Filmstart:Fisch lass nach

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Der Rummel um den Hollywood-Blockbuster "Findet Dorie" ist typisch für das Familienkino von heute. Aber muss man sich das anschauen? Das ist die falsche Frage.

Von Christian Mayer

Es ist keinesfalls so, dass wir, wie der Filmtitel vermuten lässt, einen süßen, kleinen Paletten-Doktorfisch namens Dorie finden sollen. Dorie findet uns, und zwar uns alle, sie dringt ein in jedes Netz, in jedes Haus, es ist völlig zwecklos, sich diesem blauen Disney-Animationsgeschöpf, das auf der Suche nach seinen Eltern durchs Meer treibt, entziehen zu wollen.

Fährt man an einem Samstagmorgen mit der siebenjährigen Tochter durch München, sieht man: Dorie, überlebensgroß, hundertfach. Geht man mit den Kindern ins Schwimmbad, kann man dem "Aktionstag Deutschland schwimmt" kaum entgehen, eine Kooperation, für die der Disney-Konzern die Ex-Weltmeisterin Franziska van Almsick als Werbepartnerin verpflichtet hat. Kauft man ein Überraschungsei, na, wer steckt da wohl drin? Klar, die Plastikversion von Hank, dem Kraken mit den sieben Greifarmen, ohne den Dorie selbst im Aquarium hoffnungslos verloren wäre, denn sie leidet ja, wie viele Eltern auch, unter Gedächtnisschwund.

"Zoomania", "Ice Age", "Pets", "Angry Birds": Wann gehen Hollywood die Tiere aus?

"Schau mal, Papa, wann gehen wir in den Film?" Sie sind schon ganz schön abgebrüht, diese Marketing-Spezialisten; die Macht ihrer Tentakeln reicht vom Supermarkt über das Kinderzimmer bis zur Kinokasse.

Eltern kennen das: Es steht von vornherein fest, was man am verregneten Oktobersonntagnachmittag unternehmen muss. Man geht ins 3-D-Kino, vorzugsweise ins Multiplex, gemeinsam mit 200 anderen Eltern, die dafür 13 Euro für das Erwachsenen-Ticket und knapp zehn Euro für die Kinderkarte zahlen. Und man fragt sich tatsächlich, wer sich das leisten kann und will: Offenbar sind es vor allem jene Eltern, die sich selbst für eher fortschrittlich, konsumkritisch und sensibel im Umgang mit alten und neuen Medien halten.

Blaues Wunder: Das leicht vergessliche Doktorfisch- Mädchen Dorie sucht verzweifelt seine Eltern. Und Dorie hat noch eine andere Mission: Sie spült viele Millionen in die Kasse des Disney-Konzerns. (Foto: Pixar)

"Findet Dorie" hat am ersten Wochenende aus Sicht der Macher einen Traumstart hingelegt, die tragikomische Geschichte um die verlorenen Eltern schoss mit knapp 900 000 Zuschauern sofort auf Platz eins der deutschen Kinocharts. Was natürlich daran liegt, dass die Zuschauer, die schon "Findet Nemo" zu einem Welterfolg verholfen haben, unbedingt die Fortsetzung sehen wollen. Beim Kino- und Familienfilm gilt das Gesetz der Serie, die großen Produktions- und Verleihfirmen setzen auf alte Bekannte und die üblichen Verdächtigen. Weshalb man heute kein Zimmer einer Siebenjährigen mehr findet, ohne über die "Eiskönigin" zu stolpern: Die Filmfigur schmückt Schlafanzüge, Glitzerbecher, Badetücher, Sporttaschen, Zahnbürsten, Puppenfahrradsitze und Kindereismaschinen - es gibt nicht wenige Väter und Mütter, die beim Wort "Eiskönigin" mit einem schockgefrorenen Lächeln reagieren. Das Lächeln ist sowohl resignativ als auch selbstironisch, schließlich sind es ja die Eltern, die den Quatsch mitmachen.

