Comedy:Rudi Carrell für Chinesen

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Der Deutsche Thomas Derksen wird im Land der Mitte wegen seiner lustigen Videos verehrt. Er versteht sich als Mittler zwischen den Kulturen. Ernstere Themen meidet er allerdings.

Von Lea Deuber

Als Thomas Derksen seine ehemaligen Kollegen in Wipperfürth fragt, was er beim Besuch in seiner alten nordrhein-westfälischen Heimat mitbringen soll, wünschen sie sich: einen Mettigel.

Warum nur essen Deutsche so gerne rohes Fleisch zum Frühstück, wundert sich Derksen. Die Antwort kennen inzwischen mehrere Millionen Chinesen. Sie alle habe das Mettigel-Video gesehen, das der 30-Jährige nach seinem Besuch bei den Kollegen gedreht hat. Sogar den wichtigsten Nachrichtenseiten des Landes war das Video eine Geschichte wert. Zehntausende chinesische Nutzer kommentierten die deutsche Mettigellust.

Hierzulande völlig unbekannt, ist Thomas Derksen in China, seiner neuen Heimat, ein Wanghong, ein Internetstar. Neben Angela Merkel, Oliver Kahn und Miro Klose zählt der Rheinländer zu den bekanntesten Deutschen. Egal, wo er unterwegs ist, überall sprechen ihn die Menschen an, wollen sich mit ihm fotografieren lassen. Bist du "Afu" Thomas?

Wer ihm zuschaut, lernt erstaunlich viele chinesische Wörter für Übergewicht

Afu ist sein Spitzname. Sein eigentlicher chinesischer Name, De Long Fu - De für Derksen, Long wie Drache für sein Geburtsjahr und Fu wie Glück -, klang fürs Fernsehen zu kompliziert, ein Regisseur verpasste ihm kurzerhand einen neuen Namen: Afu, der Glückliche.

An einem Vormittag im Frühsommer sitzt er in einem Café im Zentrum von Shanghai. Der Kassiererin lächelt er so freundlich zu wie jedem, dem er über den Weg läuft. Wer ihn anspricht, bekommt eine heitere Bemerkung zurück. Ach, du hast mal in Deutschland studiert? Und wie gefällt dir Erfurt? Wenn dem Mann mit den blonden, kurzen Haaren und den blauen Augen die Blicke im Raum folgen, spürt er sie entweder nicht oder sie sind ihm egal. Überhaupt erscheint es, als würde er sich selbst am meisten über seinen Erfolg wundern, darüber, dass ihm bereits mit seinem zweiten Video vor drei Jahren der Durchbruch gelang. Darin imitiert er mit Perücke und Shanghaier Dialekt seine chinesische Schwiegermutter, die ständig an allem herummäkelt. "Du gehst jetzt seit einem Monat mit meiner Tochter aus. Wann heiratest du sie endlich?"

Seitdem hat er mehr als 250 Videos gedreht. In fließendem Chinesisch erzählt er in jeweils etwa zehnminütigen Folgen von seinem Leben in Shanghai, von der chinesischen Küche, vom Zusammenleben mit seiner chinesischen Frau oder den Schwiegereltern. Dauerthema ist auch seine recht füllige Statur, über die er gerne scherzt. Der "süße, dickliche Afu Thomas", so nennt er sich selbst in seinen Videos. Wer ihm zuschaut, lernt eine erstaunliche Zahl von chinesischen Wörtern für Übergewicht. Klar sei er auch immer ein wenig "der lustige Ausländer", der die eine oder andere Vokabel durcheinanderbringe, sagt Derksen. Trotzdem versucht er, in seinen Videos er selbst zu sein, ein Spaßmacher, der die Feinheiten zwischen den Kulturen aufspürt, sich über die Unterschiede lustig macht und über die Missverständnisse, die dadurch entstehen. Eine Art Rudi Carrell für Chinesen. Bei seiner letzten Chinareise begleitete er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in dessen Delegation. Der lustige Ausländer aus Gummersbach, das sechste Kind von Russlanddeutschen, die Mitte der 80er-Jahre nach Deutschland gekommen waren, saß plötzlich einen Tisch neben dem Bundespräsidenten und dem chinesischen Staatsoberhaupt Xi Jinping. "Da musst' ich mich schon kneifen."

Nach kurzer Zeit im Haus der Schwiegereltern muss er wieder ausziehen

Während der Schulzeit ist Derksen das erste Mal in China. Nach dem Abitur macht er wie zwei seiner Geschwister eine Banklehre und entscheidet sich später noch einmal für den Studiengang Wirtschaft und Politik Ostasiens in Bochum. Bei einem zweimonatigen Sprachaufenthalt in Shanghai lernt er vor sieben Jahren seine zukünftige Frau kennen - und bald darauf auch deren Eltern, der Beginn einer nicht ganz einfachen Beziehung. Besonders mit dem Schwiegervater - Derksen nennt ihn Tigervater - tut er sich anfangs schwer. Beim ersten Treffen lehnt er eine Zigarette ab, in China ein schwerer Fauxpas. Zum Frühstück bekommt er statt Schwarzbrot nun Entendarm gekocht und nach kurzer Zeit im Haus der Schwiegereltern muss er wieder ausziehen, nachdem er sich aus dem Gästezimmer ins Schlafzimmer der Freundin geschlichen hat. Erst mit dem Heiratsantrag schafft er es, das Herz seines Schwiegervaters zu erobern. Über die komplexe Beziehung hat er inzwischen auch ein Buch geschrieben ("Und täglich grüßt der Tigervater", Heyne-Verlag).

