Zum Tod von Rudi Carrell: Das Leben ist Show:Haltung und Unterhaltung

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Er wurde als Entertainer gefeiert und für oft seichte Gags geliebt - spätestens durch seine Krankheit wurde klar, wie ernst Rudi Carrell den Witz genommen hat.

Hans Hoff

Wenn man die Sache mit dem Tod so ernst nähme wie Rudi Carrell sein Fernsehleben, dann müsste konsequenter Weise irgendwer einen Eimer Wasser über seinen Sarg kippen. Als finale Pointe sozusagen. Das wäre keinesfalls als geschmacklos zu verstehen. Wasser war das zentrale Element, aus dem er seine schönsten Gags schöpfte.

Es sei in diesem Zusammenhang an den Sketch erinnert, bei dem Carrell einst mit dem Komiker Heinz Erhardt ein Lied von Sonne und Regen sang. Immer wenn der Kollege an der Reihe war, regnete es, aber nur auf Erhardt, da mochte der noch so oft die Rollen oder den Platz tauschen. Carrell blieb stets trocken und amüsierte sich über die sauber platzierte Pointe.

Aber er selbst schreckte auch nicht vor der Feuchtigkeit zurück. Einmal ließ er sich in einer seiner großen Shows von Norbert Blüm einen kompletten Eimer über seinem Haupt entleeren, ein anderes Mal marschierte er zu Harald Schmidt ins "Schmidteinander"-Studio und fragte, ob der Gastgeber möglicherweise Bedarf für "ein Schuper-Gag" habe.

Carrell goss sich selbst einen Eimer Wasser über den Kopf. Und folgerichtig hatte auch Carrells letzter Fernsehgag mit Wasser zu tun. In seiner RTL-Show "7 Tage, 7 Köpfe" zog er im Dezember, bereits von schwerer Krankheit gezeichnet, stumm an einer Schnur, woraufhin ein umkippendes Glas Harald Schmidts Hose benetzte.

Nuscheln mit Kult-Potenzial

Rudi Carrell, der Wasserfreund, ist im Alter von 71 Jahren in einem Bremer Krankenhaus gestorben. Er sei "einer der größten Entertainer im deutschen Fernsehen gewesen", sagte RTL-Chefin Anke Schäferkordt. Er habe "über drei Jahrzehnte hinweg die ARD-Unterhaltung mit geprägt, lobte WDR-Intendant Fritz Pleitgen. Der verstorbene Showmaster liebte die Gags mit dem Wasser, weil er dazu nur wenige Worte benutzen musste.

Er hatte früh gemerkt, dass er wenig reißen kann, wenn er sich zu sehr aufs Verbale verlegt. Nie konnte sich der Mann aus dem niederländischen Alkmaar, der eigentlich Rudolf Wijbrand Kesselaar hieß, mit der deutschen Sprache so sehr anfreunden, dass sie ihn mit der Gabe der Schlagfertigkeit belohnt hätte. Carrell blieb der Meister des gespielten Bildwitzes.

So hat er sich jahrzehntelang in die Herzen der Deutschen gespielt, ein Komiker, der ins meist spießige Fernsehen der sechziger und siebziger Jahre eine Form geradezu unverschämter Keckheit brachte. Er trat schon mal auf dem Marktplatz auf, während andere die Showtreppen herunterliefen.

Seine Kollegen damals waren Hans-Joachim Kulenkampff, Peter Frankenfeld und Hans Rosenthal, es war noch die Zeit der großen Show-Elefanten und des öffentlich-rechtlichen TV-Monopols. Carrell war der holländische Pfiffikus, ein fröhlicher Bruder Leichtfuß, dessen Dialekt Kult wurde. Er war noch einer von denen, die am Samstagabend 20 Millionen Deutsche vor den Fernseher brachten und begeisterten.

"Das Publikum muss zweimal am Abend weinen", hatte ihn sein Vater André Carrell gelehrt - ein Entertainer, Zauberkünstler, Bauchredner, der durchs Land tingelte. Sohn Rudolf machte es ihm nach und brach die Schule ab. Im Alter zwischen 18 und 25 stand er an manchem Abend innerhalb von drei Stunden auf drei Bühnen - in Amsterdam, Rotterdam und Utrecht. So wurde er zur "Rampensau".

