Dany Boon:Wird schon alles gut

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Er ist derzeit der erfolgreichste französische Filmkünstler. Dabei ist Dany Boon viel mehr als nur ein einfacher Komiker: Den Autor und Regisseur treibt die Sehnsucht nach Versöhnung an.

Von harald hordych

Als Dany Boon das Hyatt in Berlin betritt und sich zu seinem Tisch im Restaurant des Grandhotels geleiten lässt, kommt er als Geschäftsmann. Er wirkt leicht abwesend, mit seinen Gedanken in irgendeiner anderen Stadt, vielleicht Paris, London, vielleicht Hollywood. Er hat diesen Tunnelblick, der auf den nächsten Termin eingestellt ist. Um ein Uhr, also recht bald, ist er zum Lunch eingeladen. Das Gesicht eines der bestbezahlten Schauspieler Frankreichs sagt jetzt, als er sich hinsetzt: Mir wäre es recht, wenn wir ohne Umschweife zur Sache kommen könnten.

Dany Boon, 50, eilt der Ruf voraus, ein großer Komiker zu sein. "Mit Dany Boon ist ein Clown zum wichtigsten Botschafter des französischen Kinos geworden", titelte der Spiegel. Er landete mit "Willkommen bei den Sch'tis" den größten Erfolg der französischen Filmgeschichte, 20 Millionen Zuschauer allein in Frankreich, sieben Millionen außerhalb seines Heimatlandes. Boon siedelte mit seiner Frau und fünf Kindern aus drei Ehen nach Hollywood um, dann nach London und nach zwei Jahren wieder zurück nach L. A., weil die Kinder das Wetter dort besser finden. Aus einem Provinzei ist ein Weltmann geworden.

Kaum beginnt das Gespräch, wird aus dem routinierten, etwas müden Star ein Mensch, der es offenkundig liebt, anderen Menschen Geschichten zu erzählen. Nicht einfach, um sie zum Lachen bringen, das wäre zu simpel, und auch nicht nur, um sie zu unterhalten, sondern auch, um sie zu erreichen. Ihnen etwas zu erklären. Die ganze Geschichte, wie sie wirklich war.

Französische Komiker waren entweder zappelig oder tollpatschig. Boon ist das nicht

Wenn im Zusammenhang mit französischen Filmdarstellern das Wort Komiker fällt, hat man sofort kleine zappelige oder große schlaksige Männer vor Augen, die sich dabei verausgaben, ja genau, permanent komisch zu sein. Die größte französische Nervensäge, die je auf die Leinwand losgelassen wurde, war der dauerdurchdrehende Louis de Funès. Und der blond gelockte Pierre Richard war ein überaus liebenswerter Tollpatsch, der eigentlich immer komisch war, allein schon wie er die Augen aufriss, wie er mit den Beinen beim Gehen schlenkerte, wie er lächelte. Das Übersteuern in jeder Geste war Richards Geschäftsgrundlage. Motto: Ich bin komisch, weil ich komisch bin.

Und jetzt sitzt da einer, der in der Tradition großer französischer Komiker steht - und bei näherem Hinsehen gar nicht bemüht ist, komisch zu sein. Auch in dem neuen Film, in dem er jetzt die Hauptrolle spielt und bei dem Fred Cavayé die Regie geführt hat, ist Dany Boon keine komische Figur. Komisch sind vielmehr die Situationen, in die der Geiz diesen Kerl treibt. In "Nichts zu verschenken" nervt Dany Boon vor allem. Der Violinist François Gautier ist so geizig, dass er ein Fall für den Psychiater ist. Er besorgt sich Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum seit Jahren abgelaufen ist, sitzt so lange in der dunklen Wohnung, bis die Straßenlaterne Licht zum Lesen spendet und versteckt sich hinterm Vorhang, wenn er an der Musikschule, wo er lehrt, Geld für Geschenke gesammelt wird. Gautier ist eine Karikatur des maßlosen Geizes, eine moderne Molière-Figur. Er ist unsympathisch, verdrossen, griesgrämig, latent verzweifelt, latent unglücklich - aber er ist keine Sekunde so liebenswert komisch, wie Richard das gewesen wäre.

