Wissenschaft und Museen dekolonisieren:Hand in Hand

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Antikensammlungen waren mit der Rassetheorie eng verwoben. Die Museen sollten sich dieser Geschichte stellen. Das betrifft auch die Personalpolitik: Glaubwürdig sind Museen erst, wenn sie Forschungsstellen mit Zuwanderern besetzen.

Gastbeitrag von Mirjam Brusius

Dass hinter dem Kunstraub aus den Kolonien ein rassistisches Weltbild steht, hat sich herumgesprochen. Nicht nur die Sammlungen der ethnologischen Museen sind problematisch, sondern auch die zentrale Antriebskraft dieser Museen, die wertende Differenzierung von Menschengruppen, das "Othering".

Doch wie verhält es sich mit den antiken Sammlungen, beispielsweise denen des Alten Museums, des Pergamonmuseums oder des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel? Warum wird nicht häufiger darüber gesprochen? Vertreter der Altertumswissenschaft und der Archäologie erklären oft, ihre Funde stammten vorwiegend aus dem Nahen Osten, der Türkei oder Ägypten, und da Deutschland dort keine Kolonien hatte, betreffe sie die Debatte nicht. Aber viele Kolonialhistoriker sind anderer Ansicht. Sie verstehen die Region als imperialen Eroberungsraum, in dem ebenfalls ungleiche Machtverhältnisse herrschten. Imperiale Expansionspolitik und Archäologie gingen dabei Hand in Hand.

Längst wird bei internationalen Tagungen auch zur "Dekolonisierung der Archäologie" aufgerufen. In Deutschland scheint man jedoch alles zu tun, um die Debatte einzugrenzen. Große Archivbestände der Babylon-Grabungen und Bestände, die inhaltlich damit zusammenhängen, sind wegen "Eigenforschung" bis auf Weiteres unzugänglich. Statt sich Fragen zu öffnen, feiern die Berliner Verantwortlichen den neoklassizistischen Anbau, die James-Simon-Galerie.

Offenbar ist Johann Joachim Winckelmanns von der Mitte des 18. Jahrhunderts stammendes Idealbild von der "edlen Einfalt", der "stillen Größe" der griechischen Skulpturen nicht nur kanonisch, sondern auch unantastbar. Dass diese Skulpturen Anthropologen bis zur NS-Zeit als Fundament zur Standardisierung von Rassenhierarchien dienten, in denen Menschen mit dunklerer Haut weit unten angesiedelt waren, wird oft verschwiegen. Britische Ägyptologen deklarierten im 19. Jahrhunderts indes "Alte Ägypter" zur hellhäutigen "Rasse", mit dem Ziel, diese von den damaligen Bewohnerinnen und Bewohnern zu unterscheiden. Sie lieferten Francis Galton, der nicht weit entfernt die Eugenik entwickelte, Schädel als Forschungsmaterial.

Auch die Rassentheorie des in Jena tätigen Ernst Haeckel profitierte von der Altertumswissenschaft. Die "Jenaer Erklärung" von 2019, in der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler feststellten, dass das Konzept der Menschenrassen "Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung" war, zeigt beispielhaft, wie Institutionen sich zu ihrer Geschichte bekennen und diese berichtigen können. Auch Antikensammlungen müssten klarmachen, wie eng sie mit Rassentheorie, Antisemitismus und Eugenik verwoben waren. Nur so können sie diese Konzepte klar und deutlich hinter sich lassen.

Die "Wiege der Zivilisation" ist das Alte Ägypten oder Mesopotamien, aber als Gipfel der Zivilisation gilt Europa

Stattdessen werden der "Vordere Orient" und das "Alte Ägypten" in vielen Museen noch immer jenseits von Zeit und Raum gezeigt. Die Exponate werden zwar mit Europa in Beziehung gesetzt, jedoch nicht mit den Einheimischen, die sie oft mit eigenen Händen ausgruben. Stets wird dabei die Überlegenheit der europäischen Kultur behauptet. Sie gilt als Gipfel einer Entwicklung, die in der "Wiege der Zivilisation", dem alten Ägypten und Mesopotamien, ihre Ursprünge hatte.

Dies ist auch das Narrativ der einzelnen Häuser der Museumsinsel: vom Pergamonmuseum über das Alte Museum mit der klassischen Antike, das Christentum im Bode-Museum und hin zur deutschen Malerei in der Alten Nationalgalerie. Schon 2015 beklagte der Oxforder Altertumswissenschaftler Jaś Elsner, dass auf der Museumsinsel das euro- und germanozentrische Weltbild des wilhelminischen Kaiserreichs nie korrigiert wurde.

Die unmittelbaren Folgen der mithilfe der Museen entwickelten Rassenlehren für die NS-Zeit sind nicht nur Elsner, dessen jüdische Vorfahren damals fliehen konnten, allzu bekannt. Doch was ist mit ihrer unbemerkten Kontinuität und, schlimmer, ihrer neueren Konjunktur? Die Journalistin Angela Saini zeigte jüngst in ihrem Buch "Superior: The Return of Race Science", dass Rassentheorien auch aufgrund des Interesses an DNA-Tests außerhalb der Szene weißer Suprematisten neue Popularität erleben, und das, obwohl die Idee biologischer "Menschenrassen" wissenschaftlich unhaltbar ist.

Das Amsterdamer Tropenmuseum nutzte die Aufarbeitung des Sklavenhandels, um über seine Folgen bis heute zu sprechen

Sollte das bei den Museen nicht Anlass genug sein für breite Bildungsarbeit? Wäre die Museumsinsel, wo im Schulterschluss mit Universitäten die Grundlagen des heutigen Rassismus gelegt wurden, nicht ein idealer Ort zur Aufklärung über seine Ursprünge? Das Amsterdamer Tropenmuseum nutzte etwa die Aufarbeitung des Sklavenhandels, in den auch Brandenburg-Preußen 1683 einstieg, um über dessen bis heute spürbare Auswirkungen zu sprechen. Die Kuratorin Subhadra Das zeigt bei Stadtführungen in London, wie sich in Museen und Laboren um 1900 Rassenhierarchien entwickelten, auf denen sich die gewaltträchtige Ideologie des British Empire gründete. Auch deutsche Museen könnten sich auf diese Weise neu präsentieren.

Dass das bislang kaum passiert, hat paradoxerweise auch mit der Aufarbeitung des Holocaust zu tun. Da der Begriff "Rasse" in Deutschland unweigerlich mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wird, lässt sich hier die Debatte nicht führen wie etwa in den USA, wo "race" als Schlüsselbegriff dient.

Die Folgen der Rassenideologie wirken bis heute auch in den Museen selbst nach. Wer hält den Spaten bei Grabungen? Wer hat die Deutungshoheit über die Funde? Was zählt als Wissen? Welche Besucher werden angesprochen? Deutsche Museen sind vor und hinter den Kulissen fast ausschließlich weiß - das zeigt sich in mehr oder weniger subtiler Diskriminierung bei der Personalpolitik ebenso wie in Schwellenangst bei Nichtweißen.

Zwar wurden in den letzten Jahren gut gemeinte neue Projekte initiiert, wie die Initiative "Multaka", die im Islamischen Museum innerhalb des Pergamonmuseums und im Bode-Museum Geflüchtete aus den Herkunftsregionen der Exponate als Guides beschäftigt. Doch Museen sind erst dann glaubwürdig, wenn sie Kuratoren- oder Forschungsstellen mit Zuwanderern oder ihren Nachfahren besetzen und die imperiale Politik des Westens als Fluchtursache in ihren Ausstellungen ansprechen. Nicht zuletzt, um mit neuen Ideen ein vielfältigeres Publikum anzuziehen.

Selbst beim Berliner Humboldt-Forum, wo man den "Dialog" so groß schreiben will, wurden bislang alle maßgeblichen Stellen mit weißen Männern besetzt. Gab es wirklich keine ebenso qualifizierten anderen Kandidatinnen oder Kandidaten?

Nicht-Europäer werden kaum geisteswissenschaftliche Seminare besuchen, solange Lehrende und Lehrpläne "weiß" sind

Mit dem Humboldt-Forum und der Debatte um Restitution stellt sich die Frage nach musealer Deutungshoheit neu. Dekolonisiert werden müssen auch kuratorische Ansätze, Vermittlungsarbeit und vor allem die Personalpolitik. Diese miteinander verzahnten Ziele können die Museen jedoch nicht alleine lösen. Die Universitäten, die die Kuratoren von morgen ausbilden, haben die mangelnde ethnische Vielfalt ihrer Studierenden bisher kaum in den Blick genommen. Nachkommen von Einwanderern werden zögern, sich in geisteswissenschaftlichen Seminaren einzufinden, solange Lehrende wie Lehrpläne weiterhin "weiß" sind.

Längst überfällig ist daher eine grundlegende Debatte zur Dekolonisierung des Curriculums, wie sie in anderen Ländern mit den Museumsdebatten einherging. Schülerinnen und Schüler mit ausländischen Wurzeln schreiben sich nun einmal eher für das Fach Geschichte ein, wenn Lehrende selbst Einwandererkinder sind, gelegentlich Seminare zu "Black German History" angeboten oder nicht westliche Autorinnen oder Autoren diskutiert werden. Erschreckende Zahlen belegen, dass Migration auch noch in der zweiten Generation zu den Faktoren gehört, die die Chancen auf akademische Karrieren stark mindern.

Selbst Projekte zur Kolonialgeschichte werden daher fast ausschließlich von weißen Wissenschaftlern geleitet. Die Stelle einer international profilierten jüdisch-türkischen Professorin für Islamische Kunst und Museumsgeschichte läuft in Berlin ohne Aussicht auf Verlängerung aus. Dies sollte, zumal in einer Stadt mit hohem Migrationsanteil, einen Aufschrei auslösen, ebenso wie die Tatsache, dass Turkish Studies hier als Fach noch nicht etabliert ist.

Natürlich sind dies auch Folgen einer Politik, die Integration über Vielfalt stellt.

Wenn Dekolonisierung keine Metapher bleiben soll, dann hilft nur ein tiefer Blick in die Abgründe der Institutionen. Menschenrassen, obgleich einst an Museen und Universitäten erfunden, gibt es nicht. Doch institutioneller Rassismus ist real.

Mirjam Brusius ist Histo rikerin am Deutschen Historischen Institut London, wo sie das Projekt "100 Histories of 100 Worlds in one Object" initiierte. Sie ist Mitglied der Londoner Gruppe Museum Detox.

© SZ vom 27.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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