Yankeeland:Viele Adjektive in Phoenix

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Alfred Kerr: Yankeeland. Eine Reise durch Amerika 1924. Aufbau Verlag, Berlin 2019. 244 Seiten, 22 Euro. (Foto: N/A)

Im Jahr 1924 reiste der genialische Theaterkritiker Alfred Kerr zum dritten Mal nach Amerika. Seine Berichte für das "Berliner Tageblatt" liegen in einer Neuauasgabe vor.

Von Lothar Müller

Sehr leicht war das wichtigste Gepäck, als Alfred Kerr im April 1924 zu seiner dritten Amerikareise aufbrach: sein Stil, erprobt an Buch und Bühne, Zeitbild und Reiseschilderung. Ein sehr punktierter Stil. Adjektiv-erfinderisch, pointenselig. Ein Markenartikel, vorzugsweise auf Zeitungspapier erstgedruckt, in knappen Absätzen unter römischen Ziffern. Mosse hatte die Reise finanziert, Artikel für das Berliner Tageblatt waren zu liefern. 1925 erschien die Buchausgabe "Yankeeland". Erfrischend bis heute die polemische Lust, mit der Kerr das Pappschwert des heimischen Amerika-Bashings zusammenfaltet, die Gegenübersetzung von Kultur und Zivilisation. New York ist er verfallen, aber er hat es schon in einem anderen Buch beschrieben, darum ist es hier weitgehend ausgespart.

Dieses Buch führt vom Südwesten und Süden nach Nordosten. Ein Vorspiel in Washington D.C. muss sein, denn der deutsche Kritiker wird im Weißen Haus vom Präsidenten empfangen.

Kerr entdeckt, nachdem er in New Orleans "eine Stadt der Gewesenheit, des Schwunds" gesehen hat, in Kalifornien das pazifische Amerika, verliebt sich in Coronado Beach, blickt in San Diego, Los Angeles, San Francisco auf Straßenleben, Industrie, zieht die Naturschauspiele, auch die künstlichen, dem Theater, der Literatur vor. Hollywood erhält nur ein paar Zeilen.

Die Immigranten gelingen ihm gut. Die Schwarzen aus heutiger Sicht weniger. Die Indianer schätzt er höher. Beachtliche Adjektiv-Dichte in Phoenix und im Grand Canyon, später im Yellowstone-Park. Einmal taucht seine mitreisende Gattin Julia auf, im Kapitel über die Mormonen. Gespräche über Polygamie, ostentative Verweigerung des Spotts über Sekten. Kerrs Religionstheorie ist praktisch, quadratisch, gut aufklärerisch: Die Amerikaner brauchen die Religion als eine Art Treibstoff für ihre grandiosen Projekte. Dann fährt er über Chicago, Boston und die Niagarafälle zurück ins geliebte New York. Manchmal zu viel Markenzeichen, aber lesenswert.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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