Zeitgeschichte:Die untergetauchte Kamera

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Widerstand im besetzten Amsterdam der 40er-Jahre: Monica Hesses Jugendroman "Mädchen im blauen Mantel" erzählt im Stil eines Thrillers.

Von Roswitha Budeus-Budde

Monica Hesse: Das Mädchen im blauen Mantel. Aus dem Englischen von Cornelia Stoll. Cbj, München 2018, 377 Seiten, 16 Euro. (Foto: Verlag)

Beeindruckt vom "Tagebuch der Anne Frank" und von Besuchen in den Holocaust-Gedenkstätten der Niederlande, machte es sich die amerikanische Journalistin Monica Hesse zur Aufgabe, "die wahren Geschichten aus dem Amsterdam des Jahres 1943 zu entdecken". So las sie, zurück in den USA, die Aufzeichnungen von Widerstandsgruppen und informierte sich über das Leben während des Krieges. Recherchen, die ihr als historische Quellen für ihren Jugendroman "Das Mädchen im blauen Mantel" dienten.

Bald nach dem Krieg begann in der niederländischen Kinder- und Jugendliteratur die Aufarbeitung der Kriegszeit. In den Sechzigerjahren mit Clara Asscher-Pinkhofs "Sternkinder" und später mit Autoren wie Ida Voss in "Der lachende Engel" oder Peter van Gestel in "Wintereis", Els Beerten in "Als gäbe es einen Himmel" oder Jan Terlouw "Kriegswinter". Von Mirjam Pressler übersetzt, fanden sie in Deutschland als literarisch anspruchsvolle Zeitzeugnisse große Beachtung, wenn sie auch manche jugendlichen Leser überforderten. Ob Monica Hesse diese im Blick hatte und darum ihre zeithistorische Geschichte als Thriller erzählt? Die deutsche Besatzungszeit in den Niederlanden und die Judenverfolgung mit den Abenteuerversatzstücken der Unterhaltungsliteratur für jugendliche Leser gestaltet, wie es auch die in den Medien gezeigten Dokumentationssendungen versuchen?

So ist Hanneke, ihre Hauptfigur, gleich in der ersten Szene auf dem Fahrrad in Amsterdam unterwegs. Als Schwarzmarkthändlerin versorgt sie ihre Kunden mit illegaler Ware. Mit den Lebensmittelkarten Verstorbener, die sie von ihrem Chef, Besitzer eines Beerdigungsinstituts, erhält. Den deutschen Soldaten, der sie an einer Straßenecke kontrolliert, lenkt sie routiniert ab. Ein kleiner Flirt, ein paar unverschämte Fragen, und sie kann weiterfahren. Noch ahnt sie nicht, dass ihr letzter Besuch sie und eine Reihe von Jugendlichen in große Gefahr bringen wird. Frau Janssen bittet nicht um neue Lebensmittel, sondern fleht sie inständig an, ein jüdisches Mädchen zu suchen, das sie versteckt hatte und das auf unerklärliche Weise plötzlich aus der Wohnung verschwunden ist. Hanneke lässt sich überreden, auch aus dem quälenden Gefühl heraus, etwas gutmachen zu müssen. Sie fühlt sich schuldig am Tod ihres Freundes, den sie bestärkt hatte, als Soldat gegen den deutschen Einmarsch zu kämpfen.

In die fiktive Handlung, in die Suche nach dem Mädchen, werden nun historische Momente eingebunden, wird von verschiedenen Widerstandsgruppen erzählt, die im Untergrund arbeiteten. Von einer Amsterdamer Studentengruppe, der es gelang, 600 jüdische Kinder aus dem zentralen Sammelort, dem Theater Schouwburg, zu retten. Hanneke lernt Mitglieder des Netzwerks von Fotografen kennen, die ihre Organisation "Die untergetauchte Kamera" nannten, - und besonders Frauen einsetzten, die aus Kinderwagen und Handtaschen heraus Fotos von Soldaten und Zivilisten machten - und Hanneke an ihren gefährlichen Aktionen beteiligen. Der Showdown am Schluss heizt die Spannung an. Ausgelöst durch eine tragische Verkettung von Schuld und Sühne endet die Suche nach dem jüdischen Mädchen unter den Schüssen eines deutschen Soldaten.

Auch wenn im Anhang die historischen Tatsachen und reale Persönlichkeiten vorgestellt werden, bleibt der Zweifel, ob man dem Holocaust gerecht wird, wenn man mit dem Schrecken spielt, Suspence an die Stelle der politischen Aufklärung setzt. (ab 14 Jahre)

© SZ vom 25.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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