Zum 100. Todestag von Jack London:Held der Verlierer

Lesezeit: 3 min

Die Romane von Jack London stehen für den Mythos der amerikanischen Wildnis und sind zugleich harte Kritik am ungebremsten Kapitalismus.

Von Ingrid Brunner

Wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben - für diesen Satz hätte Jack London wohl nur Hohngelächter übrig gehabt. Als Liebling der Götter hat sich dieser talentierte und lebenshungrige Amerikaner wohl nie gesehen. Und doch: Was der aus schwierigen Verhältnissen stammende, 1876 in San Francisco geborene Schriftsteller aus seinem Leben gemacht hat - oder besser, was er in sein nur 40 Jahre währendes, rastloses Leben gepackt hat, ist so unglaublich, dass man meinen könnte, ein durchgeknallter Drehbauchautor habe zu viel Gras geraucht und allzu viele Plots zu einem vermengt.

Vor ziemlich genau hundert Jahren, am 22. November 1916, starb Jack London auf seiner Farm im kalifornischen Glen Ellen. Wer aber war dieser Mann? Hier eine Auswahl: Unter anderem war er Raufbold und Alkoholiker, liebevoller Sohn, Landstreicher und Arbeiter, Farmer und Seemann, Robbenfänger, Goldschürfer, Weltreisender, Matrose, Kriegsberichterstatter, Journalist und Sozialist. Sein Leben betrachtete er stets mit einem Schuss Humor und Selbstironie. So schrieb er 1906 in seinen Essays und Erzählungen: "Mit 16 hatte ich zwar den Titel ,Prinz' erlangt. Aber dieser war mir von einer Bande Halsabschneidern und Dieben verliehen worden, die mich ,Prinz der Austernpiraten' nannten."

Seine Geschichten vom harten Leben in der Natur Alaskas, von den einfachen Leuten, begründeten seine Karriere

Das hätte auch schiefgehen können, denn der unehelich geborene Jack lebte mit einer labilen Mutter, die er lebenslang unterstützte. Doch der büchersüchtige Autodidakt lernte und schrieb sich unermüdlich von unten nach oben. Früh hatte er erkannt, dass er sich und seiner Mutter ein gutes Leben nur mit seiner Hände Arbeit niemals hätte ermöglichen können. "So beschloss ich, nicht länger die Kraft meiner Muskeln, sondern meinen Grips zu verkaufen und fing an, wie verrückt zu lernen", schrieb London in seinem autobiografischen Roman "König Alkohol". Seine Kurzgeschichten vom harten Leben in der Natur Alaskas, von den einfachen Menschen, die dort ihr Glück suchten, begründeten seine Schriftsteller-Karriere.

So gesehen, verkörpert Jack London perfekt den amerikanischen Traum. Doch eben diesem urkapitalistischen Topos der amerikanischen Literatur und Gesellschaft hat er sich verweigert. Denn er war ein scharfer Beobachter der sozialen Verhältnisse im Land. Den Mythos vom Tellerwäscher zum Millionär entlarvte er als falschen Traum, denn der entfesselte Kapitalismus bedeutete für die unteren Schichten bittere Armut. Kinderarbeit, Arbeitslosigkeit, lange Schlangen vor Suppenküchen - klingt aktuell, doch das war Alltag zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Als Reporter in London notierte er 1903: "Es gibt keine Straße in London, wo man den Anblick der tiefsten Armut meiden kann." Jack London wurde Sozialist, die Revolution schien ihm eine naheliegende, unvermeidliche Notwendigkeit zu sein.

Einige Neuerscheinungen zu Londons hundertstem Todestag reflektieren dessen Entwicklung zum Kritiker der sozialen Ungleichheit. Sie räumen auf mit dem einseitigen Bild vom Autor, dessen Romane ausschließlich vom Kampf des Menschen mit der ungezähmten Natur erzählen. So beschreibt der bei Knesebeck erschienene, reich bebilderte, aufwendig und detailreich gestaltete Band "Die vielen Leben des Jack London" von Michel Viotte und Noël Mauberret die Stationen von Londons kurzem Leben. Frühe Fotos zeigen einen schönen Knaben mit weit offenen, träumerischen Augen wie ein Botticelli-Engel, den Blick stets suchend in die Ferne gerichtet.

Er gewinnt nicht nur an Wissen, sondern auch die Erkenntnis, dass die bürgerliche Klasse nicht seine Welt ist

Eine Neuübersetzung des Romans "Martin Eden", ins Deutsche übertragen von Lutz-W. Wolff, ist im dtv-Verlag erschienen. Der junge Martin verliebt sich in Ruth, ein gebildetes Mädchen aus gutem Hause. Um sich ihrer würdig zu erweisen, lernt er, so viel er nur kann; die Parallelen zu Londons eigenem Werdegang sind nicht zu übersehen. Doch Martin gewinnt nicht nur an Wissen, sondern auch die Erkenntnis, dass die bürgerliche Klasse nicht seine Welt ist, der er vielmehr gerade durch Bildung und Erfolg wieder entwächst.

Auch der Agententhriller "Mord auf Bestellung" ist in neuer Übersetzung im Manesse Verlag erschienen. Ein durchaus aktueller Stoff, der von einer Agentur erzählt, die Morde auf Bestellung erledigt, wenn das potenzielle Opfer den Tod verdient hat. Dies prüft der Inhaber der Agentur stets akribisch. Ein junger Mann, Philosoph, Moralist und Sozialist, bringt die Organisation zu Fall, indem er deren Chef mit dessen eigener Logik schlägt.

Viel Stoff also, über den der Literaturkritiker Denis Scheck und der Schriftsteller Martin Walser beim Jack-London-Abend diskutieren können.

Denis Scheck, Martin Walser: Jack London zum 100. Todestag. 23. November, 19 Uhr, Gasteig.

© SZ vom 03.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: