Zombie-Roman "Zone One" von Colson Whitehead:Straßenfeger der Apokalypse

Lesezeit: 3 min

Ein wilder Zombie-Tsunami, der die stärkste Mauer überschwemmt - hier im Film "World War Z" aus dem Jahr 2013. (Foto: MPC/Paramount Pictures)

Es gibt keine Taxis. Der Zombie-Roman "Zone One" von Colson Whitehead zeigt ein New York, das nach der großen Seuche die gleichen Probleme hat wie davor. Wenn das keine Fehldeutung des Begriffs "Apokalypse" ist, was dann?

Von Ulrich Baron

Auch das Töten der Untoten bedarf einer Ordnung. Nachdem die Entsorger sich über aufgeplatzte Leichensäcke beschwert hatten, haben die Sweeper deren "Defenestration" eingestellt. Sie werfen sie nicht mehr aus den Fenstern, sondern ziehen sie samt Inhalt durchs Treppenhaus nach unten: "Nach wenigen Stockwerken wurde der dumpfe Schlag, mit dem die Köpfe der Skels auf die Stufen bumsten, von einem feuchten, nervenzermürbenden Patschen abgelöst."

Für Leser, die nicht wie der 1969 geborene Colson Whitehead die Vorschule zahlreicher Horrorfilme genossen haben: Es geht hier um eine Welt, in der eine Seuche den größten Teil der Menschheit in zombiehafte Skel(eton)s verwandelt hat, die nur noch das Ziel kennen, die Unversehrten entweder zu fressen oder durch Bisse zu infizieren. Nach chaotischen Jahren scheint sich das Blatt gewendet zu haben. Von Buffalo aus betreibt die provisorische Regierung der USA das Projekt des "Amerikanischen Phönix" im südlichen Manhattan, das als "Zone One", als zombiefreier Bezirk, zur Keimzelle einer neuen Gesellschaft werden soll.

Nachdem Marines den Hauptteil der Drecksarbeit getan haben, arbeitet sich Whiteheads Held Mark Spitz mit einem dreiköpfigen Sweeper-Team von Planquadrat zu Planquadrat. Eigentlich bezeichnet das englische Wort "Sweeper" einen Straßenfeger, doch hier sind es eher Kammerjäger, die per Kopfschuss nicht nur Skels umbringen, sondern auch "Irrläufer", die in skurrilen Posen längst vergangenen Lebens dahinvegetieren.

Zeitgemäß: Ein erstarrter Internet-Nutzer vor einem toten Monitor

Colson Whitehead wäre nicht der anerkannte Autor, der er ist, wenn er das garstige Treiben der Untoten und die Posen der Irrläufer nicht instinktiv als Totentanz inszeniert hätte. Der war in seiner klassischen Form immer auch allegorisches Lehrstück. Wenn Knochenmänner Kaiser, Papst und Bettelmann zum letzten Reigen führten, lautete ihre Botschaft: "Was ihr seid, das waren wir, und was wir sind, das werdet ihr."

"Wir sehen andere Menschen ohnehin nicht, nur die Monster, die wir aus ihnen machen", heißt es in "Zone One", und: "Für Mark Spitz waren die Toten seine Nachbarn, die Menschen, die er tagtäglich, etwa in einem Subwaywaggon, sah, das phantastische Spektrum der Metropole." Noch anhand der besudelten Fetzen, die den Skels vom Körper hängen, vermag er deren Dresscode zu entschlüsseln. Noch postum durchschaut er Akte urbaner Camouflage, mit der längst gefeuerte Manager ihren Statusverlust zu tarnen versucht hatten. Und was wäre ein zeitgemäßeres Memento mori als ein erstarrter Internet-Nutzer vor einem toten Monitor? Ein wahrhafter Irrläufer - mitten im Surfen vom Tode umfangen . . .

So kann man "Zone One" als zeitgemäße Vanitas-Allegorie verstehen, der Zombie-Filme die mittelalterlichen Holzschnitte ersetzt haben. Jeder hat hier Anspruch zumindest auf eine Statistenrolle. Aber ein Roman ist weder Film noch Holzschnitt. Während Whitehead die erzählte Gegenwart auf drei Tage beschränkt, holt er die Jahre seit Einbruch der Seuche durch eine Vielzahl von Rückblenden ein, die in Kurz-, Mittel- und Langversionen immer wieder dieselbe Geschichte von Schock, Flucht, zeitweiliger Zuflucht und Überranntwerden erzählen. Da vermag man vor lauter Aktionen und Reflexionen oft keinen Fortgang der Handlung zu sehen, während der saloppe Sarkasmus des Erzählers einer allegorischen Lesart in die Quere kommt.

"New York im Tode war New York im Leben sehr ähnlich. Beispielsweise war es immer noch schwierig, ein Taxi zu kriegen." Dieser Einwurf beschreibt auch das Dilemma dieses Romans, mit dem sich Whitehead in die Phalanx derer einreiht, die den hier oft gebrauchten Begriff der Apokalypse missverstanden haben.

Es gibt sogar eine "Postapokalyptische Belastungsstörung (PABS)", obwohl Apokalypse doch Offenbarung und Vollendung des göttlichen Heilsplans verheißt. Wenn an dem etwas dran ist, sollten zumindest die Rechtgläubigen postapokalyptisch aller Belastungen und Störungen ledig sein.

Ohne Taxi, Offenbarung und Heilsplan aber weiß man nicht, wie es weitergehen soll. Deshalb ist in Cormac McCarthys Endzeitroman "The Road" die Straße zum Ziel geworden. Deshalb erzählt "Zone One" immer wieder die Geschichte vom Fall der letzten und endlich auch der allerletzten Bastion, die doch eigentlich die erste einer neuen Zeit hätte werden sollen.

Vorarbeiter einer neuen Gentrifizierung

Am Ende wird klar, warum der Nichtschwimmer Mark Spitz diesen Spitznamen durch den ganzen Roman mit sich tragen musste: "Irgendwann musst du ja mal schwimmen lernen", sagt er sich: "Er öffnete die Tür und ging hinaus in das Meer der Toten." Geht er aus Scham über diese Schlusspointe?

Schwimmen geht anders, und das Problem des literarischen Zombie-Romans gleicht dem, das Mark Spitz mit einem gefangenen Skel hätte. Damit könne man nur eines machen - "ihm den Gnadenschuss geben". Man kann die große Verwandlung als satirische Allegorie auf die Eitelkeiten einer von Konsum und Medienhysterie gesteuerten Gesellschaft lesen, auf die Codes ihrer Kleidung, Frisuren und Wohnungen.

Whiteheads Sweeper erscheinen als Vorarbeiter einer neuen Gentrifizierung, aber einmal mit der Genreliteratur verwachsen, bleibt sein Roman chimärenhaft: "Die Seuche verwandelte den menschlichen Körper so sehr, dass niemand mehr glaubte, er könne wiederhergestellt werden." Welchen ernsthaften Reim man sich auch auf die Hirnzermantschereien in "Zone One" machen wird; man muss damit rechnen, dass einem ein Skel ein baseballgroßes Stück daraus herausbeißt. Mindestens.

© SZ vom 04.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: