Historie:Das Meer, eine Wüste

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Vor 500 Jahren fand Ferdinand Magellan den Seeweg um Amerika herum. Das Ende der ersten Weltumsegelung erlebte er aber nicht.

Von Sebastian Schoepp

Die kleine Flotte, die da im Januar 1521 unter dem Kreuz des Südens über den Pazifik segelte, hätte auf Betrachter einen erbarmungswürdigen Eindruck gemacht. Doch Augenzeugen waren in der Wasserwüste nicht in Sicht. Die Sonne brannte, die Menschen auf den drei Schiffen litten unter den Qualen des Skorbut, jener Mangelkrankheit, bei der sich Haut und Gelenke entzünden und die Zähne ausfallen. "Wir aßen Zwiebackstaub, durchsetzt mit Würmern, die bereits das Beste gefressen hatten", schrieb Bordchronist Antonio Pigafetta. "Es stank furchtbar nach Rattenurin. Und wir tranken gelbes Wasser, das schon seit vielen Tagen verfault war, und aßen Ochsenhäute, mit denen die Rahen überzogen waren, um die Takelage zu schonen."

Pigafetta schildert aber jenen rätselhaften, willensstarken und schweigsamen Mann, der die Höllenfahrt anführte, noch immer mit respektvoller Begeisterung: Es ist Ferdinand Magellan, der am 20. September 1519, vor genau 500 Jahren, im andalusischen Sanlúcar de Barrameda losgesegelt war, um einen neuen Seeweg nach Osten zu suchen - und deshalb stur gen Westen fuhr.

Viele Irrtümer ranken sich um diesen Mann. Seine Reise gilt in der Geschichtsschreibung als erste Weltumseglung, dabei kam Magellan selbst nur halb herum - und er hatte auch gar nicht im Sinn gehabt, den Globus zu umrunden. Es war ihm vom spanischen König Karl I. sogar ausdrücklich verboten worden, um keine internationalen Konflikte heraufzubeschwören. Er hieß eigentlich auch nicht Magellan, sondern Fernão de Magalhães, er kam als Portugiese zur Welt. Doch für seine Landsleute war er ein Verräter, weil er als Generalkapitän für die spanische Krone fuhr. Die Spanier nannten ihn Fernando de Magallanes, weil sie das leichter aussprechen konnten. Daraus wurde dann auf Deutsch Ferdinand Magellan.

Die Schiffe trugen 508 Fässer Wein, 984 Laibe Käse, 250 Zöpfe Knoblauch und sieben Kühe

Man weiß nicht genau, wann Fernão de Magalhães geboren wurde, irgendwann um 1485 herum, und man weiß auch nicht, wie er ausgesehen hat. Alle Bildnisse sind Idealvorstellungen, die sich die Nachwelt von ihm machte. Er soll kleinwüchsig und drahtig gewesen sein. Außer Frage steht, dass er von äußerster Willenskraft war, denn das musste man sein, um so ein Unternehmen auch in Momenten scheinbar totaler Aussichtslosigkeit voranzutreiben. Magellans modernster Biograf, der Historiker Christian Jostmann, beschreibt ihn in seinem eben erschienenen, fundiert recherchierten und spannend geschriebenen Buch als ziemlich rücksichtlos und brutal.

Magellan stach am 20. September 1519 mit fünf Schiffen in See, keine riesigen Schoner, wie man sie sich heute vielleicht vorstellt, sondern robuste "Naos", die schon einige Einsätze hinter sich hatten - eine Art Karavellen, wenig größer als heutige Fischkutter, wie Stefan Zweig in seiner schwärmerischen Fiktion der Reise schrieb. An Bord waren an die 250 Mann Besatzung, Steuerleute, Navigatoren, Matrosen, Ärzte, Kanoniere. Und 508 Fässer Wein, 984 Laibe Käse, 200 Fässer Anchovis und getrockneter Fisch, 250 Zöpfe Knoblauch, sieben Kühe, Trinkwasser und Essig in Fässern sowie zentnerweise Zwieback, Bohnen, Kichererbsen, Speck, Zucker, Rosinen, Mandeln, Honig, getrocknete Pflaumen, Salz, Reis, Senf und Weizenmehl, wie im Archivo General de las Indias zu Sevilla genauestens vermerkt ist.