Die Komik funktioniert auch auf seine Weise. Einmal wird ein Restaurantbesuch für ihn zum Gang durch die sieben Vorhöfe der Hölle: Die Frau seines Herzens kann ihn wegen einer Laktoseunverträglichkeit nicht in das clever ausgewählte Billigrestaurant begleiten. Als Alternative bleibt nur ein edles Fischrestaurant. Allein Gautier beim Studieren der Speisekarte zuzuschauen, wie sich die horrenden Preise in seinen gepeinigten Augen widerspiegeln, wie ihn jede winzige Bestellung körperlich quält, das lohnt schon den ganzen Film.

Boon spielt das, wie er immer spielt: mit einer überzeugenden Grundehrlichkeit in seinem Gesicht, unverstellt und sofort ablesbar, was da in ihm vorgeht. Und er spielt im Dienst der Geschichte, die er diesmal nicht selbst geschrieben hat.

Bis zu den Happy Ends seiner Filme hat Dany Boon einen langen Weg zurückgelegt. Nach der Schule besucht er eine Kunsthochschule und arbeitet dann bei einer Trickfilmfirma. Doch es zieht ihn als Stand-up-Comedian auf die Bühne. Der Charme des witzigen Proleten aus der strukturschwachen Region Nord-Pas-de-Calais funktioniert, die Programme sind ausverkauft, der größte Erfolg aber wird die DVD mit seinem Programm zu seinem zehnten Bühnenjubiläum, obwohl er Sch'ti spricht, den skurrilen Dialekt seiner Heimatregion. Ohne französische Untertitel geht es nicht, aber 600 000 Exemplare werden verkauft. Eine Sensation, mit der niemand gerechnet hat, schon gar nicht sein Manager. Auch als Filmdarsteller macht er sich nun in Filmen wie "Merry Christmas" oder "Mein bester Freund" einen Namen. Komisch aber war bei den "Sch'tis" vor allem Kad Merad als karrieregeiler Postangestellter Philippe, den es statt in den geliebten Süden in den verhassten Norden verschlägt, mitten hinein ins Sch'ti-Gebiet.

Wenn sich Boon daran erinnert, ist Merad natürlich ein "fantastischer Schauspieler". Die beiden haben sich bei den Dreharbeiten glänzend verstanden. Aber dann erzählt Boon, dass Kad Merad nur deshalb durch ihn zu seiner ersten Hauptrolle in einem Spielfilm gekommen ist, weil die sechs Schauspieler, die er vorher für die Rolle haben wollte, allesamt abgesagt hatten. "Merad war der Letzte auf meiner Liste, sonst hätte ich selbst spielen müssen", sagt Boon und lächelt, etwas bedauernd, aber auch verständnisvoll: "Junger unerfahrener Regisseur, der eine Komödie über den Norden machen will, dort, wo vorher nur Dramen gefilmt worden waren. Das schreckte die Stars ab."

"Willkommen bei den Sch'tis" war alles andere als ein Selbstläufer. Keiner hätte ihn als Boons Regie-Erstling produziert, er musste einen Trick anwenden. "Ich bestand auf einen Vertrag über zwei Filme, als Claude Berri mein Theaterstück ,Trautes Heim, Glück allein' unbedingt verfilmen wollte. Als zweiten Film verpflichtete er sich, 'die Sch'tis' zu produzieren. Die waren immer mein oberstes Ziel." Boon selbst verkörperte einen etwas versoffenen, etwas verträumten, sehr liebenswerten Ureinwohner. Seine Qualität zeigte sich aber noch mehr in den von ihm geschriebenen Szenen, den pointierten Dialogen und bei der Schauspielerauswahl seiner Filme.

