Zum Prozess gegen Jürgen Emig:Verwilderung der Fernsehsitten

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Nicht nur die Verurteilung des Sportchefs Emig, auch die Reaktion des Senders darauf ist bezeichnend.

Hans Leyendecker

In psychoanalytischen Abhandlungen wird immer wieder erörtert, wie der Erwerb von Wissen den Zustand der Unschuld beendet. Beim Hessischen Rundfunk gibt es keine solchen Erörterungen: Dort wissen die Macher viel über Missstände und Missetäter, gerieren sich aber trotzdem wie die personifizierte Unschuld.

Jürgen Emig, der ehemalige Sportchef des Senders, wurde wegen Bestechlichkeit und Untreue zu einer empfindlichen Haftstrafe verurteilt. (Foto: Foto: ddp)

Nachdem am Donnerstag Jürgen Emig, der ehemalige Sportchef des Senders, wegen Bestechlichkeit und Untreue zu einer empfindlichen Haftstrafe verurteilt worden war, gab sich der Intendant des HR unschuldig wie ein Laubsägenbastler. Er wies sogar die Kritik des Gerichts an den Kontrollmechanismen seines Hauses zurück.

Schurke verurteilt, Problem gelöst? Viele Branchen erleiden derzeit ihre Katastrophen und haben danach Probleme mit dem Balken im eigenen Auge. Aber dürfen Journalisten die Wirklichkeit ausblenden wie gewöhnliche Investmentbanker? Die "Beistellung" genannte Praxis des Hessischen Rundfunks, bei Veranstaltern von Sportereignissen Gelder zu kassieren, damit deren Veranstaltungen im Fernsehen gezeigt werden, mag nach den Regeln der ARD erlaubt gewesen sein.

Sie war aber ein ernsthafter, grober Verstoß gegen die Kriterien der journalistischen Unabhängigkeit: Die Entscheidung, ob ein Ereignis gar nicht, nur im Rahmen einer Zusammenfassung oder gar in voller Länge gezeigt wird, darf nicht davon abhängen, ob einer der Veranstalter in der Lage ist, einen Haufen Geld an den Sender zu bezahlen. Dass die Sponsoren im Vor- oder Abspann genannt wurden, zeigt die Verwilderung der Sitten. Der Hinweis des HR, die Praxis der "Beistellungen" sei nach dem Fall Emig beendet worden, ist auch ein Stück Eingeständnis.

Vor Prozessbeginn wurde von den Prozessbeteiligten darüber gestritten, ob es um das "System Emig" oder das "System HR" gehe. Das Gericht kam zu dem Schluss, der Sender sei nur das Opfer gewesen. Opfer? Fest steht: Die jährlichen Einnahmen dieses mittelgroßen Senders liegen bei einer knappen halben Milliarde Euro.

Sie werden größtenteils aus Gebühren finanziert und das müsste reichen, um ein Vollprogramm zu senden, bei dem die Grenzen zwischen Journalismus und PR nicht aufgehoben werden. Weder im HR-Gesetz noch im Rundfunkstaatsvertrag ist die Beistellungs-Akquise vorgesehen.

Der Name Emig steht deshalb nicht nur für den gekauften, dreckigen Journalismus, sondern auch für den kommerziellen Wildwuchs in den und rund um die Anstalten. Sportereignisse werden inszeniert, es gibt oft keine Distanz zwischen Journalisten und Veranstaltern. Aus Veranstaltungen, über die man berichtet, werden In-Sich-Geschäfte.

Kein Unternehmen kann prinzipiell vermeiden, dass Angestellte straffällig werden: Aber wenn die Bedingungen in den Unternehmen so sind, dass sie zur Straffälligkeit verlocken, sind das Zustände, welche die Verantwortlichen erröten lassen sollten.

© SZ vom 04.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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