Nur bedingt ozeantauglich: Mit Karavellen dieses Typs segelte Ferdinand Magellan 1519 nach Westen. (Foto: imago/United Archives Internatio)

Mindestens ebenso wichtig waren Spiegel, Messer, Glasperlen, Kämme und andere Tauschwaren minderer Qualität. Konquistadoren wie Magellan, Kolumbus, Cortés oder Pizarro waren Abenteurer eher im Nebenberuf, patriotische oder politische Motive trieben sie weniger an; sie waren vielmehr Unternehmer, die mit vollem Risiko und einem Ziel segelten: reich zu werden. Aus dieser Sicht war die Reise ein Erfolg, auch wenn genau drei Jahre später nur 18 halb verhungerte, kranke und zu Tode erschöpfte Männer wieder in Sanlúcar einliefen - mit nur noch einem Schiff. Sie hatten einmal die Welt umrundet und dabei einen Tag ihres Lebens verloren, weil sie so viele Zeitzonen durchfahren hatten. Doch der hölzerne Bauch der Victoria war voll mit Nelken und anderen Gewürzen, die sie auf den Molukken eingetauscht hatten, was märchenhaften Reichtum versprach. Der König und seine Geldgeber, angeblich auch die Augsburger Fugger, konnten zufrieden sein. Magellan hingegen war, erschlagen von kriegerischen Einheimischen, auf einer Inselgruppe zurückgeblieben, aus der später einmal die Philippinen werden sollten.

"Mit kaltem Griff rasiert der Wind ihnen grob die Wangen..."

Sein Auftrag aber war erfüllt: einen Seeweg von Spanien nach Ostindien finden, der das portugiesische Hoheitsgebiet nicht streifte. Kurz zuvor war die überseeische Welt im Vertrag von Tordesillas in zwei Hälften aufgeteilt worden, die Portugal den Osten, Spanien den Westen zusprach. Im äußersten Osten aber lockten die Reichtümer, unter anderen die Gewürzinseln im heutigen Indonesien.

Magellan fragte sich: Musste man, um dorthin zu gelangen, nicht nur lange genug in die andere Richtung fahren und die Molukken dann gewissermaßen zu den westlichsten Inseln der bekannten Welt erklären? Dann hätte man die Portugiesen ausgetrickst.

Die ehrgeizige Fahrt begann zäh, mit etwas, was noch oft auftauchen sollte: einer Flaute. Schon kurz nach den Kanaren brach deshalb eine Meuterei aus, die Magellan gerade noch in den Griff bekam. Schon da machte sich sein Verhandlungsgeschick, gepaart mit Härte, bezahlt. Als wieder Wind aufkam, segelte die Armada an die südamerikanische Küste, kurz zuvor war dort die Bucht des Januarflusses entdeckt worden, portugiesisch Rio de Janeiro, an dessen tropischen Gestaden die Besatzung märchenhafte Tage verbrachte.

Es muss nicht leicht gewesen sein, sie danach zur Weiterreise anzutreiben. Doch Magellan war nicht zimperlich. Er befahl, er drohte, er misshandelte, er exekutierte - so zwang er seine Leute immer weiter fort auf dem endlosen Weg in einen arktischer werdenden Süden. Eine Bucht nach der anderen lief er an, immer auf der Suche nach der verheißungsvollen Passage nach Westen, von deren Existenz der Generalkapitän überzeugt war.

"Hier war er sehr nachdenklich, bisweilen froh, bisweilen traurig, denn sobald es ihm dünkte, dass dies die Meerenge war, die er verheißen hatte, freute er sich so, dass er vergnügte Dinge sagte, dann wurde er traurig, wenn ihm durch irgendeine Einbildung dünkte, dass sie es nicht war", schrieb ein Matrose später in seinen Erinnerungen. Stefan Zweig machte sich ein eigenes Bild von der Stimmung an Bord: "Allmählich beginnt die Mannschaft ihre Unruhe offen zu zeigen; aus Instinkt spüren sie alle, dass etwas nicht in Ordnung geht. Hat man ihnen denn nicht in Sevilla beim Anheuern erzählt, dass die Reise nach den Gewürzinseln ziele, in den strahlendsten Süden, in paradiesische Welt? Hat man ihnen nicht Reichtum versprochen und baldige Heimkehr? Stattdessen führt dieser finstere Schweiger sie in immer kältere und armseligere Wüsteneien."

Vor dem Aufbruch: Porträt von Ferdinand Magellan. (Foto: Getty Images)

Die Arbeit an Deck wurde schier unerträglich für die Seeleute, schreibt Zweig weiter: "Mit kaltem Griff rasiert der Wind ihnen grob die Wangen und eisig greift er durch die zerfetzten Kleider; schon frieren die Hände an, wenn sie die gefrorenen Taue fassen wollen, und der Atem erstarrt vor dem Mund zu Rauch. Und dabei: welche Öde ringsum, welch grausame Trostlosigkeit!" Heute nennt man diese Einöde Patagonien, nach einem sehr großen Mann, dem Magellans Leute begegneten, und der sie an einen Giganten namens Patagon, Riesenfuß, erinnerte - eine Gestalt aus den damals populären Ritterromanen.

Nach drei Monaten erfolgloser Suche verlangte ein Teil der von Hunger, Krankheiten und Erschöpfung gezeichneten Besatzung den Abbruch der Reise. Magellan schlug auch diese Meuterei nieder - doch das größte Schiff mit den reichsten Vorräten, die San Antonio, desertierte und machte sich auf den Rückweg nach Spanien. Ein weiteres Schiff verlor er auf einer Erkundungsfahrt. Doch der Generalkapitän blieb stur: "Selbst wenn er das Rindsleder essen müsste, mit dem die Rahen verkleidet sind, müsste er weiterfahren und entdecken, was er dem Kaiser versprochen habe", soll er laut Chronisten gesagt haben.

Und, tatsächlich, im äußersten Süden des amerikanischen Kontinents entdeckte er an Allerheiligen 1520 die Route, die später seinen Namen tragen sollte: die Magellan-Straße, die Fahrrinne vom Atlantik zum Pazifik, voller Untiefen, Fallwinde und Strömungen, durch die seine Steuerleute geschickt navigierten. Die Besiedlung der südamerikanischen Westküste im großen Stil durch Europäer wurde durch diese Entdeckung erst möglich - was sich für die einheimischen Völker alles andere als günstig erweisen sollte. Doch das kam nach Magellan; er ebnete nur den Weg.

Historische Weltkarte mit der Route der ersten Weltumsegelung. (Foto: Imago)

Und war es nun nicht ein erhabenes Gefühl, die Ödnis hinter sich zu lassen und über das Meer aller Meere zu segeln, getrieben von günstigen Passatwinden? Magellan nannte es "Mar Pacífico" - das Friedliche. Doch noch lag der schlimmste Teil der Reise vor ihnen: Tausende Kilometer, ohne Land in Sicht, ohne die Möglichkeit, Proviant zu fassen. Viele Seeleute starben an Mangel und Erschöpfung.

Kann man ermessen, was es bedeutete, als nach dreineinhalb Monaten der Ruf erschallte: Land in Sicht! Doch auf Guam wurde die Flotte bestohlen und angegriffen, Magellan ließ eiligst die Segel setzen und türmte, nicht ohne den Inseln den seiner Meinung nach passenden Namen zu verleihen: Islas de los Ladrones, Diebesinseln. Stur segelte er weiter gen Westen, obwohl man eigentlich von dort aus bereits auf leicht südlichem Kurs die Molukken hätte erreichen können. Was wollte er?

Die Nachricht an Kaiser Karl V.: "Wir haben die gesamte Rundung der Welt entdeckt."

