Wohnkultur:Pliäng

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Welche Botschaft sendet die Gitarre im Kreativ-Loft, von der völlig klar ist, dass sie nie gespielt wird? Sie erzählt etwas ganz anderes als ihre Besitzer denken.

Von Jens-Christian Rabe

Rock ist tot. Seine sterblichen Überreste findet man in den Design-, Grafik- und Architekturbüros dieser Welt und natürlich in Wohnungen von Angehörigen der kreativen Klasse. Die können nämlich, wie es scheint, seit einer Weile nicht anders, als irgendwo hübsch in die Ecke eine Gitarre zu platzieren.

Eine alte Stratocaster steht dann da zum Beispiel, oder eine semiakustische Archtop-Gitarre - und ist doch nichts anderes als Dekoration. Seufz. Rang und Anspruch der Agenturbetreiber oder Wohnungsbesitzer lassen sich übrigens zuverlässig daran erkennen, ob es eine originale, womöglich sogar Jahrzehnte alte von Fender oder Gibson ist - oder nur eine billige Kopie aus dem Kellerflohmarkt. Das Bedürfnis, sich zu unterscheiden, endet nie.

Aber wo immer man auch näher herantritt, ist das Instrument verstaubt und verstimmt. Pliäng. Bestenfalls. Gar nicht so selten fehlen auch mal mehrere bis alle Saiten. Aber das ist dann auch schon egal. Denn hinter den Bildschirmen oder auf den teuren Vintage-Sofas sitzt kein einziger, der dem guten Stück - selbst wenn er es vielleicht sogar könnte - auch nur ein einziges vernünftiges Riff abzittern wollte. Wahrscheinlicher ist, dass jemand in diesen Räumen gerade in irgendwelchen Online-Kleinanzeigen noch eine weitere Deko-Gitarre sucht. Ist doch eigentlich auch ein super Geschenk.

Und alle rechtschaffenen Rocktrottel des Planeten haben sofort eine schwere Alltagsdepression. Nur wo ist eigentlich das Problem, fragen da die anderen. Man kann sich ja auch Kunst an die Wand hängen, obwohl man kein Künstler ist. - Jahaha, antworten die Rocktrottel, das schon. Aber doch keinen Pinsel!

Das ist ein Punkt. Aber höchstens ein halber. Man sieht durch die Gitarren hindurch nämlich tiefer in die Seele der Gegenwart, als einem lieb sein kann.

Wenn das Instrument nicht von der Intention erzählt, es auch zu spielen, öffnen sich Abgründe

Roland Barthes ließ in seinen "Mythen des Alltags" einmal kein gutes Haar am französischen Spielzeug. Es bestehe bloß aus Reproduktionen von Dingen aus der Erwachsenenwelt, sei nichts als "Imitationsspielzeug", dass die Kinder nicht zu Schöpfern, sondern zu Nutzern machen solle.

Und so diene es bloß dazu, den Menschen so früh wie möglich dazu zu bringen, die Erwachsenwelt, so wie sie ist, als selbstverständlich hinzunehmen.

Der unbestimmte Charakter, den Werkzeuge nun einmal haben (man kann mit einer E-Gitarre John Lennon werden - oder Helene Fischer begleiten), macht die Deko-Gitarre nun ganz in Barthes' Sinn zur ultimativen Ideologiegeißel.

Sie fragt auch stumm noch laut genug: Na, nutzt du noch oder schöpfst du schon, du armer Wicht?

Mit anderen Worten: Es sollten nicht weniger, sondern viel, viel mehr Deko-Gitarren in der Gegend herumstehen.

© SZ vom 26.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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