Als am Sonntagmorgen die Nachrichtenagenturen vermeldeten, der 70-jährige Solomon Burke sei nach einem Transatlantikflug auf dem Flughafen von Amsterdam verstorben, hatte die Welt nicht nur eine ihrer größten Soulstimmen verloren, sondern auch einen Anwalt der Menschen vor Gott. Aus seinem Mund jedenfalls bekam so manches Bibelwort eine ganz neue Bedeutung. Etwa wenn der geweihte Bischof Burke von den Demütigen predigte, die einst das Himmelreich erben werden.
Solomon Burke, der in jeder Hinsicht überlebensgroße "King Of Rock'n Soul", hatte es eigentlich nicht so mit Demut. In den sechziger Jahren war er für seine Auftritte berüchtigt, bei denen er mit roter Robe und einer goldenen Replika der englischen Königskrone auf die Bühne stolzierte, während ein Liliputaner seine hermelinbesetzte Schleppe trug. Bis zu seinen letzten Tourneen pflegte Burke die hohe Kunst der Selbstinszenierung. Während der Kapellmeister das Intro anstimmte, rollte ein Roadie einen roten Teppich aus, während der schwergewichtige Sänger sich aus dem Dunkel und abgeschirmt von vier hübschen jungen Damen in seinem Rollstuhl hineinschieben ließ. Das Licht durfte erst angehen, wenn seine Majestät auf seinem goldenen Thron saß.
Unvergesslich die erste Begegnung mit dem Soulveteranen im Jahre 2003: An der Windschutzscheibe der schwarzen Limousine, mit der Solomon Burke von seinem Wohnort Beverly Hills, Los Angeles, zum Interview in einem nahegelegenen Hotel vorfuhr, prangte das Schild: "Funeral Director", Leichenbestatter. Als er gestützt auf einen knotigen Gehstock das Foyer betrat, eilte ihm sein lautes Gelächter voraus: "Wollen Sie mich nicht auf einen kleinen Imbiss begleiten?" Die Audienz sollte dann nach einem gewaltigen Teller Rührei mit Schinken beginnen.
Ob er nach dem Grammy-Gewinn für sein Comeback-Album aus dem Jahr 2002 "Don't Give Up On Me" noch Zeit fände, sich um seine 21 Kinder und rund 80 Enkel zu kümmern? Was er von seinen Verehrern Bob Dylan, Van Morrison, Tom Waits oder Elvis Costello hielt, die ihm allesamt Songs auf den Leib geschrieben hatten? Oder wie der gelernte Bestatter und Inhaber einer Kette von Beerdigungsunternehmen mit dem Tod umginge? Die Fragen spielten keine Rolle: Bischof Burke nahm dem Journalisten erst einmal in seelsorgerlichem Ton eine Beichte über dessen Familie, Kinder, die Gesundheit und den letzten Alltagsärger ab: "Sie haben Probleme mit Ihrer Kreditkarte gehabt? Wie viel brauchen Sie?" Schon hatte Burke das Portemonnaie gezückt. Um dann einen verblüfften Gast am Nebentisch darauf hinzuweisen, wie herrlich der Schöpfer heute wieder die Sonne über dem Smog von Los Angeles habe aufgehen lassen.
Solomon Burke hat nie zwischen Predigt und Leben getrennt: Nicht in seinen Songs, in denen er jederzeit vom glatten Country zum Gebetseifer eines Baptistenpfarrers wechseln konnte. Und auch nicht bei seinen Auftritten, die allein inneren Gesetzmäßigkeiten folgten nach dem Motto: Der Bischof führt, die Band folgt. Keine Frage, Solomon Burke blieb unter allen Soulstars der raffinierteste Dramaturg der Seele. Eine Souveränität, die ihm schon in die Wiege gelegt wurde.
In den vergangnen Jahren ließ er sich weltweit als Legende feiern
Als Burke zwölf Jahre vor seiner Geburt während eines Gottesdienstes in Philadelphia seiner Großmutter in einer Prophezeiung erschien, gründet diese die "House of God for All People Church", eine Kirche, der heute etwa 40000 Mitglieder in ganz Nordamerika und Jamaika angehören. Mit sieben Jahren hielt Solomon seine erste Predigt, mit neun wurde er zum Bischof geweiht.
Als Burke Anfang der sechziger Jahre bei Atlantic Records in New York vorsang, war Labelboss Jerry Wexler überzeugt, den "größten Soulsänger aller Zeiten" gefunden zu haben. Burkes gefühlvoller Bariton kam bei Hörern aller Hautfarben an. Viele seiner Songs waren ursprünglich Country-Nummern. In den siebziger Jahren wurde seine Sorte Musik allerdings von den Discomoden abgehängt. Burke ging mit vielen seiner Unternehmungen - ein Kräuterversand, eine Popcornfabrik, ein Limousinenverleih - bankrott, kämpfte um den Zusammenhalt seiner Familie, zog sich ganz in sein Kirchenamt zurück und veröffentlicht nur noch Gospelalben.
Die vergangenen acht Jahre ließ sich der Bischof weltweit als Legende feiern. Seine späten Alben nahmen mal Americana, mal Country, mal seine Anfänge im Südstaatensoul auf. Egal ob er vor dem Papst in Rom sang oder in einem Bluesclub: Immer strahlte er die inbrünstige Empathie des Seelsorgers aus, der alles verstehen, verzeihen, versöhnen kann. Doch obwohl er Vorbild für eine ganze Generation Rockstars war, obwohl er 2001 in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde, der finanzielle Erfolg blieb aus.
Wie er sterben wollte? "Dem Sensenmann schlage ich gerade ein Schnippchen", scherzte er damals angesichts täglichen Schwimmtrainings und eines vom Arzt angeordneten Diät-Programms. Ganz so ernst nahm er den Verzicht nicht: "Wir sind geboren, um zu sterben. Warum also nicht das Leben in seiner Fülle leben, wenn wir dem schon nicht auskommen? Gott will, dass wir die Kekse essen, die Rosen riechen, die Musik genießen, bevor es zu spät ist."
Diese Freiheit hat Solomon Burke bis zum Ende verkörpert. Möge er so verabschiedet werden, wie er lebte - mit viel Soulmusik und lautem Gelächter. Und dem Versprechen seines wohl einzigen Party-Songs, einer Nummer, die die Rolling Stones coverten, zu dem die Blues Brothers und Millionen Fans tanzten und deren Botschaft Burke mit unerschütterlicher Zuwendung auszufüllen suchte: "Everybody needs somebody to love".