Wolfgang Wagner tritt ab:Der Gral bleibt in der Familie

Lesezeit: 2 min

Wolfgang Wagners verabschiedet sich aus Bayreuth, doch die Festspiele werden kein nationales Heiligtum - sie bleiben im Familienbesitz.

Gustav Seibt

Noch eine Stunde vor Beginn der Vorstellung leugnete das Pressebüro der Bayreuther Festspiele, Wolfgang Wagner wolle sich zum Abschluss der Saison mit Stefan Herheims "Parsifal" unter die Künstler mischen und nach mehr als fünfzig Jahren Abschied von seinem Publikum nehmen.

Patriarch auf dem Drachenthron: Milde lächelnd nahm Wolfgang Wagner, der an diesem Samstag seinen 89. Geburtstag feiern kann, die Huldigungen des Publikums im Festspielhaus von Bayreuth entgegen. Mit dem letzten Vorhang für den "Parsifal" in diesem Jahr endet auch die Ära des Enkels von Richard Wagner, der die Festspiele auf dem Grünen Hügel seit 1951 leitete. Der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (Mitte) würdigte die "ungeheure Lebensleistung" des scheidenden Festspielleiters. Um seine Nachfolge bewerben sich unter anderem seine Töchter Katharina (links) und Eva (rechts). (Foto: Foto: AP)

Das Gerücht sei "definitiv falsch", nur eine Verabschiedung im kleinen Kreis mit dem Bundespräsidenten sei vorgesehen. Als der greise Wagner dann in der tadellosen Smoking-Tournüre, die ein Drittel des Bayreuther Publikum mittlerweile verschmäht, von einem rotsamtenen Louis-Treize-Stuhl milde lächelnd aufstand, taten es ihm die Zuschauer nach und jubelten gerührt. Das wiederholte sich vier bis fünf Mal. Keine sonstige Demonstration, die auf das Ende einer Ära hinwies oder gar auf die bitteren Nachfolgekämpfe, die zuletzt neu entbrannten.

Auf die Presse ist man derzeit in Bayreuth ganz schlecht zu sprechen, und so war die Politik des Leugnens aufgegangen: Nur eine Handvoll Fotografen drängelten sich an den Türen, wo man sich erst einmal zu gedulden hatte.

Die nachher hinter der Bühne zugelassenen Pressevertreter dürften einstellige Zahlen nicht überschritten haben. Das grobe Mittel der Unwahrheit verstimmt aber doch, wo es so viele andere gäbe.

Dabei war der inszenatorische Moment am Ende einer Parsifal-Inszenierung, die die Enthüllung des Grals in das Rund des Bonner Bundestages verlegt, nicht ohne treffenden Witz.

Zwiespältiges Erbe der letzten Jahre

Die nüchterne Ästhetik der Bundesrepublik siegte am Ende über eine von Einfällen und Anspielungen zugestellte, in ihrem großen Ablauf über lange Strecken dramaturgisch unerkennbare Aufführung, die die deutsche Geschichte von Bismarck bis zum Wagnerschen Brüderpaar nachstellte.

Die gründerzeitliche Abundanz, das Prinzip des "Darf es etwas mehr sein?" kontrastierte fast schmerzhaft mit der absichtsvoll verlangsamten, sich insgesamt über sechseinhalb Stunden hinziehenden musikalischen Interpretation des Italieners Daniele Gatti.

Das Erbe der letzten Bayreuther Jahre von Wolfgang Wagner zeigte am Donnerstagabend noch einmal sein zwiespältiges Gesicht. Modernität als Installations- und Assoziationsraum, davon zeugen fast krampfhaft, wenn auch auf unterschiedlichen Niveaus die letzten Inszenierungen des "Parsifal" durch Schlingensief und der "Meistersinger" von Katharina Wagner; eine Kunst, die im Zeitalter von Jonathan Meese auch kunstmarktdominant ist.

Ein opulentes Ungefähr hat die formstrenge Abstraktion ersetzt, die in Herheims "Parsifal" nur als Lokalfarbe unter anderen präsent war. Zukunft sieht hier beliebig aus.

Und das zweite Erbe Wolfgang Wagners, die unversöhnliche Zerstrittenheit der Familie, macht jetzt wohl nur Alles-oder-nichts-Entscheidungen möglich.

Die Option, dass die ja noch sehr junge Katharina Wagner in einem zehnjährigen Wartestand, in dem Nike Wagner mit Gérard Mortier Ordnung ins konzeptionelle Durcheinander bringt, Professionalität erwirbt, scheint nicht begehbar zu sein.

Der rüde Umgang mit der Presse - missliebige Musikjournalisten haben es vorerst schwer, ins Haus zu kommen - spiegelt auf einem Nebenschauplatz solche Verbunkerung. Wolfgang lächelte milde und vielleicht verschmitzt. Der Gral bleibt ein Familienbesitz, kein nationales Heiligtum. Am Ende kann Größe einfach eine Frage der Zeit sein.

© SZ vom 30.08.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: