Foodwatch-Chef Thilo Bode:Der Ampel-Mann

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Foodwatch-Chef Thilo Bode legt sich gern mit anderen an. Der frühere Umweltaktivist streitet für bessere Lebensmittel.

Silvia Liebrich

Die Zeiten, in denen Thilo Bode Koffer voller Geld bei afrikanischen Stammesfürsten ablieferte, liegen längst hinter ihm. Heute interessiert sich der frühere Entwicklungshelfer, Finanzberater und Umweltaktivist vor allem für zweifelhafte Inhalte von Tiefkühltruhen und Lebensmittelregalen.

Thilo Bode (Foto: Foto: Reuters)

Der Gründer und Chef der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch hat der mächtigen Lebensmittelindustrie den Kampf angesagt, die Konsumenten seiner Ansicht nach systematisch täuscht und hintergeht.

Der 62-Jährige ist keiner, der für den diplomatischen Dienst in Frage kommt. Er liebt die Auseinandersetzung und sucht sie auch. Die sanfte Tour - Kritik hübsch anrichten und in kleinen Häppchen servieren - ist nicht sein Ding. Das zeigt auch der Blick auf die Homepage von Foodwatch. Dort werden beliebte Markenprodukte von Großkonzernen wie Nestlé, Danone, Unilever, Coca-Cola und McDonald's gleich reihenweise als Mogelpackungen entlarvt.

Beispiel dafür ist der Kinderriegel von Ferrero, der - so die Werbebotschaft - zum Naschen ohne schlechtes Gewissen animieren soll, dank einer "Extra-Portion-Milch" mit viel Kalzium. Das klingt gut, ist aber nach Recherchen der Lebensmitteldetektive von Foodwatch nur ein Teil der Wahrheit. Verschwiegen wird demnach, dass ein Kind täglich mindestens 13 Riegel "naschen" muss, um seinen Kalziumbedarf zu decken, einschließlich 48 Würfel Zucker, einem halben Paket Butter plus Aromen und Zusatzstoffen.

Dass man ihn als Verbraucherschützer bezeichnet, hört Bode nicht gern: "Das klingt, als ob der Konsument ein unmündiges schutzloses Wesen wäre". Dem sei bei weitem nicht so. An was es dem Verbraucher aber fehle, seien wichtige Informationen, um im Supermarkt die richtige Wahl treffen zu können.

Bode will Druck erzeugen. Das größte Problem sieht er darin, dass "Lebensmittel bislang kein politisches Thema sind. Doch Politiker legen sich nur mit der Industrie an, wenn sie spüren, dass die Wähler sauer werden".

Idealist und Weltverbesserer

Bode ist Berufsaktivist, Idealist und Weltverbesserer zugleich, ständig auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Das zeigt sein Lebenslauf. In den siebziger Jahren studiert er Soziologie und Volkswirtschaftslehre und promoviert über die ökonomischen Probleme von Entwicklungsländern.

Zunächst arbeitet er für die Beratungsfirma Lahmeyer International und betreut Wasser- und Energieprojekte auf den Philippinen. 1978 wechselt er zur Kreditanstalt für Wiederaufbau. Stationen sind unter anderem Argentinien, Paraguay und China. Gelegentlich muss er als Kurier einfach nur Koffer voller Geld aushändigen.

So geschehen im afrikanischen Somalia, wo er Entwicklungshilfegelder an einen Stammesfürsten aushändigt, der weder schreiben noch lesen kann, also auch nicht den Vertrag, den er mit einem Kreuz unterzeichnet. Laut Bode trägt das Geld letztlich dazu bei, einen langjährigen Bürgerkrieg zu finanzieren.

Nach elf Jahren in der Entwicklungshilfe gibt er frustriert auf. Seine Bilanz fällt bitter aus: "Die staatliche Entwicklungshilfe, die seit mehr als 50 Jahren betrieben wird, ist weitgehend wirkungslos. Wenn sie nicht geschadet hat, kann man noch froh sein."

