Generation Facebook:Im Wartezimmer zum Erwachsenwerden

Lesezeit: 7 Min.

Miranda July ist die Ikone der Generation Facebook. Sie fängt das Lebensgefühl von Menschen ein, die in einer seltsamen Zeitblase leben - und plötzlich merken, wie wenig sie in all den Jahren auf die Reihe gekriegt haben.

Rebecca Casati

Die überraschend große, dünne Miranda July steht an einem Tisch, auf dem die Getränke für diesen Nachmittag arrangiert sind. In der einen Hand hält sie eine Tasse heißes Wasser, mit der anderen nestelt sie an diesem Kasten mit Teebeuteln herum, ohne den an besseren deutschen Hotelbuffets praktisch gar nichts mehr geht.

Dies sind Sophie und Jason, aber es sind auch Sie und ich. Wir haben kein konkretes Problem, aber ein schleichendes. Die Zerstreuung ist permanent.  (Foto: Supplied by Capital Pictures)

"Wie ist der zum Beispiel hier", murmelt sie, und tippt auf Teebeutel, "oder dieser: Mor-gen-tau?" " Der ist gut." "Und das hier? Verveine? Wie schmeckt das Zeug?" " Nicht so toll." "Also, wie - genau?" " Vielleicht etwas nach älteren Damen?" Die Beschreibung klingt in ihren Ohren offenbar verlockend. "Tut man das dazu?" fragt sie, und gießt bereits Milch in ihr sich gerade grünlich verfärbendes Getränk. Das Ganze wird dann vorsichtig zu einem Sessel getragen, auf extradünnen Beinen, die in Schuhen stecken, die entfernt an Bügeleisen erinnern.

Sie setzt sich und schaut dabei wie jemand, der gerade etwas sehr Verstörendes mitansehen musste. Spätestens ab da meint man, dass man dieses Gesicht unter den schimmernden braunen Locken schon mal irgendwo anders gesehen hat: Eine kaputte Puppe? In einem alten Cartoon? In einer Stummfilmszene? Es ist blass und schön und regelmäßig, aber es hat etwas beinahe aufdringlich Verletztliches, und mittendrinnen stehen Julys sehr, SEHR große blaue Augen, deren äußere Enden nach unten zeigen. Und aus denen es bestimmt gleich nicht heraustropfen, sondern märchenbachartig rinnen wird, wenn man ein falsches Wort sagt - oder was ist das hier jetzt?

Quatsch. Tut sie nicht, warum sollte sie. Hier, hinter einem Ekeltee, sitzt die Alleskönnerin, wie sie von deutschen Feuilletons oder Frauenzeitungen bezeichnet wird. Eine, die Menschen inspiriert und Kritiker begeistert. Die ratlos rüberkommt und selbstbewusst redet. Genau wie es sich für die Stimme einer ganzen Generation gehört. Miranda July schreibt Bestseller, wird als Performance-Künstlerin bejubelt, dreht und schreibt Filme wie "Me and you and everyone we know", mit dem sie 2005 die Goldene Palme in Cannes gewonnen hat. Oder wie ihr neuer Film "The Future". Der wieder nur Lob bekommen hat, so auch in dieser Zeitung. Und in dem sie zusätzlich auch noch die Hauptrolle spielt.

Nicht von ungefähr beginnt "The Future" so: Ein Pärchen liegt mit ineinandergeschobenen Gliedmaßen auf einer Couch und führt diese besondere Art der Internet-Nebenbei-Unterhaltung. Beide haben ihre aufgeklappten Laptops auf ihren mittlerweile wahrscheinlich sehr heißen Bäuchen liegen, während sich draußen vor dem Fenster die Sonne umsonst abrackert. Und ihre Haltung, ihre identischen Haarschnitte und ihre Jogging-Klamotten verraten bereitwillig: Wir hatten schon länger keinen Sex mehr.

Die beiden, Sophie und Jason, wie wir lernen, haben keine Kinder, nur sich und ihre Jobs. Die auch nicht die sind, von denen sie mal geträumt haben. Er arbeitet für ein Callcenter, sie in einem Fitnessstudio. Es gibt bei alldem kein konkretes Problem, eher ein diffuses Unbehagen: Sophie und Jason dämmert, dass ihr Leben vergeht. "In fünf Jahren sind wir 40", sagt Jason, "und das ist fast 50. . ." "Es ist zu spät für uns", flüstert Sophie. Also machen sie das Waghalsigste, was sie sich vorstellen können: Sie adoptieren eine Katze. Und stellen das Internet ab. Und dann entgleitet ihnen alles so richtig.

