Ich bin seit 45 Jahren glücklich verheiratet. Mein Mann ist seit langer Zeit an Parkinson erkrankt, läuft wackelig und sieht schlecht. Trotzdem ist er weiterhin sehr unternehmungslustig, überschätzt aber, was er noch kann. Da Fahrradfahren für ihn zu anstrengend geworden ist, wünscht er sich nun ein Elektrofahrrad. Ich halte das für viel zu gefährlich. Muss ich ihn trotzdem lassen? Stefanie M. aus Hamburg
Kirsten Fuchs:
Es mag sein, dass Sie das tatsächlich besser einschätzen können und er also nicht mit dem Elektrofahrrad fahren sollte, und trotzdem sind Sie nicht seine Mutter. Vielleicht aber müssen Sie beide jetzt neue Rollen für sich entwickeln. Dass er die Rolle des Pflegebedürftigen noch nicht annehmen will, finde ich verständlich. Dass Sie bereit sind für Ihre Rolle als Beschützerin und Pflegende, ist gut, aber beide Rollen können nicht ohne Zustimmung des anderen gefunden werden. Sinnvoll wäre es, einen Arzt zu fragen, sodass Ihr Partner nicht das Gefühl hat, dass Sie zu vorsichtig sind, ihn bevormunden und ihn in seinem Zustand definieren. Ich finde, jeder Erwachsene muss selbst Verantwortung für sein Leben übernehmen, ob er nun Heli-Ski fährt oder kifft. In einer Partnerschaft darf man dem anderen aber natürlich sagen, wenn man etwas nicht erträgt. Wie wäre es, wenn er Helm trüge und Stützräder benutzte? Da die Krankheit von allein Stück für Stück einschränkt, sollte er möglichst tun, was er tun kann. Und es genießen. Das ist doch besser, als wenn Sie geschrieben hätten: "Er liegt nur rum und traut sich nichts mehr zu."
Jesper Juul:
Wie Sie vielleicht wissen, sitze ich seit 2012 im Rollstuhl und seitdem habe ich viele professionelle Helfer und Freunde getroffen, die mich gerne, wo immer es nur ging, unterstützen wollten. In meiner Ausbildung zum Familientherapeut hat mich aber einer meiner Lehrer einen wichtigen Satz gelehrt: "Nehme nie einem Kind eine Aufgabe ab, die es selbst erledigen könnte. Oder frage es zumindest: Darf ich das für dich tun?" In Ihrem Fall ist Ihr Mann in einem ähnlichen Entwicklungsprozess, in dem er seine neuen Einschränkungen kennenlernen muss. Deshalb rate ich Ihnen, etwas in dieser Art zu sagen: "Ich hab' Angst, dass das Elektrofahrrad zu gefährlich für dich ist, obwohl ich deinen Wunsch verstehe. Können wir beide ein paar Nächte über die Sache schlafen? Und wenn du es dann immer noch willst, werde ich mich dir nicht in den Weg stellen."
Collien Ulmen-Fernandes:
Ihr Mann ist mir auf Anhieb sehr sympathisch. Ich würde in einer ähnlichen Lage wahrscheinlich larmoyant nach Pflegekräften kreischen und statt eines E-Bikes würde ich mir eine Sänfte zu Weihnachten wünschen. Respekt an ihn! Ich bin kein Experte für E-Bikes, habe aber gehört, dass sie mehrere Gänge besitzen; in den kleineren Gängen wirkt der Motor nur sanft unterstützend, so, als führe ein leichter Wind in den Rücken ihres Mannes, als hätte er wieder starke Oberschenkelmuskeln. Eigentlich eine schöne Vorstellung, oder? Vielleicht schenken Sie ihm das E-Bike, verabreden aber, dass er nur den allerersten Gang benutzen darf; den zweiten, dritten und vierten nur an besonders ungefährlichen, ebenen Strecken, und den fünften Gang nur heimlich, wenn er alleine und in Lederjacke in die Freiheit rast, wie es sich für einen E-Biker gehört. Einverstanden?