Auf seine Wurzeln ist er stolz - so stolz, wie er als Kind war, dass sein Vater einen Tanklastwagen voller Benzin fährt. (Foto: privat)

Woher das alles kommt? Die Fantasie, der Humor, das Timing? Boon stammt aus Verhältnissen, die alles andere als zum Lachen waren. "Wir hatten nie genug Geld. Und die Umgebung, in der ich aufwuchs, war sehr schwierig." Geboren wurde er in einem kleinen Ort namens Armentières. Sein richtiger Name lautet Daniel Hamidou. Sein Vater war armenischer Abstammung. Als es ihn in den Norden verschlug, war seine Zeit als Profiboxer vorbei, sein Geld verdiente er als Lastwagenfahrer.

Hier liegt der Beginn eines Familiendramas, in dem auch die Großeltern eine traurige Rolle spielen. All das liegt lange zurück und hilft doch zu verstehen, warum Boon mit Komik die Welt besser machen will.

Sein Vater ist deutlich älter als Boons Mutter, mit 17 wird sie von dem Zugereisten schwanger. Als ihr Vater von ihr verlangt, das Kind abzugeben und ins Kloster zu gehen, entscheidet sie sich für den Ex-Boxer. Ihr Vater droht, nie wieder ein Wort mit ihr zu sprechen. Nach der Hochzeit hält er sich daran bis zu seinem Tod. "Meine Mutter war immer sehr traurig deswegen. Ich glaube, das war der erste Auslöser für mich, Menschen zum Lachen bringen zu wollen. Es hat mir Angst gemacht, meine Mutter so niedergedrückt zu sehen, ich war acht Jahre alt und ihr ältestes Kind. Und ich wusste, dass ich der Grund für den Bannstrahl war. Ich habe versucht, das in Ordnung zu bringen, indem ich meine Mutter zum Lachen brachte", erzählt Boon auf Englisch, die fremde Sprache verlangsamt seinen Sprachfluss, aber hemmt ihn nicht. Da müssen andere Hindernisse auftreten.

Die PR-Dame tritt an den Tisch, die Zeit ist um, der Lunch wartet. Boon blickt auf die Obstschale auf dem blank polierten Tisch. Hm, die Zeit ist um? Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende, da fehlt noch was! "Sagen Sie, ich komme etwas später." Entschlossen schnappt er sich den Apfel und sagt: "Hier haben wir auch einen Lunch!" Er lacht. Weitererzählen!

Ja, die Initialgeschichte seiner komischen Mission kennt man. Aber damit man die ganze Geschichte versteht, erzählt er nun, dass sein Großvater sich auch beharrlich weigerte, ihn, seinen Enkel, auch nur ein einziges Mal anzuschauen. Die Großmutter musste Boon und seine beiden jüngeren Brüder heimlich besuchen.

Als Dany 14 Jahre alt ist, hält er es nicht mehr aus. Er klingelt an der Haustür. Die Großmutter öffnet. "Ich sagte ihr: Ich möchte meinen Großvater sehen. Und sie ließ mich ein. Mein Großvater saß im Sessel und sah sehr krank aus. Vier, fünf Monate später war er tot. Er sah mich und stand auf. Ich wusste, dass er mich erkannt hatte, ich war meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Er ging auf mich zu, und ich fragte mich, ob er mich berühren würde oder gar umarmen. Und als er direkt vor mir stand - warf er die Tür zu. Ich musste lachen, so überrascht war ich. Er war so schwach, aber um aufzustehen und mir die Tür ins Gesicht zu werfen, dafür hatte er noch die Kraft."

Wie sehr ihn das geprägt hat?

"Ich habe das akzeptiert." Und seine Großmutter, die ihn nicht auf der Beerdigung des Opas sehen wollte? "Der habe ich verziehen. Sie hatte ein schweres Leben." Prägend, sagt er, sei die Liebe seiner Eltern gewesen. Die Großzügigkeit seines Vaters, der stets Leute zum Essen eingeladen habe, obwohl sie selbst kaum genug gehabt hätten und seine Mutter deswegen oft furchtbar wütend gewesen sei.

Seine Mutter will erst nicht zur Ordensverleihung: Sie müsste ja mit dem Präsidenten speisen

Was er daraus gelernt hat? "Das Wichtigste im Leben sind die Beziehungen zu anderen Menschen - und Großherzigkeit."