Früher nannte man sie verkrachte Existenzen

Vor einer Ewigkeit nannte man solche Leute mal: verkrachte Existenzen. So schwarzweiß ist es heute nicht mehr. Dieselben Leute haben immerhin die Welt in die Tasche gesteckt. Die sie überall mit sich herumtragen, zumal sie jedes Jahr noch kleiner, flacher, leichter und marcjacobsiger wird. Sie sind nicht verkracht, sie sind: die Facebook-Generation. Wer sollte sie dafür verurteilen? Während man früher gesellschaftlich sanktioniert, isoliert und zum Verlierer abgestempelt wurde, wenn man mit 30 oder 40 stundenlang auf der Couch lag und sich mit Nonsens befasste, gibt es heute ein anderes kollektives Bewusstsein. Ein Wir.

Dieses Wir hat es sich ziemlich dauerhaft und komfortabel eingerichtet im Wartezimmer zum Erwachsenwerden. Man geht mal eben ins Internet, um die nächste Apotheke zu googeln, und kann hinterher nicht genau erklären, warum das letztlich dann doch drei, vier Stunden in Anspruch genommen hat. Man muss es übrigens auch niemandem erklären, keiner fragt danach. Dank Facebook weiß man dafür nun endlich wieder, was die alten Schulfreunde gerade so machen; nämlich in etwa dasselbe, nur eben in Amerika. "Und ich dachte immer, ich würde klüger werden. Und dass wir irgendwann reich wären . . . " sagt Jason in "The Future".

Dieses Gefühl beispielsweise, das kennen wir laut Miranda July doch alle: "Diese fast kindliche Idee vom Erwachsensein. Man denkt, man würde immer klüger, und eine Zeitlang wird man das ja auch. Oder man denkt, man kriegt mehr Geld, je älter man wird. Und dann ist es fast wie ein Schock, wenn man in unserem Alter begreift: Das bin jetzt ich. Das ändert sich nicht mehr so groß. Wenn ich Geld haben will, muss ich anfangen, dafür zu arbeiten. Und aufhören, es auszugeben."

Das Dilemma dieser Menschen, ihr schwindendes Gefühl für sich selbst und die eigene Einzigartigkeit, all das zu porträtieren, ohne irgendjemanden zu kompromittieren; das kann und tut Miranda July wie momentan keine Zweite, auf sämtlichen medialen Kanälen. Sie ist eine der wenigen, die das Fluidum moderner Ratlosigkeit erfassen, die sich auflösenden Grenzen zwischen Leben und Arbeit, zwischen Gemütlichkeit und Paralyse, die Tragik und auch die Komik, die sich über alldem ausgebreitet haben und die erkennbar werden, wenn man sich nur zwei, drei Zentimeter aus sich heraus bewegt; aber eben auch erst dann.

Sophie (gespielt von der Regisseurin Miranda July) und Jason (Hamish Linklater): "Es ist zu spät für uns." (Foto: N/A)

Diese Generation, zu der July selbst gehört und die sie da beschreibt, weiß: Ihre Möglichkeiten sind so vielfältig wie nie. Sie haben - hätten jedenfalls - Zugriff auf alles Wissen dieser Welt. Sie können - theoretisch - von überall auf der Welt aus arbeiten und praktisch jeden Winkel bereisen. Ihre Stimme kann, zusammen mit anderen Stimmen, endlich außerparlamentarisch etwas bewirken, Schwarm-Bewegungen auslösen, Konsumenten-Demokratien gründen. Bloß passiert davon so wenig.

Was die Menschen dieser Generation vielleicht gerade erst beginnen zu realisieren, ist, was das alles umgekehrt bedeutet. Dass die vielen Möglichkeiten sie bisher weder kreativer oder aktiver gemacht haben. Dass sie es selber sind, die dieses ganze Wirrwarr immer wieder neu sortieren müssen. Dass ihre Stimme einfach untergehen kann im Weltweitrauschen. Und dass sie nicht nur jeden Winkel bereisen können, sondern dass sie der Welt nicht mehr entkommen können.

Diesen 30- bis 40-Jährigen, die fast schon 50 werden, geht es, und das unterscheidet sie so von allen vorhergehenden Generationen, zunehmend weniger um Sinnsuche. Laut Julys Diagnose ist das genau das Problem moderner Menschen: Sämtliche Suchen, Löcher und freie Momente werden sofort durch das Herumtippen auf irgendeiner Tastatur gestopft und übertönt. Immer kauft man gerade irgendwas, klickt irgendwas an, erfährt irgendwas, wird woanders eines Besseren belehrt, bestellt irgendwas, wird wieder ganz woandershin verlinkt, muss dieses beantworten oder jenes irgendwie finden. Das Ganze macht süchtig, aber weder richtig glücklich noch richtig unglücklich. Und somit kommt einem auch das Gefühl für Zeit abhanden.

