Roman:Großer Glanz von innen

Lesezeit: 3 min

William Saroyan: Tja Papa. Roman. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Mit Illustrationen von Katharina Netolitzky. DTV, München 2019. 192 Seiten, 18 Euro. (Foto: N/A)

In seiner Künstler- und Armutsgeschichte "Tja, Papa" reflektierte der amerikanische Schriftsteller William Saroyan über den Zwiespalt aus wirtschaftlichem und künstlerischem Anspruch.

Von Sofia Glasl

Schreiben ist gleichermaßen Kunst und Arbeit. Der amerikanische Schriftsteller William Saroyan hat stets beide Seiten gelebt und leben müssen. Er war pragmatischer Schnell- und Vielschreiber, der eine Familie zu ernähren hatte. Zugleich war er aber auch exzentrischer Lebemann. 1940 lehnte er den Pulitzer-Preis ab, weil er es für falsch hielt, dass Businessleute über Kunst urteilen. Aus demselben Grund versuchte er auch vergeblich, die Rechte an seinem Drehbuch "Und das Leben geht weiter" von MGM zurückzukaufen. Es mag eine Ironie des Schicksals sein, dass ihm für das Script 1944 ein Oscar zugesprochen wurde.

In seinem Roman "Tja, Papa" reflektiert er genau diesen Zwiespalt aus wirtschaftlichem und künstlerischem Anspruch. Saroyan schrieb den Roman 1957 für seinen Sohn Aram, der später selbst Schriftsteller wurde. Darin überträgt der Vater des Ich-Erzählers Pete dem Sohn zum zehnten Geburtstag die Aufgabe, einen Roman zu schreiben. Dieser glaubt nicht, dass er das schafft und argumentiert mit seinem zarten Alter, seiner mangelnden Lebenserfahrung und damit, dass er nicht wisse, wie er anfangen solle. "Ein Schriftsteller weiß das nie. Und es hat auch noch nie einer gewusst, wann er angefangen hat. Du hast vor langer Zeit mit Deinem Roman angefangen", entgegnet der Vater und stellt ihm existenzielle Fragen danach, was er später werden oder sein wolle (der erste Mensch auf dem Mond), und beantwortet Petes Fragen nach seinem Lieblingsbuch (Wörterbuch) und dem beliebtesten Buch aller Zeiten (die Bibel, vermutlich, weil niemand sie gelesen hat). Pete lernt, die Welt um sich genau zu beobachten und auf scheinbar irrelevante Details zu achten. "So lernst du schreiben, indem du dir alles gut anschaust."

Im Vorwort erläutert Saroyan. dass er den Protagonisten Pete aus Erinnerungen sowohl an seine eigene als auch an Arams Kindheit zusammengesetzt hat. Pete ist also eine mehrfach reflektierte und reflektierende Projektion einer Kindheit und des Künstlerdaseins. Das genaue Beobachten der Umwelt, ihre Beschreibung in Wortspielen, das stetige Hinterfragen der Gegebenheiten: Diese weltoffene Neugier ist es, die nicht nur den zehnjährigen Ich-Erzähler umtreibt, sondern auch Saroyan selbst, der seine Figuren und ihr Innenleben genau seziert und diese dann in die Welt wirft, um auch immer etwas über sich selbst zu lernen. "Ein Schriftsteller muss in diese Welt verliebt sein, sonst kann er nicht schreiben," behauptet Petes Vater und benennt damit die Haltung, die er für eine Grundvoraussetzung seines Schaffens hält.

Diese Haltung macht aus den Miniaturen, die Petes Erinnerungsfetzen an die Kindheit beim Vater wiedergeben, vignettenhafte Meditationen über die Bedeutung von Geistesarbeit auf der Suche nach der eigenen Stimme und der eigenen Identität. Katharina Netolitzkys einfach gehaltenen Zeichnungen bringen die Kapitel auf einen Nenner. Diese sind schlicht "Schiff", "Fleisch" oder "Auge" betitelt und vernetzen Petes Lebenswelten miteinander: das Leben am Strand, die immer wieder offene Frage, ob genügend Essen im Haus ist sowie mikroskopische Beobachtungen der Umgebung und der eigenen Innenwelt.

Bei einem Ausflug am Meer sehen sie ein Boot mit dem Namen "Fearful Friend", den sie im Deutschen etwas schief als furchtbaren Freund lesen, vertiefen sich anhand dessen in ein Gespräch darüber, dass die eigene Intelligenz ein grauenhafter Freund sein kann, etwa wenn sie einem immer wieder die eigene Sterblichkeit vor Augen führt, die wiederum nicht in einem Bootsnamen mitschwingen sollte. Pete würde ein Boot daher lieber "Ha ha ha" nennen und will auch mit seinem eigenen Schreiben die Leute zum Lachen bringen.

Zum Lebensgefühl des Geistesarbeiters gehört bei Saroyan die Armut, auch in den Fünfzigerjahren, die in den USA eigentlich den Aufschwung bedeuteten. Der Vater lebt zwar in einem Strandbungalow in Malibu, doch gibt es tagein tagaus Reis zu essen. "Reis mit was mein Vater gerade in der Speisekammer, im Kühlschrank, in den Fächern des Küchenschranks, in einer Schüssel oder irgendwo in einer Papiertüte hat, egal was". Der Vater deutet die karge Mahlzeit zum mondänen "Schriftstellerreis" um. Doch dass die Bohnen im Eintopf abgezählt sind (neunundneunzig und ein paar zerbrochene), bemerkt auch Pete.

Noch zwanzig Jahre nach der Wirtschaftskrise schreibt Saroyan gegen die "Great Depression" an, die auch eine Identitätskrise war. Das Schreiben ist hier deshalb viel mehr als ein "way of life", es ist eine wirtschaftliche wie mentale Überlebensstrategie.

Den Brotjob nimmt Petes Vater recht wörtlich: Um genügend Essen auf den Tisch zu bekommen, beginnt er, ein Kochbuch zu schreiben und lehrt seinen Sohn indirekt, dass Geistesnahrung mindestens so wichtig ist wie eine ordentliche Mahlzeit.

© SZ vom 06.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: