Glaubensbekenntnis:Nuran David Calis

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Der Theaterautor und -regisseur Nuran David Calis wurde 1976 in Bielefeld geboren. Er wurde für seine Arbeiten schon vielfach ausgezeichnet.

Protokoll von Hannes Vollmuth

Wenn du im Stadtteil Beyoğlu in Istanbul die große İstiklal-Straße entlanggehst, kommst du irgendwann zu einem überdachten Basar, dort betrittst du einen Seiteneingang und nach acht, neun Metern stehst du in einem Hinterhof, dann erscheint dir meine Kirche, die armenische Kirche in Istanbul. Sie war immer verborgen, aber allgegenwärtig für mich als Kind, ein Schutzraum. Dort fing es an.

Ich weiß noch, wie ich eines Nachts im Jahr 1979 geweckt wurde und wenige Stunden später getauft. Ich war damals drei und die armenische Community, der ich angehörte, nur im Untergrund aktiv. Damals, Ende der Siebzigerjahre, gab es viele Unruhen in Istanbul. Unsere Messen musste deshalb nachts abgehalten werden.

Eigentlich wurde ich ja in Deutschland geboren. Aber alles in meiner Biografie ist brüchig und durchsetzt von Wendepunkten. Nach meiner Geburt gingen meinen Eltern erst einmal zurück in die Türkei, und nach dem Militärputsch 1980 dann wieder zurück, zurück nach Deutschland. Halt gab uns in der ersten Zeit die armenische Gemeinde in Köln. Und meine kindliche Faszination für Religion.

Religion und Kindheitserinnerungen sind für mich untrennbar verbunden. Ich mag bis heute, wenn der Weihrauch durch die Kirche wabert, und dazu die fremden gregorianischen Gesänge, dieses Hineinwiegen in die Gebete. Das ist fast wie ein Rausch.

In der Grundschule hatte ich eine Schuldirektorin, sie war bei der Heilsarmee. Ich fand das unheimlich stark und bewegend, dass diese Frau unter der Woche ihre Schule im Griff hatte und sich am Samstag mit einer Gitarre an den Bahnhof gestellt und Geld gesammelt hat. Das habe ich nie vergessen, dieses Dasein für den anderen. Das blieb auch später für mich wichtig, als ich nach dem Abitur in München mit meinem Regiestudium begann. Ich und meine Familie lebten damals ja in prekären Verhältnissen: Wo andere bei null begannen, habe ich bei Minus 100 angefangen. Ich musste arbeiten, und die einzige Zeit, die mir blieb, war die Nacht: also Türsteherei im Kunstpark Ost bis morgens um vier. Ich hatte meine Grenzen, ich wollte kein Schläger sein. Aber zwei, drei Mal musste ich mehr austeilen, als ich eigentlich wollte und konnte. Und ich war auch so wütend in dieser Zeit, wütend auf die Gesellschaft, die mich so lange nicht wollte, die mir das Ankommen so schwer gemacht hat. Meine frühen Theater-Arbeiten sind deshalb auch Pamphlete, Anklagen, Zeugnisse dieser Wut. Aber dann kam schon der nächste Wendepunkt.

Meine Frau brauchte vor vier Jahren eine neue Lunge, ihr wurde ein Organ transplantiert. Das hat mit mir was gemacht, dieser Akt der Nächstenliebe, dass ein anderer dir sein Organ schenkt, damit du weiterleben kannst. Seitdem bin ich ganz klar und höre diesen religiösen Basston in meinem Leben wieder. Religion denkt ja nicht in Dimension wie Spielzeiten, Abgaben oder Erfolg. Du kannst da richtig hineingreifen und wirst gehalten."

Der Theaterautor und -regisseur Nuran David Calis wurde 1976 in Bielefeld geboren. Er wurde schon vielfach ausgezeichnet. In diesem Jahr inszeniert er zum zweiten Mal die Nibelungenfestspiele in Worms.

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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