"Yung":Diese Sommertage

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Ist das die Prehour oder die Afterhour? Völlig egal, in „Yung“ endet die Party nie – mit Emily, Janaina, Abbie (von links) und Joy (vorne). (Foto: GG Production)

Realität, die als Fiktion funktioniert, und Fiktion, aus der man Berliner Gegenwart herauslesen kann: "Yung", ein Film über das Jungsein in Berlin.

Von Annett Scheffel

Sofort mitten rein. Kein Herumlavieren. Kein vorsichtiges Herantasten. Dieser Film zeigt sich gleich zu Beginn als das, was er ist und was er sein will: radikal, realistisch, nah dran an der Besinnungslosigkeit der Jugend. In der ersten Szene geht Janaina durch den Regen. Eine junge Frau, vielleicht gerade volljährig, vielleicht auch noch nicht. Sie steigt in ein wartendes Auto. Drinnen diese unangenehme Sprachlosigkeit, wie es sie oft zwischen Jugendlichen und Erwachsenen gibt, diesen Bewohnern weit entfernter Welten. Dann fragt der Mann am Steuer: "Wie war dein Tag in der Schule?" und "Was hast du am Wochenende gemacht?" Weil Janaina ihm aber schon in der nächsten Szene in einem Hotelzimmer den Hosenstall aufknöpft, ist schnell klar: Das ist nicht der Vater oder Großvater. Janaina verdient sich mit sexuellen Dienstleistungen ein bisschen Geld dazu.

Von Anfang merkt man dem Spielfilmdebüt von Henning Gronkowski an, dass es hier jemandem darum geht, Grenzen zu überschreiten - oder genauer: von Menschen zu erzählen, die das ganz selbstverständlich tun. Deshalb schneidet Gronkowski nach der Hosenstallszene auch nicht weg, sondern zeigt die beiden beim Sex. Die Stoßbewegungen, das Stöhnen, die faltigen Hände auf der jungen Haut.

Henning Gronkowski erzählt in "Yung" von Janaina und ihren drei Teenagerfreundinnen Emi, Abbie und Joy, deren einziges Interesse ihren hedonistischen Abenteuern gilt. Irgendwie machen sie nebenbei auch noch Abitur, vor allem aber feiern sie bis zum Morgengrauen in Clubs und ziehen sich die verschiedensten Drogen rein, Speed, Koks, Ketamin, LSD, Pilze, am liebsten aber Liquid Ecstasy, das sie kurz "G" nennen. Darauf haben sie viel Sex, mit Männern und mit Frauen, und reden genauso viel darüber. Sie dealen und kochen selbst Drogen. Sie driften durch den Sommer, als wären die Tage und Nächte endlos, und rappen in ihren Instagram-Storys darüber, wie breit sie wieder waren. Ein bisschen ist das wie damals in Larry Clarks Teenagerfilm "Kids". Abgefuckt, ungebremst. Nur in Berlin. Und heute.

Es gibt wahrscheinlich nicht viel, was bei Eltern mehr Angst auslöst als diese Parallelwelt, die Henning Gronkowski hier in rauen, meist mit Handkamera gefilmten Bildern verdichtet. Es ist es eher ein Zeigen als ein Erzählen. Oder mindestens beides. Denn die Radikalität dieses Films ist sowohl das Kalkül seines Regisseurs als auch sein dokumentarisches Anliegen. Henning Gronkowski, den Klaus Lemke einst als Darsteller für seine wild improvisierten Independent-Produktionen entdeckte, kennt die Welt der Berliner Clubs, ihre Gesichter und Geschichten.

Henning Gronkowski zeigt auf eine neue Art die Zwischenwelten Berlins

Genauso - nämlich beim Feiern - hat er auch die Protagonistinnen kennengelernt, von deren Energie sein Film lebt: Janaina, Emi, Abbie und Joy sind allesamt Laiendarstellerinnen, die sich mehr oder weniger selbst spielen. Damit spielt Gronkowski zusätzlich, indem er immer wieder Interviewszenen einstreut, in denen die Frauen - durchaus reflektiert - über ihre Erfahrungen sprechen. Wie die Drogen wirken, wie hoch das Risiko ist, ob man lieber lesbisch werden sollte, was man vom Leben erwarten könnte. Diese Einschübe haben einen herrlich widersprüchlichen Effekt: Sie verstärken einerseits den Eindruck der Authentizität, andererseits aber auch die Gemachtheit des Films, also seine Inszenierung als Hybridform, in der die Grenzen bewusst zerfließen. "Yung" ist immer beides: Realität, die gut als Fiktion funktioniert, und Fiktion, aus der man, wenn auch nur splitterweise, Berliner Gegenwart herauslesen kann.

Zum Beispiel den Bewusstseinszustand in diesen endlosen Schleifen aus Techno-Beats, Drogen und Exzess. "Theoretisch kannst du in Berlin immer feiern. Erst gibt's eine Prehour, dann gehst du zur Party, dann zur Afterhour und hopst dann wieder zur nächsten. Und so weiter und so weiter", sagt Emi einmal. Gronkowski findet für diese Stimmung die richtige Form, indem er seinen Film nie an einem gewöhnlichen Plot oder dramaturgischen Linien entlang baut. "Yung" driftet durch die Sommertage wie die vier Freundinnen. Jeder mögliche Handlungsstrang, ob Joys Ärger mit einem Drogenboss oder ein Moment der Eifersucht zwischen Janaina und Emi, führt immer nur in die Unschärfe des nächsten geilen oder, wenn man Pech hat, auch mal miesen Trips. Vom "normalen" Alltag sieht man nichts. Nur einmal klopft Janainas Mutter an die Zimmertür und erkundigt sich nach den Hausaufgaben. Erst ganz am Schluss sieht man die Frauen kurz im Kreis ihrer Familien. In der kleinen Pause vor dem nächsten Exzess.

Das alles macht "Yung" zwar zu einem Berlin-Film, aber zu einem eigenwilligen. Gronkowski erzählt auf eine neue Art von den Zwischenwelten der Hauptstadt. Davon, dass die Partys längst keine besondere Verheißung mehr versprechen, sondern Normalzustand sind. Davon, wie es ist, schon mit 16, 17, 18 Jahren in diesen gnadenlosen Strudel zu geraten. Davon, sich dabei blaue Flecken zu holen und immer weiter zu machen. Von der Verlorenheit einer neuen Generation - oder einer ihrer Splittergruppen, die sich genau so wenig um die politischen Debatten der Eltern schert wie um die Wut der Fridays-for-Future-Bewegung. Janaina und ihre Freundinnen jagen auf ihre ganz eigene Art dem Traum von einem selbstbestimmten Leben hinterher. Gronkowski will davon so ernsthaft wie zugespitzt erzählen. Mit allem, was dazugehört. Der Dreck und die Selbstzerstörung, die krasse Sprache und der Realitätsverlust. Auch wenn Eltern das niemals wahrhaben wollen.

Yung , 2019 - Regie, Buch: Henning Gronkowski. Kamera: Adam Ginsberg. Schnitt: B. Good, Z. Mougin, O. Neergaard. Mit: Janaina Liesenfeld, Abbie Dutton, Joy Grant, Emily Lau. Wild Bunch. 95 Minuten.

© SZ vom 28.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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