Miranda July schaut selbstverständlich betreten, wenn man sie als Orakel und Ikone dieser Generation bezeichnet. Allerdings: Sämtliche Hipster, die in Stockholm oder Argentinien darauf warten, dass das Glück sie findet, während sie Biobrause trinken, Bon Iver lauschen und ihre Ferienbilder auf ihre Facebookseiten laden, würden sich, wenn sie die Wahl hätten, ein ähnliches Leben zusammenstellen wie das von Miranda July. Sie wuchs im akademischen Milieu der Universitätsstadt Berkeley auf, besuchte eine Schule, auf der man für das Anderssein nicht gefoppt wurde. Ihre Eltern betrieben sozusagen aus dem häuslichen Wohnzimmer heraus einen Verlag und Versandhandel für New-Age-Bücher, und so lernte Miranda July früh, dass man mit so etwas Abstraktem wie Kunst seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.

Sie war in der Schule die Anführerin, spielte Theater, schrieb Kurzgeschichten, trieb sich in Punk-Clubs herum und entwickelte künstlerisches Sendungs- und Selbstbewusstsein, was von den Eltern unterstützt wurde. Sie studierte Kunst in Portland. Fand einen Mentor in Rick Moody, dem Autor von "Garden State" und "Der Eissturm". Musste niemals in irgendeinem Nine-to-Five-System Geld verdienen. Und lebt heute mit ihrem Mann, dem in ähnlichen Kreisen ähnlich glühend verehrten Regisseur Mike Mills, zusammen in einem Haus in Kalifornien, umgeben von wahrscheinlich saucoolen Freunden.

Julys Kunst ist interaktiv, empathisch, menschenbezogen. Auf der Webpage "Learning To Love You More" rief sie die Leser dazu auf, ihre sich küssenden Eltern zu fotografieren, eine Pressemitteilung über ein alltägliches Ereignis zu schreiben oder einfach mal mit der Kamera unter das eigene Bett zu knipsen. Ihre Geschichten sind subtil, rührend bis bizarr, und fast immer handeln sie von Menschen, die den Kontakt zu ihrer Umgebung suchen.

July lebt in der Hauptstadt der Oberflächlichkeiten, dem Headquarter des Mainstreams: Los Angeles. Steht das nicht im Widerspruch zu ihrem Tun? "Oh", sagt sie, "Sie sprechen vom Westen!" Und es klingt wie "Oh - Sie sprechen von Adrastea, dem Jupitermond!" Der Westen von Los Angeles, der sei weit weg, bestimmt eine halbe Stunde mit dem Auto: "Ganz ehrlich: Da sind wir nie!" Ah so, und: Wo sind wir dann stattdessen? "Im Osten. Viele New Yorker Künstler und Musiker sind dorthin gezogen, weil die Ateliermieten billiger sind. Es ist ein wahnsinnig fruchtbares Umfeld dort entstanden." Das hätte ein Berlin-Friedrichshainer jetzt auch nicht schöner sagen können.

Natürlich haben auch die Mechanismen Hollywoods eine Wirkung auf sie. Ihr Auftreten hat auch nicht weniger Wiedererkennungswert als das von Paris Hilton; nur eben in der klugen Umkehrung. Ihr Look, 70er-Jahre-Blusen, Capes, sonderbare Kragen, ist selbstverständlich das Ergebnis sorgfältiger Planung und Kontrolle. Und überhaupt ist das wahrscheinlich das Wort, das die Unterschiede in diesem Ferienfotofreundschaftsanfragen-Gewurschtel definiert: "Meine Karriere, meine Arbeit, das ist alles gar keine Magie und kein Zufall", sagt July, "das ist harte Arbeit. Ich bin ungeheuer diszipliniert." Eine Plattform wie Facebook beispielsweise nutze sie selber nur für den Film jetzt, oder für das nächste Buch; eben als Werkzeug. "Wie viele andere habe ich mir außerdem Macfreedom runtergeladen."

Dort könne man eintippen, wie lange man vom Internet unbehelligt sein will. Und dann schaltet es sich für diesen Zeitraum irreversibel ab. "Wie?" fragt July, hier aufrichtig verwirrt. "Sie machen das nicht? Wie schreiben Sie denn? Laden Sie es sich einfach runter. Sie werden sehen, es ist eine enorme Erleichterung. Wir machen es mittlerweile alle so."

© SZ vom 05.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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