Nach einem kurzen Ausflug in die Führungsetage eines deutschen Mittelständlers geht er 1989 in die Umweltpolitik, wird zunächst Deutschland-Chef von Greenpeace und steht gut fünf Jahre später an der Spitze der internationalen Organisation. Wegbegleiter bescheinigen ihm, dass er Greenpeace von Grund auf reformiert und professionalisiert hat. Vor allem aber lernt er, Kampagnen medienwirksam zu inszenieren - und wie man damit Politik macht.

Als Greenpeace-Aktivisten 1995 die Ölplattform Brent Spar kapern, die der Ölmulti Shell in der Nordsee versenken will, formiert sich in Europa Widerstand. Shell gibt seinen Plan schließlich auf. Die Wirkung der Kampagne ist nachhaltig: Drei Jahre später vereinbart eine Gemeinschaft von 15 Staaten ein generelles Versenkungsverbot für Ölplattformen im Nordatlantik.

Im Jahr 2000, nach elf Jahren bei Greenpeace, erklärt Bode seinen Rücktritt; er arbeitet an einem eigenen Projekt. Mit der Gründung von Foodwatch stößt Bode 2002 in eine Lücke im Verbraucherschutz. Den Anstoß für die Gründung gibt die Rinderseuche BSE.

Unzureichende Aufarbeitung

Der Fleischskandal, der Ende der neunziger Jahre publik wird, ist laut Bode bis heute unzureichend aufgearbeitet. Die Tierseuche steht im Verdacht, bei Menschen die gefährliche Creutzfeld-Jacob Krankheit auszulösen.

Zielscheibe von Bodes Angriffen sind Unternehmen, Industrieverbände und die Politik, allen voran der frühere Verbraucherminister Horst Seehofer und seine Nachfolgerin Ilse Aigner, beide CSU. Seine Attacken verschonen selbst jene nicht, die ihn fest an ihrer Seite glauben, wie Renate Künast, Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, früher selbst Verbraucherministerin.

Sie ist nicht mehr so gut auf ihn zu sprechen, seit er im vergangenen Jahr eine Kampagne gegen die Ökobranche startete und deren Umweltfreundlichkeit und Beitrag zum Klimaschutz in Frage stellt.

Die Liste seiner Gegner und Widersacher ist lang. Einige sehen in ihm den kompromisslosen Verfechter von Verbraucherrechten, andere einfach nur den streitsüchtigen Querulanten mit Hang zum Skandalisieren.

Doch Anfeindungen scheinen an Bode abzuperlen. Der Erfolg gibt ihm wohl recht. Hersteller reagieren auf die Kritik von Foodwatch, indem sie etwa ihre Rezepturen ändern oder beanstandete Produkte ganz vom Markt nehmen - wie Bauer den Kinderjoghurt Biene Maja, dessen Zuckergehalt sogar noch den von Coca-Cola übertraf.

Kampf für die Ampel

Für Bode sind dies allenfalls Schritte in die richtige Richtung. Am Ziel sieht er sich noch lange nicht. Priorität hat derzeit für ihn die Durchsetzung der Ampel, eine leicht verständliche Kennzeichnungsform für Lebensmittel. Sie sei das "trojanische Pferd der Verbraucherrechte", weil sie die Industrie zwinge, ihre Rezepturen so zu ändern, dass sie weniger Zucker, Salz oder Fett enthalten. Für die Hersteller würde dies empfindliche Umsatzeinbußen bedeuten, meint er.

Doch die Aussicht, dass sich die Ampel auf EU-Ebene gegen den Widerstand der Hersteller durchsetzen lässt, sind denkbar schlecht. "Verbrauchertäuschung findet nicht nur auf Industrieseite, sondern auch in der Politik statt", wettert Bode. Die Industrie habe alle Geschütze aufgefahren, um die Ampel zu verhindern.

Verloren gibt er den Kampf aber nicht. Bodes Vision ist eine große unabhängige Verbraucherschutzorganisation, die ihren Einfluss auf die europäische Politik geltend machen kann. Der Weg dahin ist bereitet: In den nächsten Monaten wird Foodwatch ein Büro in Brüssel eröffnen, ein Ableger in den Niederlanden befindet sich im Aufbau.

© SZ vom 20.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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