Erinnerungsorte:Die Überflieger

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Der Hamburger Flughafen heißt jetzt Airport Helmut Schmidt. Auch andere Städte haben ihre Landeplätze nach Prominenten benannt, selbst wenn einige ziemlich abgehoben waren.

Genau genommen ist der Hamburger Flughafen zu provinziell für den Hamburger Welterklärer. Man braucht sich ja nur das Streckennetz anzusehen: ein einziger Direktflug aus der Hansestadt in die USA (nach Newark/ New York), zwei nach Dubai. Der Rest? Europa und Umgebung - kinderleicht lässt sich zum Beispiel Mallorca erreichen, die nach Sylt beliebteste Insel des Nordens. Es gibt hier allerlei Billiglinien, aber keine Flüge nach Tokio, Washington oder São Paulo wie aus München und Frankfurt, von wo aus man umsteigefrei Japans Kaiser oder Barack Obama besuchen könnte. Doch Helmut Schmidt kam halt nicht aus Oberbayern oder Hessen, sondern aus Hamburg-Langenhorn. So heißt der Flughafen in seinem Nachbarviertel Fuhlsbüttel nun Hamburg Airport Helmut Schmidt.

Kürzlich wurde der erste Schriftzug mit dem Namen des früheren Bundeskanzlers am Terminal montiert, 8,65 Meter breit und 0,85 Meter hoch. Am 10. November 2015 war der oberste Hanseat im Alter von 96 Jahren verstorben. Danach war klar, dass er über seiner Heimat schweben würde. Zunächst wurde das Zeit-Haus im Zentrum zum Helmut-Schmidt-Haus. Jetzt folgt der Hamburg Airport Helmut Schmidt, der seinen Patron außerdem mit einem Empfang und einer Ausstellung zum ersten Todestag ehren wird. Schmidt war Nachbar des Flughafens, Amtsleiter für Verkehr, Ehrenvorsitzender im Aufsichtsrat, Vielflieger und sowieso berühmtester Hamburger. Da drängten sich die Hommagen auf.

Zu den Flughäfen von Konrad Adenauer und dem Ex-Hobbypiloten Franz Josef Strauß fliegt man schon seit Längerem, ihr Ableben liegt aber auch deutlich weiter zurück. Wobei sich München in der Luftfahrt zum Glück das Kürzel MUC erhalten hat, statt zu FJS zu wechseln (hätte der CSU womöglich gefallen), und bei Köln/Bonn ist der Zusatz "Konrad Adenauer" nicht jedem Reisenden geläufig. Düsseldorfs Flughafen wiederum sollte in diesem Jahr nach Johannes Rau benannt werden, dem einstigen Landesvater und Bundespräsidenten, doch es gab keine ausreichende Lobby. Und das Drama um Willy Brandt in Berlin-Brandenburg ist bereits Legende: Seit Ewigkeiten wartet das Mysterium im Osten der Hauptstadt auf seine Eröffnung, unterdessen hat sogar Hamburg seine Elbphilharmonie fertiggebaut.

Das mit Willy Brandt und der Berliner Flughafenpanne ist ein kleiner posthumer Triumph für Helmut Schmidt, sein Vorgänger im Kanzleramt war bei sozialdemokratischen Sozialdemokraten beliebter als er. Ansonsten fragt man sich, wie Schmidt zuletzt überhaupt noch flog. In seinen größten Zeiten durfte man im Flugzeug noch gemütlich qualmen, später nicht mehr. Man ahnt, wie einer über den Wolken litt, der auf der Erde sonst überall die Aschenbecher gefüllt hat. Zu seinen Ehren müsste es glatt noch mal ganz kurz erlaubt sein: "Sehr geehrte Fluggäste, ziehen Sie schnell an der Mentholzigarette, wir werden in Kürze auf dem Flughafen Helmut Schmidt in Hamburg landen."

Antonio Carlos Jobim, Rio

In einer schmachtenden Liebeserklärung an seine Heimatstadt Rio de Janeiro, dem "Samba do Avião" (Flugzeug-Samba), singt, besser gesagt haucht Tom Jobim vom Himmel herab: "Ich sterbe vor Sehnsucht. In ein paar Minuten sind wir am Galeão." Unter diesem Namen ist der internationale Flughafen von Rio einst eröffnet worden, sein seltsames Kürzel GIG steht für "Governador Island's Galeão Beach". Nach dem Tod des großen brasilianischen Bossa-Nova-Helden wurde der Name 1999 per Präsidialdekret um den Zusatz "Antonio Carlos Jobim" erweitert und später offiziell auf dessen Rufnamen Tom Jobim verkürzt. Der Taufpate hat sich das verdient, welcher Flughafen hat schon eine eigene stilprägende Hymne? Im Volksmund heißt der Airport aber bis heute Galeão. Vermutlich handelt es sich um den einzigen großen Flughafen der Welt, in dem man keine Zeitung kaufen kann. Kein Bedarf. Der moderne Brasilianer starrt so gerne auf sein Handydisplay wie der gute alte Jobim auf Rio herabblickte.

