Zenturio und dem ja doch recht schludrigen Brian darin gipfelt, dass der Zenturio von Brian vehement den Lokativ von domus einfordert, und zwar so, wie es sich gehört: mit gezücktem Schwert. "Romanes eunt domus" stümpert Brian mit dem Pinsel auf die Palast-Mauern, also bitte: "Menschen genannt Romanes gehen das Haus!?!" Der Vokativ Plural von Romanus lautet natürlich Romani, und wenn Brian aufgefordert wird, das Verb "ire", gehen, zu konjugieren, dann konjugiert vor dem Fernseher der Inhaber des Großen Latinums (allein die Bezeichnung signalisiert Erhabenheit, den Zusatz "Groß" gab es in keinem anderen Schulfach) innerlich mit: eo, is, it, imus, itis, eunt. Eunt ist also dritte Person Plural, Präsens, Indikativ, sie gehen, was hier aber falsch ist, weil "Römer geht nach Hause" ein Befehl ist. Richtig ist also der Imperativ Plural: ite. Schließlich domus: Das ist der Nominativ, was ebenso falsch ist, schon wieder, meine Güte, idiotus maximus, "Römer geht nach Hause" ist eine Bewegung auf etwas zu. Deshalb ist hier der Lokativ richtig. Domum. Latein lernen war oft so wie im Film. Verzweifeltes Raten, schweißnasse Hände, ein Schwert an der Kehle (oh ja, die Lateinlehrer in den Neunzigern hatten Schwerter, die sie dauernd zückten), stotterndes Stochern im Nebel zwischen Akkusativ, Dativ und Imperativ, bis hin zur finalen Bestrafung, die im Film exakt so ausfällt wie in Echt: "Das schreibst du jetzt hundert Mal." Wusste Seneca schon: Non vitae, sed scholae discimus. Michael Neudecker

Das Verbotene lieben lernen

Ein Gymnasium im Fränkischen. Achtzigerjahre. Es gab diese SMV-Tage: Schulfeste, gestaltet von der Schülermitverwaltung. Die SMVler waren Leute aus der Oberstufe, alternativ, engagiert, in allem schon ein Stückchen weiter. Dass sie eines schönen SMV-Tages die Vorführung des Films "Das Leben des Brian" angesetzt hatten, wäre heute wohl vergessen, wenn damals nicht der Schuldirektor höchstpersönlich eingeschritten wäre, um den Film quasi in letzter Minute zu verhindern. Eine akute Sicherheitsmaßnahme, vollzogen ohne große Begründung im Eingreiftruppengestus. Als gelte es, die Schule vor etwas Bösem zu bewahren. Vor dem Bösen. Der Begriff "Gotteslästerung" machte die Runde. Sich nicht selber ein Urteil bilden zu dürfen, war eine nachdrückliche Erfahrung. Sie hat das Interesse an diesem Werk enorm geschürt und bleibt für immer damit verbunden. Ich hatte bis dahin nichts über den Film gewusst, außer dass er kreuzlustig sein soll, "a Gaudi", fabriziert von derselben Spaßguerillatruppe, die schon "Die Ritter der Kokosnuss" losgelassen hatten. Die ich gar nicht mal mochte, trotz Kultverdacht. Ehrlich gesagt: Auch vom "Leben des Brian" bin ich später nie ein Fan geworden. Zu bibelklamaukig. Zu kreischig. Pennälerhumor. Das liegt vielleicht an meinem Katholiken-Gen. Trotzdem würde ich den Film immer verteidigen. Weil er uns verboten war. Christine Dössel

Die "Volksfront von Judäa" mit Eric Idle (li.), John Cleese, Michael Palin und Sue Jones-Davies. (Foto: Handmade Films/RTL 2)

