Ausstellung: Königin Luise von Preußen:Preußische Madonnen-Mode

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Wenn Kleidung politisch wird: Lange bevor die Öffentlichkeit über die angemessene Garderobe von Präsidentengattinen diskutierte, sorgte Luise von Preußens Auftreten für Gesprächsstoff - sogar bei Napoleon.

Gustav Seibt

Es gibt in diesem Sommer zwei Gründe, ins nördlich von Potsdam gelegene Dorf Paretz zu fahren: Der eine ist das nach langer Verwahrlosung wiederhergestellte Landschlösschen, das sich Friedrich Wilhelm III. für das Familienleben mit seiner Frau Luise seit 1795 von David Gilly bauen und einrichten ließ. Dort konnte das junge Paar, das bald Kinder bekam, fast bürgerlich leben, im Zusammenhang mit einem erneuerten Dorf, wo jedes Haus Dachzimmer für die Dienerschaft bereithielt und schräg gegenüber eine alte, nun modisch-neomittelalterlich erneuerte Kirche stand. Der flache, langgestreckte Bau, eher ein Gutshaus als ein Schloss, ist mit unaffektierter Schlichtheit im klassizistischen Stil eingerichtet - der Vergleich mit den gezierten Schäferdorfkulissen Marie Antoinettes im Versailler Schlosspark zeigt den Unterschied der höfischen Kulturen.

Am 19. Juli 1810 starb die Königin in Hohenzieritz - und wurde zur "preußischen Madonna". (Foto: dpa)

Der zweite Grund ist die bis Ende Oktober währende Ausstellung mit den Kleidern der Königin Luise, die dort aus Anlass ihres 200. Todestages ( SZ vom 17. Juli) gezeigt wird. Dass überhaupt so viel von ihnen erhalten ist, dass man das Erdgeschoss des Schlossbaus und die benachbarte Remise damit füllen konnte, zeigt den fast heiligmäßigen Kultcharakter, den die Erinnerung an die früh verstorbene Monarchin alsbald annahm: Man bewahrte Reliquien.

Die liebevoll gestaltete Schau behandelt dabei intelligent und vielseitig ein beachtliches historisches Thema: Den Übergang der Bekleidung von höfischer Repräsentation zur bürgerlichen Mode. Die erstere ist nach Rang und Anlässen streng kodifiziert, sie signalisiert Majestät und Abstand, sie stuft die Kleidung mindestens vierfach, von der Staatsgala, der eigentliche Hofkleidung, über die Grande Parure fürs Halboffizielle und Festlichkeiten und die Parure, also Halbgala für Tag und Abend, bis zum Negligé, der bequemeren Kleidung fürs innere Haus, für Reisen und Spaziergänge.

Doch innerhalb dieses höfischen Systems, vor allem in den niederen Rängen, wird die Bekleidung bereits zum Gegenstand ästhetischer und sittlicher Erörterung; die Dinge werden also verhandelbar. Kurz vor der Französischen Revolution entstand überall in Europa eine international rezipierte Modepublizistik, deren Hauptorte natürlich Paris und London waren, in Deutschland bezeichnenderweise aber Weimar, wo der Verleger Friedrich Justin Bertuch jenes reich illustrierte "Journal des Luxus und der Moden" herausbrachte, das alle Fragen des erlesenen Geschmacks behandelte und in dem zuweilen auch Goethe kleinere Aufsätze einrückte. In Paretz kann man jetzt dieses Schrifttum neben den prachtvollen Garderoben der mit 174 cm Körpergröße und Schuhgröße 41 gar nicht so zierlichen Königin Luise betrachten, zum Zeugnis ihrer avancierten Aufmerksamkeit.

Dass die Königin bald jene "griechischen", knapp unter den Brüsten gebundenen, locker fallenden Gewänder bevorzugte, die die Schnürmode des Rokoko ablösten, hat auch mit ihren Schwangerschaften zu tun: Zehn Mal in sechzehn Jahren Ehe entband Luise Kinder, die freilich nicht alle überlebten. Im Übrigen sieht man, was die begleitend ausgestellten zeitgenössischen Bilder zeigen: gepuffte Ärmel, gerüschte Ausschnitte, kleine und große Schleppen, separate Oberteile, Hüte mit Bändern und Schleifen, zierliche gestickte Schuhe. Dazu kommt in der Remise die Hochzeitskutsche, für preußische Verhältnisse ungewohnt goldglänzend, in kleinen Kabinetten Schminkaccessoires für den eher blassen Teint der bald zu Doppelkinn und leicht hervorquellenden Augen neigenden Fürstin, deren Aussehen vor allem die Zeichnungen ihres Bildhauers Schadow mit suggestivem Realismus vor Augen rücken.

Am Horizont taucht auch die große Politik auf. 1803 sandte das Pariser Herrscherpaar Napoleon und Joséphine (letztere wird in der Ausstellung seltsamerweise als "Bonaparte" bezeichnet, als handele es sich um eine Schwester des Ersten Konsuls und späteren Kaisers) prachtvolle Gewänder mit neumodischer Eisenstickerei - damals warb Frankreich noch um Preußen. Nachdem Preußen, nicht zuletzt auf Betreiben Luises, 1806 gegen Frankreich in den Krieg getreten war, holte es sich eine so schwere Niederlage, dass man auf einmal sogar auf die Waffen weiblichen Charmes zurückgreifen wollte. Mit einer Träne im Auge trat Luise 1807 in Tilsit dem Kaiser der Franzosen entgegen, um für Preußens Überleben zu werben. Doch Napoleon blieb von solch weiblicher Einmischung unbeeindruckt und lenkte das Gespräch sogleich auf den Stoff des Gewandes, das Luise trug. Längst hatte das Zeitalter der Revolution die Kleidung zu einem ernsten Gesprächsstoff gemacht. Auch hier herrschte nun, ganz wie in der Staatenwelt, der Geist der ewigen Revision.

1810 starb Luise, jugendlich und gramgebeugt, und verwandelte sich in jene preußische Madonna, deren Bild den Wiederaufstieg des Königreichs hilfreich begleitete. Diese Verwandlung von einer durchaus koketten jungen Fürstin mit sentimentalen Literaturinteressen in eine Staatsheilige signalisiert ein Verklärungsrelief, das Johann Gottfried Schadow nach ihrem Tod schuf. Es befindet sich in der Dorfkirche. "Mehr eigentümlich als schön", meint Fontane in den "Wanderungen": "In ihrer Mischung von christlicher und heidnischer Symbolik ist uns die Arbeit kaum noch verständlich, jedenfalls unserem Sinne nicht mehr adäquat. Sie gehört, ihrer Grundanschauung nach, jener wirren Kunstepoche an, wo der große Fritz in Gefahr war, unter die Heiligen versetzt zu werden, wo er im Elysium, mit Sternenkranz und Krückstock angetan, die der Zeitlichkeit entrückten preußischen Helden wie zur Parade empfing." Trotz des Geknurres über "Kunstmengerei" und "Religionsmengerei", bei einem sommerlichen Paretz-Besuch sollten Kirche und Relief natürlich nicht ausgelassen werden.

Luise. Kleider für die Königin. Mode, Schmuck und Accessoires am preußischen Hof um 1800. Bis zum 31. Oktober 2010 in Schloss und Dorfkirche Paretz. Der ausführliche Katalogband (Hirmer Verlag, München) kostet 34,90 Euro.

© SZ vom 09.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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