In diesem Jahr war es allerdings noch einmal mehr Quatsch als in den Vorjahren - garniert mit etwas Filmkunst. Es ging gleich lustig los mit der Neuauflage von "Bibi & Tina - Mädchen gegen Jungs" und der Erkenntnis, dass das Leben eben doch ein Ponyhof ist, allerdings nur, wenn man nicht volljährig ist. Dann kam, überfallartig, ein tierischer Animationsfilm nach dem anderen: "Zoomania", der gefühlt 50. Teil von "Ice Age", "Pets", Angry Birds" und so weiter. Mitten im Sommer bekam man dann auch noch die Vorladung für "Conni & Co", eine logische Konsequenz der beliebten Kinderbuchreihe, deren Erkennungsmelodie ("Conni, Conni, mit der Schleife im Haar . . .") von pixihafter Penetranz ist. Und während sich die vergessliche Dorie noch ganz vorne in den Charts behauptet, stehen schon die lustigen "Trolls" in den Startlöchern, Zwerg-Hippies in Regenbogenfarben, die permanent singen und chronisch gute Laune haben: Auch da muss man dann wohl oder übel rein, weil Lena Meyer-Landrut die Hauptfigur synchronisiert hat.

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Ein Münchner Produzent verfilmt jetzt "Die kleine Hexe", es wird ein teurer Spaß

Warum überhaupt so viele Kinder- und Jugendfilme produziert werden, nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland? Weil die Zielgruppe ganz klar definiert ist, wie der Münchner Filmproduzent Jakob Claussen sagt: "Wie immer im Kino gibt es keine Sicherheit, dass ein Film erfolgreich wird, aber die Wahrscheinlichkeit ist höher, wenn man ein paar Grundsätze einhält." Claussens Firma, die zuletzt mit der Neuverfilmung von "Heidi" weltweit erfolgreich war, setzt auf etablierte Literaturvorlagen. Auf liebevoll erzählte Geschichten, die auch die Eltern mögen. Momentan verfilmt der Produzent "Die kleine Hexe" nach dem Kinderbuchklassiker von Otfried Preußler - ein teurer Spaß. "Kinderfilme sind heute oft viel aufwendiger als Erwachsenenfilme", sagt Claussen. Der Rabe Abraxas zum Beispiel, Beschützer und Freund der kleinen Hexe, ist ein volldigitalisiertes Federvieh, das ein Drittel des Gesamtbudgets verschlingt: "Das muss sein, wenn man auf dem Markt bestehen will."

Die Wahrheit ist, dass viele Eltern und Großeltern inzwischen deutlich mehr Kinderfilme im Kino sehen als Erwachsenenfilme: Man findet einfach keine passende Ausrede, um den Besuch zu verweigern - das "bin heute zu müde" oder "lass uns doch lieber was bei Amazon runterladen" zählt in diesem Fall nicht. Wenn es gut läuft, haben die Filmemacher daran gedacht, noch eine zweite Ebene einzubauen, ein paar Insider-Jokes aus dem Leben gestresster Eltern - oder aber es sind gleich verkappte Erwachsenenfilme wie die "Minions". Bei so viel anarchistischem Irrwitz geht man dann tatsächlich gerne ins Kino.

Was man allerdings gar nicht braucht: schwachsinnige Lizenzprodukte. Die Eiskönigin als Seifenspender. Fische im Ü-Ei. Und die ständigen Wiederholungen und Sequels, auf allen Kanälen. Aber wie wird man den Fluch des Erwartbaren wieder los? In "Findet Dorie" gibt es eine wunderbare Szene, in der Hank den Transportlaster mit den Fischen aus dem Aquarium entführt - in einem Moment der Verzweiflung lenkt der Krake den Lkw über die Leitplanke. Die Fische fliegen ins Meer, in die Freiheit, auf Nimmerwiedersehen. Wir sind sie los - und sie uns. Wäre das schön manchmal, so ein Leitplanken-Moment.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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