Umwelt:Die Plastikpioniere

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Die Familie von Heidi, 8, versucht ohne Kunststoffe zu leben. Doch das ist verflixt kompliziert. Zu Besuch bei Menschen, die auf eigene Faust die Umwelt retten wollen.

Von Franziska Pröll

Heidi steht im Badezimmer. Erst mal Zähneputzen. Wie jeden Morgen angelt sie dafür eine kleine, weiße Tablette aus dem Glas am Waschbeckenrand, kaut ein bisschen darauf herum und greift dann nach ihrer Zahnbürste. Ungewöhnlich sieht die aus: der Stiel aus Bambusholz, die Borsten aus einem speziellen Biokunststoff. Keine Zahnpastatube steht bei der achtjährigen Heidi im Bad, keine Plastikbürste - alles ist biologisch abbaubar.

Heidis Familie verzichtet auf Plastik. "Weil es der Umwelt schadet und weil einige Bestandteile im Verdacht stehen, krebserregend zu sein", sagt die Mutter. Aber ein wirklich plastikfreier Alltag - das ist ziemlich kompliziert. Frische Lebensmittel einkaufen, zum Beispiel. Heidi öffnet den Kühlschrank und nimmt eine Edelstahlbox mit Käse heraus. "Den lassen wir uns im Supermarkt direkt in die Box packen." Aber: Mitgebrachte Gefäße dürfen nicht auf die andere Seite der Theke. Das verbieten Hygienevorschriften. "Die Box auf der Theke abzustellen ist aber okay", sagt Heidi. Als Familie Kufer vor sechs Jahren damit angefangen hat und die Mutter zum ersten Mal die Brotdosen auf die Käsetheke legte, haben die Mitarbeiter sie komisch angesehen. Inzwischen diskutieren viele Menschen über die Nachteile von Plastik. "In unserem Bioladen", sagt Heidi, "hängt jetzt sogar ein Schild: Gerne eigene Boxen mitbringen." Obst und Gemüse holt Familie Kufer lose. Auf dem Wochenmarkt gibt es auch in Papier gewickelte Butter und Gewürze, die man selbst verpacken darf.

Spontan mal was einkaufen ist so natürlich ziemlich schwierig. Denn ohne Gläser, Boxen und Papiere geht es nicht. Alle paar Monate fährt die Familie auch zu einem Unverpackt-Laden. Mehl, Gewürze, Nudeln, Reis, Müsli - nichts ist dort in Folie, alles steckt in großen, durchsichtigen Behältern. Einfach das mitgebrachte Glas drunterstellen, Hebel drücken, genau so viel abfüllen, wie man braucht. Der nächste Laden ist allerdings eine Dreiviertelstunde von Pfaffenhofen in Bayern entfernt, wo die Familie wohnt.

Heidi freut sich über die Süßigkeiten dort, vor allem über die Gummibärchen: "Die sind sonst ja immer in Plastik verpackt." Familie Kufer hat eine Spezialregel: Geschenkte Süßigkeiten sind erlaubt, selbst wenn sie in Plastik verpackt sind. Bloß gekauft wird so was nicht.

Natürlich ist auch Autofahren schlecht für die Umwelt, und natürlich sind auch bei den Kufers manche Sachen aus Plastik: Telefon, Kühlschrank, Schreibtischstuhl, "Aber", sagt die Mutter, "irgendwo muss man doch anfangen."

Seit sie Lebensmittel ohne Plastik kauft, macht die Familie viel weniger Müll. Früher stand jede Woche ein Gelber Sack draußen. Wenn die Mutter jetzt den Mülleimer öffnet, liegen darin: eine kaputte CD und ein Kassenbon. "Im Jahr kommt unsere fünfköpfige Familie auf etwa 60 Kilo Restmüll", sagt die Mutter. Der Durchschnitt für fünf Personen liegt in Deutschland bei fast 800 Kilo.

"Mich macht so was stolz", sagt Heidi, die sich sogar für ihre Taschentücher ein eigenes Etui genäht hat. Auch wenn der Alltag ohne Plastik immer wieder schwierig ist. Besonders in der Schule. Klar: Heidis Schnellhefter sind aus Papier, ihr Federmäppchen aus Leder. Hefte packt sie in Zeitungspapier oder alte Poster, Pausenbrote in Edelstahlboxen. Andererseits: Auch Heidi schreibt mit Füller und Finelinern, weil ihre Lehrer es verlangen. Und sie nutzt Tintenkiller: "Sieht sonst doof aus, und ich bekomme vielleicht eine schlechtere Note." Den roten Lederranzen, den sie noch in den ersten beiden Schuljahren trug, hat sie inzwischen aussortiert. Immer wieder hörte sie fiese Kommentare, im Bus, auf dem Schulweg: "Du hast da aber ein hässliches Ding."

Heidis neuer Rucksack ist lila. Sie hat ihn nicht neu gekauft, er stand bei ihrer Oma. Vorne hat er eine Schnalle und innen zwei Fächer - aus Plastik.

© SZ vom 20.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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