Familientrio:Ein Blick zu viel

Muss man seiner Schwester erzählen, was man durch Zufall auf dem Rechner ihres Mannes entdeckt hat - nämlich lauter noch geöffnete Pornoseiten? Oder hält man lieber einfach den Mund und mischt sich nicht ein?

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Neulich war ich bei meiner Schwester zu Besuch. Um kurz meine Mails zu lesen, durfte ich den Rechner meines Schwagers benutzen. Nachdem er sein Passwort eingegeben hatte, um den Computer für mich freizugeben, starrten wir zusammen auf den Bildschirm, auf dem noch geöffnete Internetseiten zu sehen waren - lauter Pornos. Er klickte schnell alles weg und sagte kein Wort mehr dazu. Muss ich meiner Schwester erzählen, was ihr Mann sich so alles im Internet anguckt? Sabine U., Hamburg

Kirsten Boie

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(Foto: Christian Charisius/dpa)

Wie schwierig! Für mich hängt in dieser Situation alles davon ab, wie Sie die Ehe Ihrer Schwester erleben. Denn Sie sind hier ja - natürlich gegen Ihren Willen - ganz tief in die intimste Privatsphäre Ihres Schwagers eingedrungen. Wahrscheinlich (genau wissen können Sie das natürlich nicht) hält er das auch vor seiner Frau geheim und daher würde in diesem Fall das Diskretionsgebot gelten, solange niemand geschädigt wird. Sie schreiben ja nicht, dass es sich um Kinderpornos gehandelt hat, und Sie schreiben auch nicht, dass es Probleme in der Ehe Ihrer Schwester gibt. So schwer das vielleicht auch nachzuvollziehen sein mag: Offenbar gibt es gar nicht so wenige Männer, die trotz einer glücklichen Beziehung das Bedürfnis haben, sich pornografische Filme im Internet anzusehen. Wenn also die Ehe Ihrer Schwester glücklich ist, frage ich mich, warum Sie sie dann durch diese Informationen, die eigentlich gar nicht für Ihre Augen bestimmt waren, belasten sollten? Manchmal muss man ein Geheimnis aushalten können. Anders sieht es vielleicht aus, wenn Ihre Schwester Ihnen schon oft ihr Leid über ihre Ehe geklagt hat. Kirsten Boie ist Schriftstellerin und Autorin von mehr als hundert Kinder- und Jugendbüchern, darunter die allseits bekannten und geliebten Geschichten "aus dem Möwenweg" oder die Abenteuer des kleinen "Ritter Trenk".

Jesper Juul

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(Foto: Anne Kring)

Wenn Sie diese Situation weiterhin beschäftigt, sollten Sie mit Ihrem Schwager darüber reden. Denn das, was er sich im Internet anguckt, gehört schließlich zu seinem Privatleben. Wenn Sie glauben, dass Ihre Schwester auch unbedingt davon erfahren muss, können Sie ihn dazu ermutigen, mit ihr darüber zu sprechen. Sollte Ihr Schwager das jedoch nicht wollen, sollten Sie schließlich über Ihre eigenen moralischen Vorstellungen nachdenken und sich folgende Fragen stellen: Müssen Sie Ihre Schwester "schützen" und wenn ja, wovor eigentlich? Und ist es für Sie moralisch richtig, im schlimmsten Fall eine Ehe zu stören oder gar zu zerstören? Diese Fragen können Sie nur sich selbst beantworten. Jesper Juul ist Familientherapeut in Dänemark und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familie.

Katia Saalfrank

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(Foto: picture alliance / dpa)

Wie nett von Ihrem Schwager, dass er Sie an seinen Rechner gelassen hat. Und wie offensichtlich unangenehm für ihn, dass er an dieser Stelle eine intime Privatheit unfreiwillig mit Ihnen geteilt hat. An seiner Reaktion, darüber zu schweigen, merken Sie jedenfalls, dass ein Gespräch darüber unter Umständen schwierig werden könnte. Vermutlich ist es auch nicht gewünscht. Wenn Ihre Schwester von sich aus auf Sie zukommt und Ihnen dies als Problem schildert, können Sie immer noch reagieren. Katia Saalfrank ist Pädagogin, Musiktherapeutin und wurde als Fachberaterin in der Sendung "Die Super Nanny" bekannt. Heute arbeitet sie in ihrer eigenen Praxis in der Eltern- und Familienberatung.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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