Zeitgeschichte:Die Hölle brach los

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Drei Jugendliche schaffen es 1945 auf die "Wilhelm Gustloff", die auf der Überfahrt von Gotenhafen nach Kiel von einem russischen U-Boot versenkt wurde. Jeder der Jugendlichen hat seine eigene Geschichte über Flucht, Untergang und Rettung.

Von Verena Hoenig

In der Nacht von 30. auf den 31. Januar 1945 wurde die Wilhelm Gustloff versenkt . Es ist eine der verlustreichsten Katastrophen in der Geschichte der Seefahrt. Die Zahl der Toten überstieg die beim Untergang der Titanic um ein Vielfaches. Die Gustloff war ein zum Lazarettschiff der Kriegsmarine umfunktionierter ehemaliger Luxusdampfer. Circa 10 000 Flüchtlinge drängten sich an Bord, um im noch nicht besetzten Westen Schutz vor der Roten Armee zu finden. Das für 1463 Passagiere ausgelegte Schiff war hoffnungslos überladen. Die Überfahrt von Gotenhafen nach Kiel sollte 48 Stunden dauern. Als ein russisches U-Boot in stockdunkler Nacht und bei schwerem Seegang das Schiff torpedierte, brach die Hölle los. Die meisten Menschen wurden totgetrampelt, zerquetscht, ertranken oder erfroren.

Das sind die historischen Ereignisse, in die Ruta Sepetys mit ihrem Roman "Salz für die See" eintaucht. Ihre jugendlichen Protagonisten gehören zu jenen, die es auf die Gustloff geschafft haben: Emilia aus Polen ist Opfer einer Massenvergewaltigung und hochschwanger. Die Litauerin Joana flieht vor Stalin, und der deutsche Deserteur Florian will sich persönlich an Hitler rächen. Dazu kommt der Matrose Alfred, ein von der NS-Ideologie verblendeter 17-Jähriger, der sich als Held sieht, aber tatsächlich ein Soziopath und Denunziant ist. Vier Schicksale und vier Perspektiven, aus denen das Geschehen geschildert wird.

Emilia, Joana und Florian haben, wie die Millionen anderen auf der Flucht, bereits etliche Strapazen hinter sich: wochenlange Fußmärsche bei Eiseskälte und Schneetreiben, während Hunger und Todesangst täglich größer werden. Zu den Blasen und Frostbeulen kommt die seelische Erschöpfung. Der Argwohn wächst; keiner traut dem anderen mehr über den Weg. Als ob nicht alles schon schlimm genug wäre, werden die langen Trecks von den Russen bombardiert.

Die amerikanische Autorin mit litauischen Wurzeln hat für ihren dritten historischen Roman umfangreich recherchiert. Unter anderem ging sie selbst die Fluchtrouten ab und sprach mit fünfzehn Überlebenden der Wilhelm Gustloff . In den USA sind Sepetys' Bücher Bestseller.

Die Einzelschicksale machen "Salz für die See" zu einem ebenso mitreißenden wie erschütternden Leseerlebnis, das einen nicht loslässt, und über das man erzählen will. Die Übersetzung von Henning Ahrens trägt viel dazu bei. Und wer fortan irgendwo eine rosa Mütze erblickt, wird unweigerlich an Emilia erinnert.

Der Untergang der Wilhelm Gustloff war lange Zeit ein Tabuthema. Angesichts der Monstrosität der Verbrechen im Nationalsozialismus war das Interesse an deutschen Opfern gering. So gut wie jeder weiß von der Titanic, aber kaum einer von der Gustloff. Daran haben Günter Grass Novelle "Im Krebsgang" oder Joseph Vilsmaiers TV-Drama "Die Gustloff" nicht viel geändert.

Auch im Geschichtsunterricht findet die Tragödie kaum Erwähnung. Die Passagiere der Wilhelm Gustloff waren übrigens nicht die Einzigen, die im Zuge der Evakuierung Ostpreußens in der Ostsee starben. Man schätzt die Zahl der Opfer auf etwa 25 000 Tote. (ab 14 Jahre und Erwachsene)

Ruta Sepetys: Salz für die See. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Carlsen Verlag (Königskinder), Hamburg 2016. 406 Seiten, 19,99 Euro.

© SZ vom 17.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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