Feiern in Berlin:Im Partyhimmel

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Zum Feiern in die Disco oder Kneipe? Viel zu langweilig! Die angesagtesten Partys gibt es ganz oben - auf den Dächern Berlins.

Johannes Boie

Oben auf dem Dach sitzt Henrik von Bodenhausen, beißt in eine gegrillte Wurst und raucht eine Zigarette. Unten auf der Straße stehen die Touristen, gucken nach oben, recken die Köpfe. Dort oben, auf dem Dach sind sie also, die verrückten Partyleute von Berlin. Eine weitere Sehenswürdigkeit, von der man auf Postkarten berichten kann, genau wie vom Besuch der Synagoge in der Oranienburger Straße, die nur ein paar Meter vom Postfuhramt entfernt steht. Die Touristen kramen ihre Kameras aus den Taschen.

Natürlich könnte man auch am Boden feiern, aber das hat man doch die letzten zehn Jahre schon gemacht. (Foto: Foto: oh)

"Dächer", sagt Bodenhausen oben auf dem Dach, "sind der ultimative Partyort." Er muss es wissen. Seit 15 Jahren organisiert er seine kleinen Insider-Parties. "Und genauso lange suche ich schon gute Orte zum Feiern", sagt Bodenhausen, 39, und kaut seine Wurst. Der Fleischgeruch mischt sich mit dem Gestank von verschüttetem Bier und dem Duft von Haschisch. Der DJ atmet tief ein, zieht den Regler hoch. Der Bass wird lauter.

Manche Gäste haben ihr Kind zur Party mitgebracht, sie machen nur einen kurzen Zwischenstopp auf dem Weg zum Familienpicknick am Badesee. Andere haben seit Stunden oder Tagen nicht geschlafen, sind direkt vom Club zum Ausspannen auf die kleine Insider-Feier gekommen. Sie wollen ein paar Sonnenstrahlen abbekommen, einen Happen von Papptellern essen, bevor sie sich wieder auf den Weg in die Clubs machen. Ihre Sonnenbrillen sind groß genug, um ihre Augenränder verschwinden zu lassen.

Party-Community

Die Sonne brennt heiß, die Dachpappe wird weicher, klebt schließlich an den Sneakern der Feiernden. "Festkleben ist besser als runterfallen", lacht einer, der gut angetrunken über das ungesicherte Dach läuft. Ein Mädchen, das sich einen Aufkleber mit Werbung für ein Konzert in den Schritt geklebt hat, streckt sich und entblößt dabei eine winzige Tätowierung in ihrer Achselhöhle. Es ist das Logo einer kleinen Party-Community, die im Internet über Sofortmaßnahmen nach Drogenüberdosis und die besten Feier-Termine diskutiert. So auch über diese Party auf dem Dach.

"Mein Netzwerk funktioniert", sagt Bodenhausen. Aber mittlerweile müsse er seine Kontakte ganz schön strapazieren, um eine Location wie das Dach auf dem Postfuhramt aufzutreiben. Noch vor ein paar Jahren sind Bodenhausen und seine Freunde zum Feiern wahllos in leerstehende Häuser gegangen. Doch heute nähern sich die Mietpreise in Mitte und Prenzlauer Berg langsam dem normalen Niveau einer großen Stadt - leerstehende Häuser sind selten geworden. "Für spontane Parties absolut ungünstig", klagt Bodenhausen, der am liebsten überhaupt keine Miete zahlen will. Drüben auf dem Tacheles habe er früher gefeiert, erinnert er sich und blickt nachdenklich auf das Kunsthaus, das nur ein paar Hundert Meter entfernt steht. "Und auf jedem anderen Haus in Mitte eigentlich auch."

Den Trend zum Dach gibt es in Berlin nicht nur wegen der steigenden Mietpreise, sondern auch, weil die allermeisten Altbauten der Stadt ein großes Flachdach haben, das über die Dachkammer zu erreichen ist. Schafft man es auf ein Dach nicht durchs Treppenhaus, erreicht man es oft vom nebenstehenden Gebäude. Punks nutzen Dächer als Schlafplätze, freiberufliche Werbefilmer als schnelle Möglichkeit, einen Spot ohne Menschen im Hintergrund zu drehen. Die Nutzer der Dächer sind so unterschiedlich wie ihre Beweggründe, nach oben zu klettern. Es ist ihr Glaube an Dächer als öffentlichem Lebensraum, der sie eint: Die Dächer in den Wohnvierteln sollen Freiräume bleiben, auch wenn die darunter liegenden Wohnungen längst saniert und teuer verkauft werden.

Fußballspielen auf dem Dach

Auch die Behörden haben das Potential der Flachdächer entdeckt. Auf dem Dach eines Supermarktes in der Brache östlich des Ostbahnhofs haben sie einen 8750 Quadratmeter großen Fußballplatz anlegen lassen. Dort könnte jederzeit ein Fifa-Spiel angepfiffen werden, alle Normen passen. Ein knapp neun Meter hoher Zaun sorgt dafür, dass auch hohe Bälle wieder auf dem Dach landen. Der Andrang auf den Platz ist so gewaltig, dass das Schulamt des Bezirkes die Anfragen von Profivereinen wie Hobbykickern sorgfältig koordinieren muss.

Und natürlich ist die Idee vom nutzbaren Dach längst kommerzialisiert worden. Der erfolgreiche, aber von der Szene weitgehend ignorierte Club Weekend, der in den oberen Etagen eines Hochhauses am Alexanderplatz residiert, hat seinen Dancefloor um eine große Dachterrasse erweitert. Der Ausblick über das schlafende Berlin ist für viele ein Grund, dort zu feiern.

Ohnehin ist in Berlin das Gefühl verbreitet, dass nichts so wichtig ist, wie die nächste Feier. Der Job nicht, die Beziehung nicht und schon gar nicht das eigene Auto. Dementsprechend stehen auch auf dem Parkdeck des großen Einkaufszentrums Schönhauser Allee Arcaden keine Autos, sondern ein paar glückliche Berliner mit Bier in der Hand. "Wir haben hier früher immer gegrillt und an Silvester unsere Kracher losgelassen", sagt Ingo Bauschke, der die Bar auf dem Parkhausdach betreibt. "Damals war das so berlinmäßig", sagt er und meint eigentlich, dass er und seine Freunde niemanden um Erlaubnis gefragt haben, bevor sie ihre Grillpartys gefeiert haben. Seit drei Jahren allerdings lässt Bauschke in jedem Mai 80Tonnen Sand auf dem Parkdeck aufschütten. Das hat er mit den Eigentümern des Parkhauses doch lieber abgesprochen. Bei gutem Wetter kommen pro Tag bis zu 500 Gäste in die Bar auf dem Parkdeck. Im September wird der Strand weggeräumt. "Aber nur bis zum nächsten Jahr", sagt Bauschke.

Bei Bodenhausen auf dem Dach hat die Party mittlerweile eine unvorhergesehene Wendung genommen. Dicke Tropfen prasseln vom Himmel. Die Gäste flüchten in die angrenzenden Geschäftsräume eines Internet-Musikunternehmens, das nicht nur den Zugang zum Dach ermöglicht hat, sondern auch die DJs stellt. Bodenhausen greift zum Handy und bestellt die Live-Band ab, die am Abend spielen sollte. Gäste tragen die Plattenspieler ins Haus. Die Party ist vorbei. "Ach was", sagt Bodenhausen, "meine Party ist nie vorbei." Er schwingt sich aufs Fahrrad. Ab in den Club.

© SZ vom 11.07.2009/aro - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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