Dabei verschweigt er nicht, wie aggressiv die Gegend war, in der er aufwuchs. Und was er tun musste, wenn er mit den anderen gewaltbereiten Jugendlichen klarkommen wollte: "Wenn du sie zum Lachen bringst, mögen sie dich. Sie werden friedlich. Für einen Moment glücklich."

Offenkundig hat Dany Boon eine große Begabung zur Versöhnung, nichts anderes schenkt uns die Komödie: "Die Sch'tis" werden zum Märchen, wenn alle Vorurteile sich ins Gegenteil verkehren, Kad Merad am Ende überwältigt ist von der schrulligen Herzlichkeit der Nord-Leute und todtraurig, als er dann doch in den Süden ziehen darf. Der belgische und der französische Zollbeamte aus "Nichts zu verzollen"? Zumindest die Liebe des Franzosen zur Schwester des Belgiers überwindet die nicht immer nur schrullige Feindschaft. Das gilt auch für die brutalen Zeiten des Krieges. In "Merry Christmas", dem Film über deutsche und französische Soldaten die während des Ersten Weltkriegs gemeinsam Weihnachten feiern, ist Dany Boon einer, der den Schützengraben überwindet.

2009 bekommt er im Élysée-Palast den Orden der Ehrenlegion für seine Verdienste um den französischen Film überreicht. Seine Mutter weigert sich mitzukommen, obwohl seine Brüder eingeladen sind, seine Kinder, die ganze Familie. "Sie hatte riesige Angst, beim Dinner neben Sarkozy gesetzt zu werden, und der Präsident würde sehen, dass sie nicht weiß, welches Messer sie nehmen soll." Sie kommt trotzdem. Das Kleid für den Empfang schenkt er ihr. "Das schönste, das es zu kaufen gab."

Seine Herkunft vergisst Dany Boon nie. Und doch schaffte er es aus der Provinz nach Hollywood. Zunächst um dort das US-Remake der "Sch'tis" mit Will Smith vorzubereiten. Das Projekt endete nach jahrelanger Arbeit im Nichts. Vor allem weil jeder Drehbuchautor gefeuert wurde, sobald es Schwierigkeiten gab. "Das war völlig abgedreht. Den ersten feuerten sie, obwohl das Buch gut war, aber halt nicht fertig. Sie holten immer neue Drehbuchautoren. Am Schluss hatte ich Angst davor, dass sie grünes Licht für den Dreh geben, weil das letzte Buch so schlecht war!" Mit jeder schlimmen Geschichte wird Boons Laune besser. Pfeif doch auf den Lunch!

Der Regisseur Boon erlebt ja auch eine tragikomische Wendung nach der anderen. Einmal teilte ihm der Produzent telefonisch mit, dass der Hauptdarsteller seines neuen Films der Rapper Puff Daddy sein würde. Als Boon sich erlaubte anzumerken, der Star passe doch gar nicht zum Charakter der Figur, wurde er gefeuert. Manchmal schlugen ihm Produzenten, deren Namen er bis zu diesem Augenblick noch nicht gehört hatte, die irrwitzigsten Drehbuchänderungen vor. Wenn er nach dem Produzenten fragte, den er immerhin zwei Mal getroffen hatte, sagten sie ihm, der sei gerade gefeuert worden, er spreche mit dem Nachfolger. "Hollywood", sagt Boon, "ist ein kommunistisches System, voller alter Apparatschiks. Alle dort haben Angst, ihren Job zu verlieren. Alle wollen nur die Karriereleiter rauf. Kaum jemand kann eine künstlerische Perspektive einnehmen." Natürlich gibt es auch Gutes zu berichten. Aber "Escobar" mit Javier Bardem und Penélope Cruz, bei dem er Executive Producer war, ist für ihn eher eine Randnotiz. Was soll man sagen? Hat ja geklappt!

So, das war's. Dany Boon muss los. "See you next time", ein freundschaftlicher Handschlag, und dann verlässt ein Geschäftsmann das Lokal.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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