Paradoxes lernen

Viel später, im Soziologiestudium, sollte der Individualismus eine große Rolle spielen. Den Begriff ernst zu nehmen fiel jedoch schwer, wenn man bei dem Wort jedes Mal an Brians Rede zu seinen Jüngern denken musste: "Ihr seid doch alle völlig verschieden", rief er da verzweifelt in die Menge, die ihm kollektiv zustimmte. Nur ein Mann sagte: "Ich nicht." Das hörte sich zunächst wie ein leichter, kleiner Witz an. Aber es war tatsächlich ein schwerer, großer Gedanke, der den jungen Zuschauer noch lange nach Abspann verfolgen sollte. Als Kind habe ich einige Gags verstanden (Otternasen als antiker Snack, hihi), andere überhaupt nicht. So wusste ich nicht, warum der Name "Inkontinenzia" lustig sein sollte oder ein verschwurbelter Satz wie "Religion ist, glaube ich, der Katalysator zwischen den sublimierten Interessen und dem Status Quo" (die Vorlage für diese Parodie habe ich, wie gesagt, erst viel später studiert). Aber das mit dem Verschiedensein war etwas Eigenes, etwas zum Rätseln: ein Paradox. Der Mann hebt sich als Individuum von dieser Masse aus Individuen ab, indem er sagt, er sei eben kein Individuum. Er folgt Brians Lehre, indem er ihr widerspricht. Eigentlich kapiere ich es heute noch nicht ganz. Martin Wittmann

Toleranz lernen

Im Alltag unserer Familie wurde vom katholischen Glauben nur unregelmäßig Gebrauch gemacht, in die Kirche gingen wir an den hohen Feiertagen, und der Rosenkranz meiner Altöttinger Omi baumelte mehr zu Dekorationszwecken neben meiner Nachttischlampe. Aber dass mein Vater in direkter Nachbarschaft zur schwarzen Madonna groß geworden war, ist natürlich nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Ich jedenfalls erinnere mich gut an das erste Mal, als wir Mitte der Neunzigerjahre gemeinsam "Das Leben des Brian" sahen. Ich war bereits bestens mit dem Film vertraut, zwei ältere Freundinnen hatten mich früh herangeführt, deshalb konnte ich das Werk in weiten Teilen auswendig wiedergeben. Mein Vater aber kannte Brian aus Judäa noch nicht, und bereits bei der sehr lustigen Szene mit der Bergpredigt ("Gepriesen sind die Skifahrer!") bemerkte ich eine gewisse Anspannung, die in ein heftiges Stirnrunzeln beim Wunder des Wacholderbuschs überging und in einem leisen Stöhnen bei der Pfeiferei auf dem Kreuzigungshügel mündete. Weil ich dreizehn Jahre alt war, fand ich die religiöse Empfindlichkeit meines Vaters uncool - und er meine Begeisterung ziemlich unsensibel. Sollte er denn selbst als liberaler und toleranter Christ wirklich darüber lachen, wie jemand ein Holzkreuz durch die Straßen schleppt? Heute würde ich sagen, das war einer dieser Abende, an denen Eltern und Kinder lernen, sich gegenseitig auszuhalten. Das nächste Mal schaute ich "Das Leben des Brian" lieber auf dem Fernseher im Keller. Katharina Riehl

Pfeifen lernen

Die Lippen zum Kussmund gespitzt, tief Luft geholt und ... Nein, anwesenden Damen musste nicht angst und bange werden. Es ging nicht ums Küssen, es ging ums Pfeifen, und das mitten auf der Tanzfläche. Anfang der Neunzigerjahre war das Pfeifen plötzlich Sache derer, die bei "Ministry of Silly Walks" sofort an ein im Stechschritt nach vorne geschleudertes steifes Bein denken. Britischer Humor eben, genauer: die Ursuppe des schwarzen Humors von der Insel. Monty Python. Es ist der gesungene Optimismus eines Gekreuzigten (Eric Idel), der am Ende des Films "Life of Brian", den wohl berühmtesten Kreuzigungs-Song aller Zeiten anstimmt: "Always look on the bright sight of life, badamm . . . badamm, badamm, badamm" solidarisiert nicht nur das eingeweihte Partyvolk. Der Song steht auch für ein Lebensgefühl, bei dem es vollkommen Okay ist, auf einer angesagten Privatfete genauso wie in der Dorfdisse einfach darauf los zu pfeifen. Einen Hype erfuhr das Lied aber erst zwölf Jahre nach dem Debüt. Es heißt, die berüchtigten englischen Fußballfans hätten das Lied zur inoffiziellen englischen Nationalhymne erkoren und so dem Pfeifkonzert aus "Always look on the bright side of life" zu Berühmtheit verholfen. Das Resultat war Platz drei in den deutschen wie in den UK-Singlecharts im Jahr 1991. Eigentlich zeigt dieses Lied und erst recht der Film, wie vergänglich alles ist, auch das eigene Dasein. Das ist vielleicht der Grund, warum der Song laut einer Studie aus dem Jahr 2014 einer der beliebtesten Beerdigungssongs in Großbritannien war. Also: Pfeif drauf! Andreas Gericke

