Zerstörte Kunst:Totalschäden

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Konzeptkunst wie Maurizio Catellans "Comedian" ist unzerstörbar. Aber auch zerstörte traditionelle Kunst hat ihren Wert oder kann zumindest noch für Ausstellungen herhalten.

Von Astrid Mania

Die Konzeptkunst hat sich bisher nicht wirklich als Verkaufsschlager erwiesen. Sie gilt als spröde, wenig dekorativ und entsprechend wertsteigerungsunwillig. Nach wie vor hat die Malerei den Ruf einer sicheren Bank, wenn nicht gar einer super Investition. Dabei spricht einiges für das konzeptuelle Werk, vor allem unter konservatorischen Aspekten, wie jüngst auf der Kunstmesse Art Basel Miami Beach zu beobachten war. Denn eine Kunst, bei der die Idee im Vordergrund steht, die prinzipiell immer wieder und beliebig oft reproduziert werden kann, ist im Grunde unzerstörbar.

Entsprechend kurz war die Aufregung in Miami, als am Stand der Galerie Perrotin eine Installation von Maurizio Cattelan, wie es schien, zerstört wurde. Bekanntermaßen hatte sich David Datuna, Aktionskünstler und laut eigener Aussage Cattelan-Fan, dessen mit Klebeband befestigte Banane einverleibt. Zwar äußerte sich die Galerie recht indigniert ob dieses "Spektakels" - ein Begriff, der durchaus auch zu Cattelans Werken passt, man denke nur an seine Skulptur eines knienden Hitlers oder seinen vom Meteoriten getroffenen Papst. Doch letztlich blieb man ob des "Bananagates" relaxed: Schließlich, so die Galerie, erhielte man beim Kauf der Arbeit nicht die verderbliche Frucht, sondern ein Authentizitäts-Zertifikat und die Rechte an der Idee. Ob dank des medialen Hypes durch Datuna oder nicht, Cattelans Edition mit dem Titel "Comedian" wurde auf der Messe gleich drei Mal für jeweils über 100 000 Dollar verkauft.

So locker steckt kein Gemälde einen physischen Angriff weg. Der in der englischsprachigen Presse trocken als "elbow incident" bezeichnete Vorfall beispielsweise führte zu einigen, auch finanziellen, Turbulenzen: Kasinomagnat Steve Wynn hatte Picassos "Le Rêve" für 139 Millionen Dollar an Steve Cohen, seines Zeichens Hedgefonds-Manager, verkauft. Als sich Wynn in Gegenwart einiger Gäste von dem Werk verabschieden wollte, durchbohrte er es, angeblich wild gestikulierend, versehentlich mit dem Ellbogen. Das Gemälde wurde im Wert herabgestuft, dem Vernehmen nach aber im Anschluss meisterhaft restauriert und im Jahr 2013 dann doch noch für kolportierte 155 Millionen Dollar an den ursprünglichen Interessenten verkauft.

Seit Marcel Duchamp und seinen Readymades gilt uns das als Kunst, was von Künstlerinnen oder Künstlern so bezeichnet wird

Weitaus übler waren die Schäden, die der selbsternannte niederländische Künstler Gerard Jan van Bladeren angerichtet hatte. 1986 hatte dieser im Amsterdamer Stedelijk-Museum das großformatige Gemälde "Who's Afraid of Red, Yellow and Blue III" (1967) von Barnett Newman attackiert und dafür fünf Monate im Gefängnis verbracht. Offenbar ohne die erhoffte läuternde Wirkung, denn gut zehn Jahre später ging er mit einem Schlitzwerkzeug auf ein weiteres Werk von Newman los.

Beide Leinwände wurden aufwendig restauriert - der ideelle Verlust wäre zu groß gewesen. Doch nicht immer ist dies möglich. Tritt der juristisch-versicherungstechnische Fall des Totalschadens ein, wird das fragliche Objekt vernichtet oder als "Schadgut" aufbewahrt. Dass man mit solchem trotzdem Ausstellungen kuratieren kann, bewies Gregor Schneider mit seiner lapidar "Totalschaden" betitelten Schau, 2006 im Bonner Kunstverein: Sie umfasste über 60 Objekte, die unter Gabelstaplern oder Motten gelitten hatten, darunter aber auch Gemälde, die im Krieg von Munition getroffen worden waren.

Das blieb von Maurizio Catelans "Comedian" übrig, nachdem David Datuna die Banane daraus vertilgt hatte. (Foto: REUTERS)

Konzeptuelle Werke, bei denen Sammler ein Authentizitäts-Zertifikat, eine Anweisung oder die Rechte an einer Idee erwerben, werden von derlei Unbill nicht ereilt. Doch zunächst musste sich der Begriff dessen, was wir als Kunst bezeichnen oder anerkennen, grundlegend ändern. Seit Marcel Duchamp und seinen Readymades - alltägliche Objekte, die er auswählte, signierte und in den Kunstkontext versetzte - gilt uns das als Kunst, was von Künstlerinnen oder Künstlern so bezeichnet wird oder im Rahmen einer Kunstinstitution zu sehen ist. Trotzdem bedarf vor allem der zweite Fall eines weiteren, gesonderten Aktes, der einen Gegenstand formal zur Kunst erklärt, somit vor Verwechslung schützt und das "ästhetische Scherzrätsel Feuerlöscher" löst, wie Brian O'Doherty es nennt.

Der ikonoklastische Akt mit seinem performativen Charakter muss als Teil des Werks betrachtet werden

Die Performance-Kunst hat ihrerseits dazu beigetragen, dass wir nicht mehr nur unbewegliche, stabile Objekte als Kunst akzeptieren, sondern auch Handlungen, Aktionen, flüchtige Momente. Nicht nur, dass deren Dokumentation oder physische Relikte Kunststatus annehmen können, der Markt schluckt heutzutage auch Performances, bei denen ebenfalls allein eine Idee gehandelt wird, wie es etwa bei Tino Sehgal oder Roman Ondak möglich ist. Die Ausführung liegt bei den Käuferinnen.

Vor diesem Hintergrund musste auch Banksys autodestruktiver Akt misslingen, als er seine bei Sotheby's zur Auktion stehende Zeichnung durch einen Shreddermechanismus laufen ließ. Schnell herrschte Einigkeit, dass das Werk mitnichten ruiniert war, denn der ikonoklastische Akt mit seinem performativen Charakter müsse fortan als Teil des Werks betrachtet werden. Eher stieg also dessen Wert durch Banksys Eingriff - ein Urteil, dem sich bekanntlich auch die erfolgreiche Bieterin schnell angeschlossen hatte.

Für viele Arbeiten des früh verstorbenen Künstlers Félix González-Torres ist die Spannung zwischen intaktem Werk und dessen Auflösung geradezu wesenhaft, wobei auch diese im Moment ihres physischen Verschwindens nicht aufhören, als Werk zu existieren. Bei den sogenannten "paper stacks" und "candy spills" handelt es sich um Papierstapel oder Anhäufungen von Bonbons, die sich das Publikum nach Belieben mitnehmen können. Zu einer jeden Arbeit, Sinnbilder menschlichen Vergehens, gehört ein Zertifikat, das, so Nachlassverwalterin Andrea Rosen, eigentliche Werk. Gezeigt werden dürfen diese jedoch nicht. So liegt es in den Händen von Kurator oder Sammlerin, das im Zertifikat Genannte zu materialisieren, auf dass es von Neuem fortgetragen und dem Verlöschen preisgegeben wird. Das eigentliche Werk aber bleibt davon unberührt. Die Idee ist unzerstörbar.

© SZ vom 22.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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