Im niederländischen Fernsehen schlug 1959 seine "Rudi-Carrell-Show" ein, die sechs Jahre später in die ARD kam. Ähnlich großen Erfolg hatte seine Nachfolgeshow "Am laufenden Band" (1974 bis 1979), in der er einmal gegen Muhammad Ali zu einem "Gag-Fight" antrat. "Ich lebe ständig an der Grenze meiner Kräfte", bekannte er damals und beschwerte sich, vom WDR-Redakteur Alfred Biolek kämen zu wenig Ideen. Carrell spielte auch in Klamaukfilmen wie "Tante Trude aus Buxtehude" und schlagerte sich in die Hitparaden.

Vielleicht war das mit den vernuschelten Zischlauten ein Grund dafür, dass der eigentlich unflätige Ausdruck "Arschloch" zu Carrells Lieblingsrepertoire gehörte. Niemand konnte das so charmant beiläufig und vielseitig verwenden wie der Mann aus Alkmaar. Wenn er jemanden als "Arschloch" titulierte, war nicht zwingend als Beleidigung zu verstehen.

Als er vor Jahren zum Interview in eine Suite im Kölner Maritim-Hotel bat, empfing er den Reporter mit den Worten: "So sieht also ein schreibendes Arschloch aus!" Das saß. Und dann erklärte Carrell, dass er das als Belobigung für die vor Tagen abgedruckte Schmähung eines Kollegen ansah.

Carrell liebte scharfe Worte. Oft genug ist er in seiner langen Karriere nach vorne geprescht und hat sich barsch über Kollegen ausgelassen. "Ich war früher das größte Arschloch in Deutschland. Ich war widerlich", gestand er 1985 in einer Talkshow.

Nicht immer war es leicht, mit einem wie ihm zu arbeiten. Dass er die Rolle eines Mannes gänzlich anders verstand als Alice Schwarzer, war branchenbekannt und brachte ihm nicht nur Zustimmung ein. Einen wie Carrell störte das indes nicht, er machte alles so, wie er meinte, dass es richtig sei.

Lange funktionierte das hervorragend. Er lancierte "Rudis Tagesshow" und "Herzblatt". Nachdem er aber 1993 zum Privatsender RTL gewechselt war, gelang ihm nur noch ein großer Wurf: "7 Tage, 7 Köpfe" am Freitagabend. "Das ist eigentlich eine Radiosendung", urteilte der Meister über sein Werk und seine mit auftretenden Bedarfskomiker, die brav ihre Gags vom Papier ablasen.

Einer wie Carrell hielt vom Improvisieren nichts. Alle seine Gags waren penibel geplant: "Witze kann man nur dann aus dem Ärmel schütteln, wenn man sie vorher hineingesteckt hat." Dass es trotzdem meist spontan wirkte, war ein Ausweis seiner Kunst. Ein Beispiel lieferte das Lied, das er 1992 seiner verstorbenen Mutter in einer seiner Shows sang. Da erinnerte er sich in einem "Rudigramm", wie sie ihn nach den Shows immer angerufen hatte, wie sich Mama Kesselaar gesorgt hatte und stets sein allergrößter Fan war.

Danach hatte jeder Tränen der Rührung in den Augen, nur Carrell nicht. Der ging lässig ab und freute sich wahrscheinlich innerlich, dass er als ausgefuchster Gefühlshändler, der er stets war, so eine Nummer fast kitschfrei über die Bühne gebracht hatte.

Er war einer, der sich alles erlauben durfte - der Sage nach rauchte er als einziger in den heiligen WDR-Studios. Damit nichts passierte, soll ihm ständig ein Feuerwehrmann mit einem Eimer Sand gefolgt sein.

Mit "Rudis Tagesshow" - komödiantischen Nachrichten - schaffte er es sogar, die hohe Politik zu bewegen. Als er dem Ayatollah Khomeini per Bildmontage Damenhöschen und Büstenhalter zuwerfen ließ, wurden danach zwei deutsche Diplomaten von Irans Regierung ausgewiesen und das Goethe-Institut in Teheran musste schließen.

Carrell liebte es, Thema zu sein. Wenn er ein Straßencafé besuchte, wählte er stets die erste Reihe, wo ihn alle erkannten. "Auf der Straße schlag' ich alle", kommentierte er nicht ohne Stolz und fügte hinzu: "Ich genieße das."