Spalten lernen

Wer das "Leben des Brian" als Jugendlicher gesehen hat, als der Film 1980 in die deutschen Kinos kam, reagierte womöglich eher auf den Klamauk als auf die Intelligenz und die Weitsicht, die hinter den Gags steckte. So sind die Grabenkämpfe zwischen der "Judäischen Volksfront" und der "Volksfront von Judäa" nicht nur lustig anzuhören, sondern auch eine Blaupause für alles, was man an Kleingeistigkeit in Kleingruppen bis heute erleben kann. Brian will bei der "Volksfront von Judäa" mitmachen, die inhaltlich kaum von der "Judäischen Volksfront" zu unterscheiden ist. Ein Rädelsführer der Volksfront fragt daraufhin, ob dieser die Römer auch richtig hasst. Brian bejaht, aber der Rädelsführer macht noch einen schlimmeren Feind aus: "Hör zu, es gibt Typen, die wir noch mehr hassen als die Römer: diese verfluchten Judäischen Volksfront-Mistkerle". Das Ziel der Judäischen Volksfront wie auch der Volksfront von Judäa ist die Befreiung von den übermächtigen Römern. Beide Gruppen könnten und sollten in ihrem Widerstand vereint sein. Doch noch mehr als den gemeinsamen Feind hassen sie ihre Ähnlichkeiten, weil Menschen das, was ihnen nah ist, vergleichen können - und es deswegen oft umso inbrünstiger am anderen kritisieren. Trotzkisten hassen Leninisten, Manager neiden sich gegenseitig die Villa, Alt-Feministinnen erklären Jung-Feministinnen, wo sie überall falsch liegen, und umgekehrt. Eine Krähe hackt der anderen sehr wohl ein Auge aus. So reicht die Karikatur des Konflikts der vergleichbaren Interessensgruppen aus "Das Leben des Brian" bis in die Jetztzeit. Und dafür muss nicht mal vom Brexit die Rede sein. Wer sehen will, wie weitsichtig Monty Python damals waren, muss nur einen Tag die Diskussionen verfolgen, die Journalisten untereinander auf Twitter führen. Sobald die Impulskontrolle entfällt und die berufsbedingte Rechthaberei durchschlägt, sitzt kaum mehr jemand im gleichen Boot, stattdessen drücken sich alle in Nussschalen von Nischenmeinungen zusammen und feuern auf die Nachbarschalen. David Pfeifer

