Zeitschriften:Pose? Poesie!

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Nie war Text in der Kunst so wichtig wie heute. Magazine wie die Berliner Hefte "Starship" und "ztscrpt" haben das früh erkannt und stehen nun im Zentrum des aktuellen Kunst-Diskurses.

Von Kito Nedo

Gilt der Konjunktiv als "konservatives Stilmittel"? Auf jeden Fall. Die vier Mitglieder der Künstler-Redaktion, die 1998 in Berlin das Kunstmagazin Starship gründete, schrieben es zumindest "zum besseren Textverständnis" deutlich ins erste Editorial, und auf dem Cover fragten sie in Anlehnung an Richard Hamiltons berühmte Pop-Collage grimmig: "Just what is it, that makes today's Berlin so different, so appealing?"

Irgendwer musste ja die unkritische Euphorie, die Ende der Neunziger mit dem Aufstieg Berlins zur Kunstmetropole verbunden war, infrage stellen. Die kritische Stoßrichtung ist bis heute geblieben, allerdings transportiert das Heft, dessen 15. Ausgabe kürzlich erschienen ist, seine alte Unversöhnlichkeit heutzutage etwas geschmeidiger. Die aktivistische Forderung "Arschlochtypen verhindern" etwa, die so gut in die neue Trump-Putin-Erdoğan-Gegenwart passt, bildet im aktuellen Heft das Ende einer Bild-Textstrecke des Fotokünstlers Wolfgang Tillmans.

Den Begriff "Fanzine" jedenfalls fand Ariane Müller, einst Mitbegründerin und bis heute Teil der Redaktion, trotz der überschaubaren Auflage von 1000 Stück und eines bescheidenen Produktionsbudgets von rund 7000 Euro noch nie treffend für das, was die Zeitschrift sein soll. "Starship ist ein Heft, das es so sonst nicht gibt", erklärt die Künstlerin und Autorin, die Mitte der Neunziger aus Wien nach Berlin kam. Es beantwortet die Frage, wie sich Kunst im Magazinformat darstellen lässt, anders als alle gängigen Kunstzeitschriften.

Der Schlüssel: "Wir machen ein Special- Interest-Magazin für Künstler." In Starship, so Müller, dürften Künstler über alles Mögliche schreiben - doch am wenigsten schrieben sie dabei über Kunst "im Sinne herkömmlicher Kunstkritik". So findet sich in der aktuellen Ausgabe neben den Film- und Literatur-Lektüren des Künstlers Jakob Kolding eine düstere Kurzgeschichte des Kurators Tenzing Barshee, eine Feminismus-Kolumne von Vera Tollmann und Stephanie Wurster oder ein Gedicht der amerikanischen Poetin Eileen Myles. Der in Berlin lebende Künstler Karl Holmqvist steuerte mit "1<3 N3W Y0RK, KR4ZY C1TY" einen Song-Text bei, der demnächst auf einem mit dem Klangkünstler Arto Lindsay aufgenommenen Album veröffentlicht wird. Wenn Künstler über alles Mögliche außer Kunst schreiben - ist das schon wieder Kunst?

Starship dürfte jedenfalls als Vorreiter dessen gelten, was heute von Kunstwissenschaftlern gern mit "Publishing as Artistic Practice" beschrieben wird. Die Vorgeschichte dieses Phänomens reicht bis in die Sechziger und Siebziger zurück. Doch seit ein paar Jahren erlebt es eine Blüte. Die Literaturwissenschaftlerin Annette Gilbert erklärt in dem kürzlich von ihr herausgegebenen Sammelband mit eben jenem Titel (Sternberg Press Berlin), dass das Selbstverlegen unter Künstlern, Grafikern und Autoren in den letzten Jahren zu einer eigenen künstlerischen Ausdrucksform geworden ist. Nicht selten "wird das Verlegen konzeptuell ins Werk eingebunden, selbst als künstlerische Praxis begriffen oder gar zum eigentlichen Werk erklärt."