Queen Alia, Amman

Königin Alia von Jordanien hatte ihr gesamtes Leben einen gewissen Sinn für Glamour - und selbst die Weise, auf die es jäh endete, war ein wenig extravagant. Die dritte Ehefrau des Haschemiten-Königs Hussein I. starb im Februar 1977 bei einem Hubschrauberabsturz nahe Amman. Sechs Jahre später wurde dort der neue Flughafen nach ihr benannt, in Jordanien scheint man nicht allzu viel auf schlechte Omen zu geben. Das ursprüngliche Gebäude im orientalisierten Beton-Stil wurde 2013 durch ein neues Terminal ersetzt. Wie Jordanien selbst ist es eher aufgeräumt und relativ schnell durchquert. Mit seinem futuristischen Dach aus Wabenkonstruktionen erinnert es zugleich auch an Alias Zeit, in der man noch gut gelaunt an eine moderne Zukunft glaubte. Das passt zu der Diplomatentochter, die in Rom und New York studierte und ihren künftigen Mann, den König, bei Vorbereitungen für eine Wasserski-Meisterschaft kennenlernte.

Lech Walesa, Danzig

Eigentlich hat der Ex-Arbeiterführer und Ex-Präsident stets Papst Johannes Paul II. als höchste Autorität auf Erden gepriesen. Und der hatte über all die JPII-Plätze und Papst-Denkmäler im Lande abwehrend gesagt: "Zu Lebzeiten haben das nur die Pharaonen bekommen." So wunderten sich die Polen auch nicht, dass Walesa unwirsch reagierte, als ein Kreisverkehr in Danzig nach ihm benannt wurde. Aber bald war klar, dass er sich aus anderem Grund ärgerte: Das war ihm zu popelig! Denn als die Flughafengesellschaft 2003 wegen des Airport-Namens bei ihm anfragte, nickte er zufrieden. Endlich besann sich wieder jemand auf seine wahre Größe, hatte doch er das Sowjetimperium zum Einsturz gebracht, so erzählt es der immer schratiger werdende Schnauzbart. Seine Landsleute aber lächelten gequält: Jetzt hat er ganz abgehoben. Immerhin tut der Name dem drittgrößten Flughafen Polens offenbar gut. Seit er ihn trägt, haben sich die Passagierzahlen verzehnfacht, zuletzt lagen sie bei 4,7 Millionen pro Jahr.

John F. Kennedy, New York

Der John F. Kennedy International Airport wird natürlich von niemandem in New York jemals als John F. Kennedy International Airport bezeichnet, sondern von allen und immer nur als Dschej-Eff-Key: "Wir landen gleich in JFK". Manche New Yorker sagen auch, sie landeten in Idlewild, aber das sind dann entweder sehr alte New Yorker oder Snobs, denn Idlewild hieß der Golfplatz, auf dem der Flughafen Anfang der Vierzigerjahre angelegt wurde. Der Name blieb haften, gerade weil die Stadt mit sperrigen Umtaufungen nicht sparte. 1943: Major General Alexander E. Anderson Airport, 1948: New York International Airport, Anderson Field. Einen Monat nach der Ermordung von Präsident Kennedy 1963 wurde schließlich JFK daraus, und JFK zu einem Synonym für New York - so wie "La Guardia", der nach Bürgermeister Fiorillo La Guardia benannte Binnenflughafen, zum Synonym für katastrophale Überlastung und von der Landebahn rutschende Boeings wurde. Der einzige Flughafen, dessen Name zumindest ein bisschen so klingt wie New York, heißt in Wirklichkeit "Newark" und liegt zwar ganz in der Nähe, aber in New Jersey. Dazu aber verhält sich die Stadt wie Berlin zu Brandenburg.

Indira Gandhi, Delhi

Mit eiserner Faust regierte sie ein nahezu unregierbares Land, mit der Demokratie nahm es Indira Gandhi dabei nicht so genau. Als ein Gericht ihr im Jahr 1975 Korruptionsvergehen bei Wahlen nachwies, ließ sie den Notstand verhängen: Geschadet hat das der Tochter des indischen Staatsgründers Nehru nicht. Als Gandhi einem Attentat zum Opfer fiel, wurde schon bald darauf der Flughafen in der Hauptstadt Delhi nach ihr benannt. Inzwischen können jährlich bis zu 34 Millionen Passagiere abgefertigt werden, im Jahr 2026 sollen es sogar dreimal so viele sein. Dass man als Reisender auch mal stundenlang im Transitbereich stecken bleibt, dass im neuen Terminal 3 Teppichböden liegen, wo aufgrund von Hitze, Staub und Feuchtigkeit Steinböden die bessere Option gewesen wären - geschenkt. In Indien hat das Chaos halt Methode. Doch irgendwer muss angesichts der Masse Mensch auch hier im Hintergrund mit eiserner Faust dafür sorgen, dass man den Anschlussflug dann doch noch irgendwie erreicht.

Reina Beatrix, Aruba

"Una isla feliz" lautet der Wahlspruch der Karibik-Insel Aruba, die zu den kleinen Antillen zählt und ein autonomer Teil der Niederlande ist, auch wenn das Wetter meist besser ist. Was braucht man, für so ein Urlaubsdomizil mit Schnorchelgarantie, Spielbank und Puderzuckerstrand? Klar, einen ordentlichen Flughafen, wo man so rasch wie möglich abgefertigt wird. 1925 landeten die ersten Flugzeuge auf Aruba, seit 1955 trägt der Airport den Namen der niederländischen Königin Beatrix - sie war gerade mal 17 und eine in Diplomatie noch unerfahrene Prinzessin, als sie Namensgeberin wurde. Als solche hat sie dennoch segensreich gewirkt: Mittlerweile zählt die modernisierte Destination mehr als zwei Millionen Passagiere im Jahr. Beatrix hat mit Aruba zwar nicht wirklich viel am Hut, aber das macht nichts. Sie verleiht dem Flughafen ein wenig monarchischen Glanz.

Texte: Moritz Baumstieger, Boris Herrmann, Tobias Matern, Christian Mayer, Peter Richter, Thomas Urban

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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