Familientrio:Schweigen und genießen?

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Eine Tante ist Vegetarierin und hat damit ihre Nichte angesteckt. Die Mutter will kein Theater beim Essen. Muss die Tante den Mund halten?

Ich bin seit meiner Kindheit Vegetarierin. Meine Schwester und ihre Familie essen Fleisch. Als meine Nichte, 7, nachfragte, habe ich ihr erklärt, dass ich keine Tiere essen will. Danach mochte sie kein Lamm mehr. Meine Schwester ist natürlich genervt, sie will kein Theater ums Essen. Aber deshalb lügen? Ich finde es wichtig, dass Kinder wissen, dass Fleisch nicht an Bäumen wächst. Emma Nickles aus Heidelberg

Kirsten Fuchs:

Kirsten Fuchs ist Schriftstellerin und lebt mit zwei Töchtern, Mann und Hund in Berlin. Sie schreibt vor allem Kurzgeschichten und Romane, aber auch Theaterstücke sowie Kinder- und Jugendbücher. Ihr Buch "Mädchenmeute" erhielt 2016 den Deutschen Jugendliteraturpreis. (Foto: Stefanie Fiebrig)

Kinder brauchen mehr Vorbilder als nur ihre Eltern. Erst so können sie ihre eigenen Werte entwickeln. Ich finde Tiere essen auch falsch! Wenn ein Kind kein Lamm essen möchte, halte ich das für eine total normale Reaktion des Herzens. Bitte! Das ist ein Lamm! Die sind voll süß! Ich finde es auch richtig, dass Sie dem Kind die Wahrheit gesagt haben, weil Massentierhaltung krank und bösartig ist und noch dazu ungesundes Essen dabei herauskommt. Es wird in der Schule sowieso zu ihrer Nichte durchdringen, obwohl in unserer Gesellschaft eher ungern darüber gesprochen wird. Lieber über böse Tüten und Palmöl. Da wissen die Kinder oft Bescheid, aber sie wollen trotzdem ihr Plastikspielzeug und Strohhalme im Milchshake und Nutella. Es ist schwierig, verantwortungsvolle Konsumenten heranzuziehen, denn nicht mal Erwachsene können immer verantwortungsvoll konsumieren. Andererseits haben Eltern immer die Zukunft ihrer Kinder im Blick, warum nicht beim Fleischessen? Es ist nicht nur Mist, dass es den Tieren schlecht geht, es ist auch für die Umwelt schlecht. Ja, haben Sie ruhig einen guten Einfluss als Tante. Ihre Nichte wird sowieso ihre eigenen Schlüsse ziehen. Und Theater ums Essen? Bitte, das gibt's doch immer!

Jesper Juul:

Jesper Juul war Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind". Er war von Anfang an bis kurz vor seinem Tod im Sommer 2019 beim Familientrio dabei. (Foto: Anne Kring)

Heutzutage ist es nur eine Frage von Tagen oder Wochen, bis ein Freund oder Lehrer dem Kind diese Zusammenhänge klarmachen wird: Dass wir mit jeder Entscheidung, die wir treffen, auch das Klima beeinflussen - sei es, ob wir nun einkaufen gehen oder das nächste Familien-Menü planen. In diesem Fall kam es von Ihnen, und ich denke, beide Seiten - Sie und Ihre Schwester - würden Ihnen allen drei einen Gefallen tun, wenn Sie das Mädchen fragen würden, warum es sich von Ihren Gedanken angezogen fühlt, und warum es Sie nachmachen möchte. Es ist eine schlechte Angewohnheit, immer einen Schuldigen zu suchen.

Collien Ulmen-Fernandes:

Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter wohnt in Potsdam und hat den Kinderbuch-Bestseller "Lotti und Otto" und den Elternratgeber "Ich bin dann mal Mama" verfasst. (Foto: Anatol Kotte)

Das vielleicht meistdiskutierte Thema dieser Generation, die Frage der Ernährung und der Unverträglichkeiten, der Fleischbestandteile und Proteinersätze, läuft für mich am Ende immer auf die simple Fragestellung hinaus, was ein Mensch gern isst. Nicht, was er essen soll, im Rahmen einer Paleo-Diät oder einer buddhistischen Erziehung, sondern was er mag. Welche Früchte, welche Nüsse, welche Tiere. Ich bin davon überzeugt, dass der Körper ziemlich genau weiß, was er wann braucht, und es uns auch mitteilt. Im Falle von Fleisch kommt neben dem Körper natürlich auch das eigene Wertesystem hinzu. Kinder haben ja oft den Impuls, Fleisch aus denselben Gründen abzulehnen wie Sie. Das ist ein schützenswerter, freundlicher Gedanke der Kinder. Niemals würde ich einem solchen Vegetarierkind Fleisch anraten. Auch umgekehrt wäre ich vorsichtig und würde keinem fleischessenden Kind allzu drastisch erklären, was gegen Fleischkonsum spricht. Aber eine ehrliche, unemotionale Erklärung, warum man sich dazu entschlossen hat, ist völlig okay und sollte nicht mit einem Aussprechverbot belegt werden.

© SZ vom 19.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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