Weniger genossen hat er, als ihn in den Neunzigern mal ein junger Komödiant unangemeldet im Büro besuchte: Stefan Raab wollte mit Ukulele ein "Raabigramm" an den Künstler bringen. "Wann wirst du endlich wieder lustig", fragte er zur Melodie von Carrells Hit "Wann wird's mal wieder richtig Sommer?", und fügte den Nachsatz ein, "so lustig wie du früher schon nie warst".

Auf den Bildern sieht man Carrell an, dass er das nicht witzig fand. Aber er hat es akzeptiert. Später ist er dann mal zu Raab in die Show gegangen und hat ihm dafür ein Dutzend Gags aufgeschrieben. Die meisten Pointen gingen auf Carrells Kosten, nur einmal sollte Raab im Regen stehen. "Er hat sie alle gebracht, nur den einen auf seine Kosten nicht", bedauerte Carrell.

Es gehörte einiges dazu, von ihm gemocht und akzeptiert zu werden. Die Komödianten Dieter Nuhr und Willy Astor hatte er in sein Herz geschlossen. Viele hat er dagegen mit der Verachtung gestraft, die sie seiner Ansicht nach verdienten. Auf seine Art war Carrell dabei immer gerecht.

Scherze zur Beerdigung

Auf seine Art hat er auch das mit der schweren Krankheit weggesteckt. Als die Ärzte ihm im vorigen Jahr eröffneten, er habe Lungenkrebs und daher nicht mehr lange zu leben, zeigte er außerordentliche Gelassenheit. Wenn er verzweifelt gewesen sein sollte, dann ließ er sich das nicht anmerken. Freunde und Mitarbeiter wussten schon im Frühsommer 2005 Bescheid, aber kein Wort drang nach draußen.

Erst, als er seinen Abschied von der Fernsehbühne inszenierte, kamen die Schlagzeilen, die oft ein bisschen so klangen, als würden schon die Berichte von der Beerdigung vorbereitet. Eine Beerdigung wolle er sowieso nicht, witzelte er da schon, denn da bestünde die Gefahr, dass möglicherweise auch die Jacobs Sisters mit ihren Pudeln anrückten und jegliche Atmosphäre zerstörten. Das wolle er nun wirklich niemandem zumuten.

Anfang des Jahres hat er den Gag noch mal gebracht in einem Gespräch mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung. Sechs Stunden unterhielten sich die beiden Interviewer mit ihm. Einmal fragten sie den Krebskranken, ob der denn noch rauche, woraufhin Carrell verneinte. Warum denn dann in jedem Zimmer zwei Aschenbecher ständen? "Aus schöner Erinnerung", sagte er da. Im Interview zog er eine sehr ernste Bilanz. Keine Abrechnung, eher eine Danksagung. "Wäre ich in Holland geblieben, wäre ich vielleicht Intendant eines Fernsehkanals geworden. Wie langweilig! Deutschland hat mir zehnmal mehr gegeben, als ich mir je erhofft habe."

Dank hatte er zuvor schon gesagt bei der Verleihung der "Goldenen Kamera", die er für sein Lebenswerk bekam. Carrell legte mit angegriffenen Stimmbändern mal wieder einen schwer lässigen Auftritt hin. Er verdanke der Pharmaindustrie und der Krankenkasse, dass er hier noch stehen dürfe, sagte er und bemerkte mit Verweis auf sein piepsig klingendes Vokalorgan: "Mit so einer Stimme kann man in Deutschland immer noch Superstar werden."

Da war er wieder, der Carrell, den alle kannten. Als ihn keiner mehr auf der Rechnung hatte, kam er noch einmal zurück auf die Bühne, nur um zu zeigen, dass er noch da ist.

Es wirkt fast wie perfekt inszeniert, dass die Nachricht von seinem Tod am Freitag erst am Montag nach der familiären Trauerfeier die Runde machte. Als habe er den Menschen den Spaß an der Fußballweltmeisterschaft nicht trüben wollen. Andererseits wirkte es aber auch, als habe er abgewartet, bis die Bühne wieder so frei war, dass sie ihm nun allein gehört. Das mit dem Wasser hat schließlich auch geklappt: Sintflutartiger Regen ging am Todestag Rudi Carrells über weite Teile Deutschlands nieder. Ein Ahnungsloser, wer das für Zufall hält.

© SZ vom 11.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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