Familie & Partnerschaft:Zoffen ohne Zoff

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Wie schafft man es, so zu streiten, dass es am Ende nur ein paar kaputte Teller sind, nicht aber eine kaputte Beziehung? (Foto: Michael Lewis/Gallery Stock)

Alle wollen es, kaum jemand schafft es: Viele Paare sind Großmeister darin, sich gegenseitig niederzumachen. Dabei wäre konstruktiver Streit gesünder.

Von Werner Bartens

Da sitzt dieses in Ehren ergraute Paar in der Bahn und sie mäkelt an ihm herum, sodass man den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anrufen will. Grob zerrt sie an seiner Jacke, die angeblich nicht richtig sitzt, beschimpft ihn, dass er sich schon wieder bekleckert hat und dieses Hemd sowieso und überhaupt nicht zu den anderen Sachen passt. Man möchte schon Mitleid mit ihm haben, weil er so zerknittert in die Welt schaut, dann bellt er zurück. Was für eine zickige Person sie sei, dass sie ihn nie in Ruhe lassen könne und immer das letzte Wort haben muss. Es folgen beidseitige Beleidigungen, die Lautstärke steigt. Irgendwann ist der Abteilwechsel unausweichlich.

Vom anderen genervt sein bedeutet auch, dass man noch Gefühle füreinander empfindet

Die beiden sind weit in den Siebzigern. Hört das denn nie auf? Schaffen es Paare nicht einmal nach Jahrzehnten des Dauer-Clinches sich zu vertragen? Die gute Nachricht vorweg: Wenn altgediente Paare sich immer wieder streiten, ist das noch lange kein Grund, die Beziehung am Ende zu sehen, im Gegenteil. Der regelmäßige Zwist ist vielmehr ein gutes Zeichen. Solche Paare bleiben lange zusammen. Immer wieder vom anderen genervt zu sein, sich über die notorisch liegen gelassenen Klamotten oder die von vorne ausgedrückte Zahnpastatube zu ärgern, beweist schließlich, dass sich beide noch längst nicht gleichgültig sind. Mann und Frau empfinden immerhin noch Gefühle füreinander - auch wenn es momentan gerade ziemlich negative Gefühle sind.

Es erfordert ja einen ziemlichen Aufwand, sich über den Partner zu ärgern und sich dann auch noch mit ihm auseinanderzusetzen. Das verbindet, auch wenn es - zugegeben - erfreulichere Gemeinsamkeiten gibt. Wäre einem der andere egal, würde man die Energie zum Streit ja gar nicht mehr aufbringen. Die roten Alarmleuchten für eine Partnerschaft sollten also erst angehen, wenn aus einer lautstarken Beziehung eine leise wird und sich keiner mehr über den anderen aufregt. Wer einander so gleichgültig ist, dass ihn die Macken und fremden Ansichten des Partners nicht mehr stören, hat sich emotional längst aus der Beziehung verabschiedet.

Es gibt also wirklich keinen Grund, gleich das Ende der Partnerschaft zu befürchten, nur weil er sie mal wieder anbrüllt und sie ständig herumkeift und kein gutes Haar an ihm lässt. Allerdings sollte man darauf achten, dass die gegenseitige Zerfleischung nicht zum Dauerzustand wird: Manche Paare hängen ja nur noch aneinander wie zwei ineinander verbissene Hunde.

Natürlich gibt es auch das Leben der anderen, das jene besonnenen Zeitgenossen führen, die es immer und überall darauf anlegen, jeden Konflikt zu vermeiden. In ihrer Partnerschaft geht es ruhig zu: Sie haben erkannt, dass sich Streit selten lohnt und sie in der Beziehung immer wieder in die gleichen Sackgassen der Kommunikation rennen und sich verhaken würden. Deshalb umgehen sie die typischen Minenfelder und sparen sich so eine Menge Energie. Klingt entspannter, aber vielleicht entgehen ihnen dadurch die Achterbahnerlebnisse einer Partnerschaft, die Höhen und Tiefen des Miteinanders, die den Gefühlshaushalt von der Nulllinie abheben.

Gesünder wäre es ja, einander friedlich und weise gelten zu lassen - und nicht bei jedem nichtigen Anlass bis aufs Blut zu streiten. Der dauernde Kampf zwischen Paaren schlägt sich schließlich im Körper nieder; jeder Konflikt hinterlässt Spuren. Es kommt allerdings sehr darauf an, wie man streitet. Wissenschaftler um Janice Kiecolt-Glaser an der Ohio State University haben das eindrucksvoll gezeigt. Sie fügten Paaren, die sich - das muss man hier betonen - freiwillig für das Experiment gemeldet hatten, in zwei verschiedenen Sitzungen kleine Wunden auf den Armen zu. Im ersten Fall wurden die Paare von Psychologen beraten, wie sie typische Probleme ihrer Beziehung besser lösen konnten. Im zweiten Durchgang lenkten die Wissenschaftler das Gespräch gezielt auf besonders heikle Paarthemen und legten es geradezu darauf an, dass sich eine aggressive Diskussion entwickelte.