2014 folgt seine Frau ihm nach Deutschland. Nach eineinhalb Jahren in Bochum und Marienheide kehrt das Paar nach China zurück. Schon während des Sprachaufenthaltes war Derksen in chinesischen Talkshows aufgetreten, um als Ausländer über das Leben im Land zu erzählen. Wäre diese Erzählung der deutschen Langnase in China, des Kulturenvermittlers, nicht ausbaufähig? Das fragt sich Zhu Liping, seine Frau, laut Derksen "eine echte Geschäftsfrau und der Kopf hinter dem Ganzen". Sie drehen also ein paar Probevideos, um zu schauen, ob sie damit Zuschauer begeistern können. Und sie können. Wie es war, als ihm zum ersten Mal ein Freizeitpark Geld zahlte, damit er dort an einer Veranstaltung teilnahm? "So krass."

Bei Facebook und Youtube hat "Afu" inzwischen mehr als eine halbe Million Follower. Auf chinesischen Video-Seiten sind es noch mal fast 15 Mal so viele, zusammengenommen mehr als sieben Millionen. Zwar gibt es in China auch Internetstars mit 80 Millionen Followern, im Vergleich mit den meisten Bloggern im Land ist die Zahl jedoch beeindruckend. Unter seinen Videos, im Schnitt produziert er zwei pro Woche, können die Zuschauer Fragen stellen. Ein chinesischer Biolehrer erkundigt sich, ob deutsche Kinder vom Biologieunterricht begeistert seien. Ein anderer will wissen, was man für einen Aufenthalt in Deutschland auf jeden Fall einpacken muss. Derksen beantwortet alle Fragen und schickt als Dankeschön Gummibärchen.

Je nachdem, wie gut seine Videos geklickt werden, erhält er Anteile an den Werbeeinnahmen. Die Livestreaming-Industrie in China ist ein Milliardengeschäft. Wie viel er genau verdient, will er nicht sagen. Nur so viel: "Ich weiß ungefähr, was die Leute hier als Geschäftsführer oder CEO bekommen. Solange ich ein bisschen mehr verdiene, reicht mir das."

In einigen Videos macht Derksen sogar selbst Werbung für Produkte. Ein Problem? Er wiegelt ab. "Die Deutschen sind da sehr empfindlich, die Chinesen finden das hingegen ganz toll." Einmal reiste er nach Bielefeld, um dort ein Haarshampoo zu testen. Nach dem Video schickten ihm seine Fans die Nummern ihrer Bestellungen, die sie danach getätigt hatten. Die könne er gerne an das Unternehmen weiterleiten, um zu belegen, wie gut es sei, mit ihm zusammenzuarbeiten. Manche bitten ihn auch: "Afu, ruf doch mal bei Nivea an und frage, ob du da hingehen kannst."

Doch so viele Freiheiten er auch beim Thema Werbung hat, auf anderen Gebieten braucht es einen gewissen Grad an Selbstzensur. Das chinesische Internet ist eines der am stärksten zensierten Netzwerke der Welt. Fehlende Parteiloyalität, mangelnde ideologische Treue, Vulgäres, Obszönes, Homosexualität oder überbordender Kitsch - die Verbotsliste der Regierung ist lang. Bisher, sagt Derksen, sei das für ihn kein Problem gewesen, "aber man muss natürlich überlegen, was man machen kann." Das sei auf Youtube allerdings auch nicht anders. Auch dort würden Influencer, die extreme Inhalte posteten, gesperrt.

"Um schlechte Laune zu verbreiten, dafür seid ihr Journalisten da"

Tatsächlich reicht im chinesischen Netz ein falscher Satz, um einen Proteststurm auslösen. Vor allem, wenn sich nationalistische Gruppen angegriffen fühlen, eskalieren Debatten in China schnell, so wie beispielsweise bei Dolce & Gabbana. In einer Werbung der Modemarke versuchte eine Chinesin, eine Pizza mit Stäbchen zu essen. Die Unternehmenschefs mussten sich daraufhin öffentlich entschuldigen. Dass sich das politische Klima in China unter Präsident Xi deutlich verschärft hat, will Derksen im Café in Shanghai lieber nicht kommentieren. "Um schlechte Laune zu verbreiten, dafür seid ihr Journalisten da."

Von politischen Themen hält er sich in seinen Videos deshalb ebenso fern wie von aktuellen gesellschaftlichen Debatten. Lieber nimmt er seine Zuschauer mit auf eine Reise durch den Eurotunnel nach Großbritannien. Sie folgen ihm und seiner Frau, wie sie zunächst in Brüssel an der falschen Station aussteigen und dann im Zug ihre Quiche verspeisen. Später geht Derksen auf die Toilette, um zu prüfen, ob sie sauberer ist als in China. Ist sie. In einem seiner erfolgreichsten Videos verbringt er einen Tag mit dem Hund eines Freundes. Seine Message: "Wenn ihr einen Hund haben wollt, dann schafft euch doch mal einen für einen Tag an und schaut, ob ihr Lust und Zeit dafür habt."

Mit ganz so seichten Botschaften will er einen dann aber doch nicht gehen lassen. Mit Unbehagen beobachte er den wachsenden Rassismus in Deutschland. Dass man sich fremd sei und nicht genug voneinander wisse, das sei doch der Grund für Vorurteile und Rassismus: "Eigentlich will ich nur zeigen, dass eine chinesische Mittelstandsfamilie und eine Familie wie meine in Deutschland gar nicht so verschieden sind." Entendarm hin, Mettigel her.

© SZ vom 27.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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