Der König hatte ihm seinen Anteil an Entdeckungen versprochen und irgendwo da weiter im Fernen Osten, auf dem Weg nach China, musste es ein Märchenland geben, von dem schon Ptolemäus und Marco Polo fantasiert hatten. Und wirklich erreichte die Armada im März 1521 die "Inseln der Bemalten", was auf die Vorliebe der Einheimischen für Tätowierungen schließen lässt. Hatte Magellan seinen Traum gefunden? Darauf deutet hin, dass er viel Energie auf die Christianisierung der Bewohner verwendete und sich in deren kriegerische Händel einmischte - was ihm schließlich zum Verhängnis wurde. Bei einem Angriff auf die Insel Mactan fand der Generalkapitän am 27. April 1521 den Tod. Seinem Chronisten Pigafetta zufolge kämpfte Magellan, noch im Wasser stehend, als einer der Letzten, um den Rückzug seiner Leute aufs Schiff zu decken. Ein vergifteter Pfeil habe seinen Oberschenkel durchbohrt; kurz darauf sei er von zwei Lanzenstößen niedergestreckt worden. Und so "töteten sie den Spiegel, das Licht, den Trost und unseren wahren Führer", schrieb Pigafetta traurig.

Die Mannschaft war so dezimiert, dass sie ein Schiff versenken musste, die anderen verteilten sich auf die verbliebenen zwei - und führten sich fortan auf wie Piraten auf Kaperfahrt, sie enterten Dschunken, töteten Männer, raubten Frauen, stahlen Lebensmittel. Schließlich erreichten sie die Molukken, wo sie eiligst den Bauch der Schiffe mit Gewürzen füllten, schließlich wilderten sie hier im Gebiet der portugiesischen Konkurrenz. Dann trennten sich die Wege der Trinidad und der Victoria. Erstere versuchte den Rückweg über den Pazifik, fiel jedoch einer portugiesischen Flotte in die Hände, welche die Besatzung einkerkerte. Die Victoria hingegen segelte weiter gen Westen, unter dem Kommando des früheren Steuermanns und begnadigten Meuterers Juan Sebastián Elcano, der es schaffte, die lecke Nussschale um das Kap der Guten Hoffnung herum und durch portugiesisches Herrschaftsgebiet bis nach Spanien zu bringen, wo er am 6. September des Jahres 1522 einlief.

Noch während das Schiff den Guadalquivir hoch nach Sevilla geschleppt wurde, schrieb Elcano an seine Majestät Kaiser Karl V. - Spaniens König war inzwischen zum Herrscher des Weltreichs, "in dem die Sonne nicht untergeht", aufgestiegen -, dieser möge wissen, "dass wir die gesamte Rundung der Welt entdeckt und umrundet haben, indem wir nach Westen weggefahren und von Osten zurückgekehrt sind". In Sevilla wurde mit Böllerschüssen und Prozessionen gefeiert, der Spanier Elcano gilt in seiner Heimat bis heute als der wahre erste Weltumsegler, nach ihm ist das königliche Elcano-Institut benannt, dessen Aufgabe die Pflege der diplomatischen Beziehungen Spaniens auf der Welt ist.

Elcano wurde zum Ritter geschlagen und verdiente nicht schlecht am Erlös - doch den Reichtum in Ruhe genießen: Das lag Konquistadoren nicht. Schon 1525 ging er wieder auf Expedition, auf derselben Route, doch ein zweites Mal überlebte er sie nicht. Juan Sebastián Elcano verhungerte auf dem Weg über den Pazifik. Nur der deutsche Matrose Hans aus Aachen überstand beide Expeditionen und ist der erste Mann, der die Welt zweimal umrundet hat.

Und Magellan? Das Bild, das sich die Nachwelt von ihm machte, wandelte sich im Zeitgeschmack der Jahrhunderte. Zunächst geriet er in Vergessenheit. Erst Alexander von Humboldt erklärte ihn im Licht der Aufklärung zum Helden wissenschaftlicher Welterkundung, man benannte einen Sternennebel nach ihm. Für Stefan Zweig war Magellans Reise nichts weniger als "eines der heiligen Märchen der Menschheit". Ein ziemlich blutrünstiges, muss man sagen, aber das ist bei Märchen ja keine Seltenheit. Heute gelten Konquistadoren wie Magellan als Wegbereiter des Imperialismus.

Was also war Fernão de Magalhães wirklich? Wohl alles und nichts davon.

© SZ vom 14.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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