Zum Tod der Schauspielerin Ruth Drexel:Die Mama

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Unerschütterlicher Trotz und bajuwarischer Humor: Ruth Drexel war die bayerische Miss Marple, des Bullen Muttertier - und die Mutter Courage des Volkstheaters. Ein Nachruf.

Christine Dössel

Ruth Drexel war vieles in ihrem langen, reichen Schauspielerleben: Brecht-Schülerin, Charakterdarstellerin, Volksschauspielerin, Regisseurin, Intendantin und auf ihre alten Tage hin auch noch ein echter, deutschlandweit beliebter Fernsehstar, gefeiert als die ,"bayerische Miss Marple" (in der ARD-Serie "Agathe kann's nicht lassen") und als resolutes Muttertier Resi Berghammer im "Bullen von Tölz", wo sie ihrem schwergewichtigen Filmsohn Ottfried Fischer Mores lehrte, Beine machte und nicht selten die Schau stahl.

Kämpferisch, bescheiden, humorvoll und mutig: Ruth Drexel. (Foto: Foto: ddp)

Für uns Münchner aber war sie lange Zeit vor allem eines: die Mama, Herrin und gute Seele des Münchner Volkstheaters, jener notorisch unterfinanzierten Bühne, die es ohne Drexels Stand- und Durchhaltevermögen, ohne ihr immer wieder beherztes Eingreifen wohl längst nicht mehr gäbe.

Zehn Jahre lang, von 1988 bis 1998, hat sie das Haus an der Brienner Straße als Intendantin durch gute und schlechte Zeiten geführt, es mit Zähnen und Klauen verteidigt gegen die Sparhuber der Stadt, die der Bühne immer wieder das Wasser abdrehen wollten, gegen die Traditionalisten, denen sie nicht volkstümlich genug und die Modernisten, denen sie nicht fortschrittlich genug war.

Unerschütterlicher Trotz

Stücke von Brecht und Gorki, von Nestroy, Raimund und Horváth, von Wolfgang Bauer und Felix Mitterer brachte sie hier auf die Bühne, oft in eigener, solider Regie und meist mit Hans Brenner, ihrem 1998 so plötzlich verstorbenen Lebensmenschen, in tragenden Rollen. Der Brenner-Hansi, dieser wunderbare Mensch und Schauspieler, war im Drexel-Theater der unangefochtene Star.

Als sie 1998 schließlich die Intendanz abtrat an Hanns Christian Müller, machte der Nachfolger binnen kürzester Zeit so viel Murks, dass der Prinzipalin gar nichts anderes übrigblieb, als auf Drängen der Stadt im April 1999 noch einmal für drei Jahre an das Haus zurückzukehren und den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Womit sich Ruth Drexel den Titel "Mutter Courage des Volkstheaters" ehrlich, hart und endgültig verdient hatte.

Brechts Courage hat sie selbstverständlich auch auf der Bühne gespielt, 1982 am Münchner Residenztheater, wo sie zwischen 1975 und 1988 in vielen weiteren Rollen zu sehen war - etwa als Balbina in Fleißers ,"Der starke Stamm" oder als Frau Eichmann in Kipphardts "Bruder Eichmann", beides in der Regie von Dieter Giesing.

Ruth Drexels Starrsinn, ihre unerschütterliche Trotz- und Kämpfernatur lagen in ihrer Herkunft begründet. Sie war eine waschechte Niederbayerin, geboren am 12. Juli 1930 in Vilshofen, aufgewachsen im Chiemgau, als Älteste von drei Geschwistern. Der Vater fiel 1944 als Soldat. Zuhause hatte er eine kleine Bank, die später die Mutter übernahm.

Tochter Ruth sollte nähen lernen, eine Modeschule besuchen, ein Studium war nicht drin. "Aus Wut und Trotz", wie sie einmal sagte, ist sie damals als 17-Jährige nach München gefahren, um Schauspielerin zu werden. Und sie hat, gesegnet mit großem Talent, ihren Dickkopf durchgesetzt: Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule; mit 23 Debüt an den Münchner Kammerspielen in Arthur Millers "Hexenjagd"; später ging sie für kurze Zeit ans Berliner Ensemble zu Bertolt Brecht und dann zu Peter Stein an die Schaubühne.

Lesen Sie auf Seite zwei mehr über Ruth Drexels Humor.

Nicht nur das verband Ruth Drexel mit der großen Volks- und Charakterschauspielerin Therese Giehse, mit der sie oft verglichen wurde (und auch gemeinsam auf der Bühne stand) - beide zeigten stets Haltung, beide schienen aus dem selben Holz geschnitzt: zäh, klug, hart und stark. Streitbar und politisch unangepasst. Nie volkstümelnd, aber volksnah, das schon. Nie das Bayerische verleugnend, sondern es aufgeklärt verteidigend.

1969, in Martin Sperrs "Jagdszenen aus Niederbayern" an den Münchner Kammerspielen, standen sie alle drei auf der Bühne: die Giehse, die Drexel und der Hans Brenner, und seitdem waren Brenner und Drexel nicht nur privat ein Paar, sondern auch künstlerisch. Die beiden zeigten in den Uraufführungen der frühen Stücke von Franz Xaver Kroetz das Elend, die Wut, die Ohnmacht der kleinen Leute auf - nicht nur in München, auch am Staatstheater Darmstadt (von 1972 bis 1975) und danach am Düsseldorfer Schauspielhaus.

Die erste inzenierende Frau

Sie waren das Kroetz-Duo schlechthin, hatten aber auch ihren Nestroy drauf, mit dessen Stück "Frühere Verhältnisse" Ruth Drexel 1978 in Düsseldorf ihr Regiedebüt gab. Am Bayerischen Staatsschauspiel war sie 1981 bei Nestroys "Talisman" die erste inszenierende Frau am Haus.

Im selben Jahr gehörte Drexel zu den Mitbegründern der "Tiroler Volksschauspiele" in Telfs, wo sie Sommer für Sommer einkehrte, um das kleine Festival zu schmeißen und dort zu inszenieren, manchmal ganz schräge, kuriose Sachen wie Thomas Hürlimanns "Der Franzos in Ötz" (1994) in einer tirolerischen Freilichtfassung. Auch Mitterers "Stigma" brachte sie 1982 in Telfs zur Uraufführung.

Auch damals schon machte sie Fernsehen, spielte in bayerischen Kultserien wie "Irgendwie und sowieso" oder "Monaco Franze" mit und war die Paula in Franz Xaver Bogners "Zur Freiheit."

Ihre letzte Rolle am Münchner Volkstheater spielte sie 2005 noch einmal an der Seite von Christine Ostermayer in dem Zwei-Personen-Stück "Späte Gegend" von Lida Winiewicz, das schon 1996 Premiere hatte. Da sah man sie als Bäuerin, die ihr Leben lang geschuftet hat - eine Frau mit Eigenschaften, die man von Ruth Drexel selber kannte: Bescheidenheit, Natürlichkeit, Kampfgeist, Mut. Nicht zu vergessen ihren herzhaften bajuwarischen Humor, mit dem sie nicht nur die Fernsehzuschauer zu erheitern, sondern auch das Leben und das Theater zu nehmen wusste.

Wie erst heute bekannt wurde, ist Ruth Drexel am 26. Februar im Alter von 78 Jahren gestorben. Am Montag wurde sie in ihrem Wohnort Feldkirchen bei München beerdigt - im engsten Familienkreis, ohne jeden Medienrummel, so wie sie sich das gewünscht hätte.

© SZ vom 5.3.2209/sueddeutsche.de/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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