Dass die Gestaltung fester Bestandteil der künstlerisch betriebenen Magazin- oder Buchproduktion ist, liegt nahe. Aber auch Anzeigenakquise, Buchhaltung oder Vertrieb sind oft fest in Künstlerhand. Für den Inhalt, in dem sich die ungefilterten Eigenheiten künstlerischer Szenen manifestiert, gilt dies sowieso.

Dazu gehört dann auch die schöne Feier der marktwirtschaftlichen Unvernunft, wie sie etwa das 2002 in Wien gegründete und heute teilweise in Berlin produzierte Künstler-Magazin ztscrpt regelmäßig versprüht. Von dem in einer Auflage von 300 Stück erscheinenden Heft im Schwarz-Weiß-Layout weiß man nie so genau, wie es eigentlich heißt, da jede neue Ausgabe nach der jeweils verwendeten Schriftart benannt wird.

So finden sich unter den bislang erschienenen 29 Ausgaben so nüchterne Charaktere wie "Times" oder "Helvetica", aber auch schillernde Gestalten wie "Princess Lulu", "Zeus" oder "Déjà Vu". Auf der langen Liste der Autoren stehen Namen wie Kai Althoff, Angela Bulloch, Jana Euler, Albert Oehlen oder Wade Guyton. Groß angepriesen werden sie auf dem Titelblättern jedoch nicht.

Auch bei Starship liebt man erratische Cover. Und das Format des Hefts änderte man immer wieder. Nur das von Ebner entworfene Logo mit dem retrofuturistischen Schriftzug blieb. Mal war das Heft weich, dünn und klein wie ein Groschenroman, dann wieder dick und kompakt wie ein Taschenbuch. Es verwandelte sich in eine nomadisierende Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe und in ein wildes Camp in der Nähe der Venedig-Biennale. Zwischenzeitlich schien sich die Redaktion eher aufs Büchermachen zu verlegen. Die zentrale Rolle spielt aber immer die Textarbeit im Kunstzusammenhang. "Der Versuch, Künstler dazu zu bewegen zu schreiben, führt dazu, dass sich grundsätzlich andere Formen von Sprache, Sprachästhetik oder Sprachqualität finden, die dann durchaus eine Nähe zur Poetik, Lyrik oder anderen literarischen Ansätzen besitzen", erklärt Ebner.

Überraschend finden sich nun Nischenunternehmen wie Starship oder ztscrpt plötzlich im Zentrum des aktuellen Kunst-Diskurses. Denn angesichts der verstärkten "Sichtbarkeit einer poetischen Sprache in Kunst und Kunstkritik", wie sie etwa neulich das Kunst-Theorie-Magazin Texte zur Kunst diagnostizierte, rückt im eher auf Bild und Objekt fixierten Kunstbetrieb neuerdings die Sprache in den Fokus der Aufmerksamkeit. Schreibende Künstler sind gerade in Mode, die Selbstverleger-Szene boomt, und bei Performances wird viel gesprochen und rezitiert. Nach Experimentalfilm, Architektur, Theater, Tanz und kritischer Theorie war die Dichtung eines der wenigen verbliebenen Kulturfelder, die bislang noch nicht vom Kunstbetrieb absorbiert wurden.

Manche sprechen schon vom "poetic turn", als dessen zentrale Erfolgsfigur der "artist-poet" gilt. Was früher als Verweigerungsgeste gegenüber dem Kunst-Mainstream galt, wird einem heute hoch angerechnet. "Warum", so rätselt man in Texte zu Kunst, "gilt poetische Subjektivität (ehedem eine marginale und ein wenig peinliche Identität) heute als gangbarer Weg zu gesellschaftlicher Anerkennung und Erfolg?"

Die Antwort ist ganz einfach: Folgt man dem amerikanischen Kritiker Daniel Penny, sind genau diese einstige Marginalität und Peinlichkeit paradoxerweise Schlüssel zum Erfolg. Im Kunstmarkt führe gerade der offensichtliche "Mangel an Marktwert" zu "anti-kommerzieller Glaubwürdigkeit". Und diese ist, wie jeder seltene Rohstoff, sehr attraktiv.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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