Zwischenstopp:Allah und Amen

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Für unsere Sommerserie haben wir Autorinnen und Autoren um Texte über Orte des Aufbruchs oder Innehaltens gebeten. Hans Pleschinski erzählt von einer Fahrtunterbrechung in Jordanien.

Von Hans Pleschinski

Für unsere Sommerserie haben wir Autorinnen und Autoren um Texte über Orte des Aufbruchs oder Innehaltens, über Transiträume und Haltestellen aller Art in nah und fern gebeten.

Das ist eine eigene Geschichte. Jedenfalls bin ich nebenher und wohl lebenslang Stadtschreiber von Amman. Eine schöne Ehre, für die man nicht von vornherein Arabisch beherrschen muss. Und ich weilte gerne in Amman, der Hauptstadt des Königreichs der Haschemiten. Die Stadt gilt als das Bielefeld des Nahen Ostens, ist friedlich, und jeder wackere Jordanier wäscht am Wochenende, trotz Wassermangels, akkurat sein Auto. Jordanien ist nicht reich und hält sich auf der Weltbühne zurück. Die Jordanier möchten in Ruhe leben und umsorgen immer wieder nach Kräften immense Flüchtlingsströme.

Trotz seiner Ruhe ist Amman nicht schläfrig. Die Gastfreundschaft ist groß. Nachdem ich bei einem Bäcker Kekse gekauft hatte, trat er allmorgendlich aus seinem Laden, um mir einen Keks anzubieten. Anders geht es auf dem Bazar zu. Als ich wohl zu lange ein gehäutetes Lamm beäugt hatte, schleppte es mir der Händler nach: Ich könne es doch im Hotel braten. In einem kleinen Möbelgeschäft sollte ich mich in einen Sessel im Schaufenster setzen, um für das Möbel zu werben. Ich saß eine Weile im Fenster, wir tranken Tee und hatten unseren Spaß. In einem Fahrstuhl trug mir ein Beduine zuerst scheu, dann beherzt seine Liebe an, da er "problems with ladies" habe. Heikel ist es, in Amman einen Passanten nach dem Weg zu fragen. Denn ein arabischer Mann irrt sich nie. So weist er hilfsbereit in eine Richtung, und man landet vor einer Gartenmauer. Ein Widersinn von Verschleierung offenbart sich. Nirgendwo maßen mich Frauenaugen intensiver. Die Sinneskraft ballt sich hinter den Tuchschlitzen. So lodert der Orient vor Liebesgefühl. Vieles Sehnen machen islamische Tabus offenbar zur explosiven Qual.

Zu den Sensationen Jordaniens gehört das antike Petra, die Hauptstadt der Nabatäer. Um in die Felsenstadt zu gelangen, nimmt man gerne ein Taxi. Meistens kennt der Fahrer die Strecke, für die man - falls man ankommt - einen moderaten Preis zahlt. Bevor die Bergmassive des Wadi Rum nahen, sind allerdings zweihundert Kilometer Schotterebene zu durchqueren. Die Gesellschaft eines Begleiters, auch wenn man sich nur mühsam verständigen kann, tut in dieser Steppe wohl, und arabisches Radiogedudel lullt angenehm ein. Unfern der Wüstenpiste hatte Lawrence von Arabien türkische Züge in die Luft gejagt und geholfen, die letzte Ordnungsmacht des Orients, das Osmanische Reich, zu zerstören. Das Taxi überholt Lkw-Kolonnen, die in Richtung Saudi-Arabien Porsches und Grands Vins de la Loire transportieren. In Riad wird der edle Tropfen vermutlich nicht in die Kanalisation entsorgt.

Mein Chauffeur war nett, ich war nett. Er lobte den FC-Bayern, ich schwärmte von der glühenden Leere um uns herum. Er wäre gewiss lieber durch München gekurvt. Plötzlich hielt er. Er nickte, ich bejahte, aber wusste nicht, was. Der ungefähr Dreißigjährige schnappte sich vom Rücksitz einen Teppich, stieg aus und marschierte von dannen, einem Wellblechverschlag entgegen, wo einige Autos parkten. Mittagsgebet, ich verstand. Nach einer Weile trottete ich meinem Fahrkameraden hinterdrein. Unter dem Dach knieten sie, die Männer, Po hinter Po, hoben die Arme, psalmodierten, nein, suresierten ihre Koranverse. Ich harrte in gehörigem Abstand und rechnete mit einem Hitzschlag. Bald wurde es unbefriedigend, als Konsumkind Europas, als Agnostiker hinter den Gläubigen abzuwarten, bis sie ihrem höchsten Wesen gehuldigt hatten. Ich - der hektisch triumphale Westen? Sie - die erleuchteten Wüstensöhne?

Es überkam mich unvermittelt. Auch ich wollte mich zu einem immateriellen Lebenssinn bekennen, ich wollte Freiheit wagen. Draußen vor der Wegmoschee faltete ich meine Hände und erstmals seit Langem murmelte ich so etwas wie ein Gebet, "Lieber Gott . . . ". Die Muslime wandten sich zu mir um, einer nach dem anderen, ich verrichtete meine Andacht, sie starrten mich an. "May I?", fragte ich hinüber. Einer rief: "Of course." Viele nickten. Mir kamen die Tränen. In diesem Moment meinte ich, wir hier in der Wüste könnten den Weltfrieden stiften.

Hans Pleschinski , geboren 1956 in Celle, lebt in München. Sein jüngster Roman "Königsallee" erschien 2013.

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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