Zwischenstopp:Tramp-Ebbe

Lesezeit: 3 min

Für unsere Sommerserie haben wir Autorinnen und Autoren um Texte über Transiträume und Haltestellen aller Art, Orte des Aufbruchs oder Innehaltens in nah und fern gebeten. Shida Bazyar versucht, beim Trampen die Hoffnung nicht zu verlieren.

Von Shida Bazyar

Für unsere Sommerserie haben wir Autorinnen und Autoren um Texte über Transiträume und Haltestellen aller Art, Orte des Aufbruchs oder Innehaltens in nah und fern gebeten.

"Nimm mich mit", singe ich bei jedem Auto, "nimm mich mit" und dann fehlt mir der Text, den 2raumwohnung mal gesungen haben, denn es ist lange her, dass meine Schwester im Nebenzimmer laut "Nimm mich mit" sang und ich leise "Nehmt sie mit" dachte. Und nichts geschah.

Heute geschieht auch nichts. Tankstellen sind besser, Leute ansprechen, herausfinden, dass sie in die gleiche Richtung wollen wie wir, lächeln und fragen. Die Menschen gucken dann ratlos, suchen nach Wegen, uns loszuwerden, und dann fallen ihnen keine ein, sodass sie uns aus Verlegenheit mitnehmen. Später sind sie dann doch ganz aus dem Häuschen, weil wir in ihrem Auto sitzen, zwei Studentinnen, Anfang 20, und sie haben das Kommando über das Gespräch, bei dem sie entweder von ihrem tiefsten Inneren erzählen oder rätselhafte rassistische Dinge von sich geben. So ist das, wenn man im Auto sitzt. Danach sehnen wir uns jetzt gerade.

"Nimm mich mit", lasse ich heute aber immer seltener verlauten, weil immer weniger Autos kommen, die ich ansingen kann. Heute war so ein Tag, an dem wir an der ersten Tankstelle Tipps bekamen wie "Fahrt doch ICE, der Bahnhof ist nicht weit" oder "Kennt ihr diese Seite, die heißt mitfahrgelegenheit.de". Wenn ein Tag so anfängt, wenn man mit dem ersten Auto nur eine Stunde weit kommt, wenn man dann unverhofft an dieser fremden, nutzlosen Kurve rausgelassen wird, wenn es heiß ist und man keine Filter mehr hat, dann passiert das, was jetzt passiert. Tramp-Ebbe. Wer was auf sich hält, redet nicht darüber. Wir sind Profis, wir schimpfen nicht. So was gehört dazu. Wir wollten ja trampen. Weil wir es noch nicht gewohnt sind, Geld auszugeben. Weil wir Zeit haben. Und weil es schön ist.

"Ich würde niemals an Trampern vorbeifahren", brülle ich

Wir hören ein Auto näherkommen, ein langsames. Langsame Autos sind gut, denke ich, deren Fahrer können abwägen und anhalten. Langsame Autos sind doch nicht gut, denke ich, deren Fahrer sind Freunde der Sicherheit, und wer Sicherheit will, nimmt keine Tramper mit. Immerhin erdrosseln uns Freunde der Sicherheit nicht, denke ich dann noch, den Daumen ausgestreckt, und das Auto kommt näher und ich gucke vermutlich wie ein dummer, plumper Fisch, sehe ein verschwommenes Gesicht hinter dunkler Scheibe und es fährt weiter und ist Vergangenheit.

Aus Selbstschutz schaue ich nicht auf die Uhr und ein Smartphone werde ich erst in neun Jahren besitzen. Also schaue ich auf den Wald und die Felder und die Schwalben; auf meine Füße, die inzwischen fast so braun sind wie das Leder meiner Sandalen, höre die Grillen zirpen, vereint in einem ohrenbetäubenden Grillen-Chor; und ich denke, dass es eine verdammt blöde und bescheuerte Regel ist, dass man beim Trampen nicht flucht und dass das alles absolut die Schuld von dem hirnlosen Mann ist, der uns hier rausgelassen hat, obwohl wir gesagt haben, dass wir an einer Autobahn oder einer Tankstelle rauswollen, und ich denke, dass wir auch einfach einen Billigflieger hätten nehmen können, und ab dann sitzen wir zwei im Gras und ich beginne einen heftigen Streit, der dankbar angenommen wird, und wir werden laut, denn es hört ja niemand, und wir stehen gleichzeitig auf, weil wir ein Auto hören und wir streiten mit gespitzten Ohren, um zu hören, ob es der Wind oder ein Motor ist und wir schweigen ganz kurz, als das Auto auf uns zu kommt; diesmal gucken wir vermutlich wie zwei Piranhas und selbstverständlich hält das Auto deswegen auch nicht, ich würde auch an uns vorbeifahren.

"Ich würde niemals an Trampern vorbeifahren", brülle ich dem Auto hinterher und merke erst jetzt, dass es blinkt, dass es ranfährt, einige Meter von uns entfernt. Wir schweigen und starren, nehmen die Rucksäcke vom Boden, rennen zum Auto und reißen die Tür auf. Die Fahrerin ist auch ein Profi. Sie kann uns nicht allzu weit mitnehmen. Aber sie kennt da eine Tankstelle, nah an der Autobahn. Da haben wir bessere Chancen wegzukommen. Wir strahlen. Vergessen sind die vergangenen Stunden und der vergangene Ort, denn was an der nutzlosen Kurve geschehen ist, bleibt an der nutzlosen Kurve.

Shida Bazyar , geboren 1988 in Hermeskeil, lebt in Berlin. 2016 erschien ihr Roman "Nachts ist es leise in Teheran".

© SZ vom 25.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: