Wissenschaft:Das Messer des Geistes

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"Ist Sprache eine Waffe?" - in ihrem traditionellen Januar-Salon suchte die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften nach Antworten. Wie tauglich im akademischen Gefecht ist zum Beispiel "Broken English"?

Von Stephan Speicher

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hat es längst zu einer beträchtlichen Popularität gebracht. Veranstaltungen, die sich an ein größeres Publikum wenden, sind regelmäßig sehr gut besucht, die Diskussionen rege. Der Höhepunkt des Auflaufs aber ist in jedem Jahr der Salon Sophie Charlotte, benannt nach der ersten Königin Preußens, die sich große Verdienste um die Gründung der Akademie erwarb. Der Salon, stets im Januar stattfindend, ist die Kirchweih der Wissenschaft oder besser noch, der Zirkus. Das Gebäude am Gendarmenmarkt ist dann farbig beleuchtet (eine Inszenierung von Studenten der Beuth-Hochschule für Technik), und überall gibt es Fremdes, Staunenswertes und starkes Gedrängel.

Die ganze Sache funktioniert nämlich nach dem Drei-Manegen-Prinzip des Zirkus. Es finden verschiedene Dinge gleichzeitig statt, so dass man sich nie langweilt und immer etwas verpasst. Die so erfolgreiche Konzeption der Veranstaltung stammt von der Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit, Gisela Lerch, die in diesem Herbst ausscheiden wird, sie wurde mit verdientem Applaus begrüßt. In diesem Jahr hieß das übergeordnete Thema "Ist Sprache eine Waffe?", nach einer Bemerkung Kurt Tucholskys aus dem Krisenjahr 1929: "Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf".

In seiner Begrüßung kam der Präsident der Akademie, der Mathematiker Martin Grötschel, auf seinen Fachkollegen Edward Lungu zu sprechen. Als Kind erlebte Lungu, dass das Schulsystem in Südafrika zwischen Weißen, Farbigen, Indern und Schwarzen unterschied. Die schwarzen Kinder, zu denen er gehörte, erhielten nur einen dürftigen Mathematik-Unterricht. Ihnen habe man die Waffe dieser Sprache wohl nicht überlassen wollen. Zumindest wer aus Nordrhein-Westfalen stammt, erinnerte sich, dass bis in die späten 1970er Jahre das altsprachliche Gymnasien den Jungen vorbehalten war. Wollte man den Mädchen das Griechische vorenthalten, um sie nicht zu bewaffnen? "Die alten Sprachen sind die Scheiden,/ Darin das Messer des Geistes steckt" heißt es in Goethes "Zahmen Xenien".

Bei weitem nicht alle Veranstaltungen hatten es mit dem Waffencharakter der Sprache zu tun. Julia Fischer (Göttingen) und Onur Güntürkün diskutierten über die Kommunikation der Tiere. Es gibt sie zweifellos, aber auch Sprache? Das wohl nicht, aber wenn die Sprachfähigkeit eine Entwicklung hat wie die Arten auch, dann fassen wir bei Tieren vielleicht eine frühe Stufe. Was ihnen jedenfalls fehle, sei die Freude an der Kommunikation, wie sie Kindern haben, die anfangen zu sprechen.

Der Biochemiker Ferdinand Hucho und sein Sohn Carsten Hucho, Physiker, sprachen über "Bad English, die weltmännische Sprachprothese der Naturwissenschaftler". Die natürliche Sprache hat in ihren Disziplinen einen schwachen Status, das Bad English sei die Verpackung, in der man seine Forschungen den Fachzeitschriften zuschicke. Wohl könne man in einer "warmen, wohligen" Sprache über Physik reden, das diene aber mehr der Motivation eines Laienpublikums als der Verbreitung von Erkenntnissen.

Aber Carsten Hucho berichtete auch, dass man über neue Ideen in seinem Institut in natürlicher Sprache rede. Ist das Bad English ("extremely broken") etwas Gutes, weil es die Kommunikationsschranken senkt? Untersuchungen mit schwedischen Physikstudenten haben ergeben, dass der Unterricht in der Muttersprache zu besseren Ergebnissen führt als der in Englisch, obwohl die Schweden für gutes Englisch bekannt sind. Bad English ist eine "Prothese" - gut, dass es sie gibt, aber sind nicht doch diejenigen im Vorteil, die diese Prothese nicht brauchen? Man verließ den Salon mit vielen Fragen, und so soll es sein.

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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