Gendern lernen

Der Humor von Monty Python ist von politischer Korrektheit so weit entfernt wie Brian von der Heiligsprechung durch die katholische Kirche. Juden, Behinderte, der Papst - alle fallen dem bizarren Witz der Briten zum Opfer, ohne Rücksicht. In Frauenfragen waren die britischen Komiker auch nicht gerade zimperlich. Wenn in den Sketchen eine weibliche Figur auftrat, dann meistens das blonde, sexy Dummchen - oder die alte Verrückte, verkörpert von einem der Pythons in Frauenkleidern. In "Das Leben des Brian" spielt Graham Chapman die Mutter des Pseudo-Heilands. Frauen kleben sich Bärte an, um als Männer an einer Steinigung teilnehmen zu können. Lauter Beispiele für sexistischen Altherrenhumor? Nein, die Monty Pythons waren ihrer Zeit weit voraus, lange vor den Gender-Diskussionen unserer Zeit. Stan sagt, er wolle eine Frau sein und "Loretta" genannt werden. Begründung: "Jeder Mann hat das Recht, Babys zu haben, wenn er sie haben will." Darauf Reg, der Anführer: "Aber du kannst keine Babys haben." - "Unterdrücke mich bitte nicht." - "Ich unterdrücke dich überhaupt nicht, Stan. Aber du hast keine Mumu, und du hast auch keine Gebärmutter. Wie soll denn das funktionieren? Willst du's in 'ner Zigarrenkiste aufheben?" Am Ende einigen sich die Revolutionäre darauf, dass jeder Mann das Recht hat, Babys zu kriegen - "symbolisch für sein Ringen gegen die Realität". Titus Arnu

Optimismus lernen

Brexit, Trump, Putin, Wohnungsnot, Altersarmut, irgendwas ist immer, weswegen man an der Welt verzweifeln könnte, weswegen man morgens im Bett liegt und denkt: Alles ist schlecht. In "Das Leben des Brian" gibt es eine Szene, in der sich die Volksfront von Judäa trifft, sie wollen in den Palast von Pontius Pilatus einbrechen. Zuerst besprechen sie ein paar organisatorische Dinge. Den Weg. Unterirdisches Heizungssystem, Audienzzimmer, Schlafzimmer von Pilatus' Frau. Dann beschwören sie das Feindbild: die Römer. Die Römer, fängt einer an, haben ihnen alles genommen, und genau genommen auch schon ihren Vätern, (und ihren Väter-Vätern, und ihren Väter-Väter-Vätern). Frage an alle: "Was haben sie dafür als Gegenleistung erbracht?" Es dauert ein bisschen, dann meldet sich einer. "Den Aquädukt." Der nächste ruft: "Die sanitären Einrichtungen." Der nächste: "Die schönen Straßen." So geht das immer weiter. Medizinische Versorgung, Schulen, Wein, "gut, das sollte man erwähnen", öffentliche Bäder, öffentliche Ordnung. Und den Frieden. Im Film pocht es dann an der Tür, die Männer springen auf, wuseln auseinander, verstecken sich. Ende der Szene. Aber vielleicht bleibt das von ihr: Es gibt Gutes, auch im vermeintlich Schlechten. Gianna Niewel

Abtauchen lernen

Zu einem glücklicheren Leben gehört die Fähigkeit, zeitig abzutauchen. Ein Abend mit Geschäftspartnern im Wiesn-Zelt muss kein Martyrium werden: Entferne Dich nach einer Maß heimlich durch den Notausgang, keiner wird anderntags mehr wissen, wie lange Du dabei warst. Verlasse das gefürchtete Mittagsmeeting vor dem üblichen Vortrag von Dr. Langschwatz, blicke beim Hinauseilen mit ernster Miene auf Dein Handy, so als hätten Dich noch höhere Mächte dringend abberufen; einer wie du wird eben überall gebraucht. Anfänger eignen sich das Grundlagenwissen am besten durch die Kreuzigungsszene von "Das Leben des Brian" an. Die Verurteilten schleppen ihre Kreuze ächzend durch die Gassen Jerusalems, und ein Zuschauer, dem es sehr wichtig ist, die eigene Moral zu demonstrieren, nimmt einem das Holz ab: "Lass mich bitte Deine Last tragen." Der Mann nickt: "Oh, danke sehr" und verschwindet wieselflink in der Menge. So muss der andere die Last wirklich tragen, und zwar bis zum bitteren Ende; denn der Zenturio hat an seinen Beteuerungen, er sei der falsche Mann, wenig Interesse. Von Monty Pyton lernen, heißt fürs Leben lernen. Joachim Käppner

Filmplakat von 1979. (Foto: imago/Prod.DB)
© SZ vom 20.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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