Die Unterschiede waren eklatant: Hatten die Paare Hilfestellung im Gespräch bekommen und verhielten sich im Streit besonnen, heilten ihre Wunden schneller wieder zu als bei jenen, die sich angifteten und niedermachten. Fiel die Auseinandersetzung sehr verletzend aus, lief das Alarmsystem des Körpers auf Hochtouren. Stresshormone wie Cortisol waren noch am nächsten Morgen erhöht, feindliche Erreger konnten nicht gut bekämpft werden, weil das Immunsystem geschwächt war, die Blutgerinnung blieb über Stunden beeinträchtigt. Für zerstrittene Paare gilt also auch im Wortsinne, dass ihre Wunden nicht so gut heilen.

Die Unterschiede beziehen sich wohlgemerkt nicht auf den Grund für die Auseinandersetzung, sondern auf die Art und Weise, wie der Streit geführt wird. Es geht schlicht darum, den anderen im Konflikt nicht zu entwerten und trotzdem andere Meinungen gelten zu lassen. Idealtypisch heißt das, Sätze zu verwenden wie: "Liebling, ich sehe das zwar ausnahmsweise anders als du, aber ich liebe dich trotzdem." Die schlimmsten Waffen im Beziehungskampf sind neben wüsten Beleidigungen hingegen Generalisierungen, die mit "nie hörst du . . .", "immer machst du . . ." oder "ständig glaubst du . . ." beginnen. Wer den anderen zuverlässig in Rage bringen will und auf die höchste Eskalationsstufe abzielt, lässt beiläufig fallen, dass sich der Partner mal wieder genauso wie die eigene Mutter, der Vater oder - auch immer wieder gerne genommen - "genauso wie gegenüber deinem/r Ex" verhalten hat.

Im häuslichen Stellungskrieg hat es sich zwar bewährt, nicht jedes wütend herausgeschleuderte Wort auf die Goldwaage zu legen und besser kurz das Zimmer zu verlassen, wenn sich der Schwall wüster Beschimpfungen kaum noch aufhalten lässt. An die Luft statt in die Luft gehen. Trotzdem bleiben manche Verletzungen lange haften und breiten sich aus wie ein Geschwür. Die Psychologen John Gottmann und Robert Levenson von der Universität Berkeley haben ermittelt, dass sich Paare dann früh trennen, wenn sie einander ständig kritisieren, sich bei der kleinsten Kritik gleich in eine Abwehrhaltung begeben und weder die Ansichten noch die Gefühle des Partners an sich heranlassen.

Der wichtigste Unterschied zu den Paaren, die lange zusammenblieben, war ihr Verhalten im Streit. Zwar lassen sich negative Gefühle, Wut und Ärger im Konflikt kaum vermeiden. Bei den Streithähnen, die sich in den nächsten Jahren scheiden ließen, waren jedoch nur noch Verachtung und Abscheu füreinander zu erkennen und keine milden, ausgleichenden Worte mehr im Arsenal. Die liebenswerte Seite an ihrem Partner konnten diese Menschen schon lange nicht mehr wahrnehmen. Der chronische Streit war eher der immer wieder genutzte Anlass, den anderen erneut herabzusetzen und fertigzumachen.

Konstruktiv streiten heißt nicht automatisch, dass man dem anderen auch sofort vergibt

Trotz aller Benimmregeln für konstruktiven Streit heißt das nicht, sofort zu vergeben, wenn der Partner sich mies verhalten hat. "Es kann hilfreich sein, den anderen eine Weile spüren zu lassen, dass man gekränkt ist, statt gleich zu verzeihen", sagt der Psychologe James McNulty von der Florida State University. Jeden Konflikt umgehend in Harmonie-Soße zu ertränken, kann zwar im ersten Moment entspannter sein, langfristig geht dies aber womöglich auf Kosten der Beziehung. Anzusprechen, welches Verhalten am Partner stört, und darüber zu reden, was man vermisst und was verletzt, wirkt auf Dauer verbindender. Diese falsche Form der Rücksichtnahme kommt gerade bei jenen Menschen öfter vor, die nicht gelernt haben, gut für sich zu sorgen, hat McNulty beobachtet.

Zur höheren Kunst des Beziehungsstreits hat es gebracht, wer frühzeitig ahnt, was den Partner gleich auf die Palme bringen wird - und dies mit liebevollem Verständnis abfedert. Schließlich müssten Männer mittlerweile wissen, dass Frauen sie als eine Art Gestaltungsprojekt verstehen, an dem es immer etwas zu verbessern gibt und das trotzdem - wie der Berliner Flughafen - nie fertig wird. Und Frauen sollten einsehen, dass es nicht unbedingt gegen sie gerichtet ist, wenn er sich mal wortkarg zurückzieht.

Leicht sind diese Erkenntnisse nicht umzusetzen, wie schon Clint Eastwood wusste: "Es gibt nur einen Weg, eine glückliche Ehe zu führen, und sobald ich erfahre, welcher das ist, werde ich erneut heiraten."

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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