Wiener Werkstätte:Neue Frau

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In Wien wird Schmuck aus dem Besitz der radikalen Trendsetterin und Stilikone Emilie Flöge versteigert.

Von Alexandra González

Dass Emilie Flöge das Ruder übernehmen konnte, zeigte sie Gustav Klimt nicht nur auf den gemeinsamen Bootsfahrten. Wie es auffiel, dieses Paar in der Sommerfrische am Attersee! Die selbstbewusste Modemacherin im opulenten Kaftan aus dem eigenen Couture-Salon, der berühmte Jugendstilkünstler im bodenlangen Malerkittel als Bekenntnis zur Lebensreformbewegung um 1900. Zwei Hippies avant la lettre, verstrickt in eine der modernsten Beziehungen der Kunstgeschichte.

Sie war finanziell unabhängig, Gustav Klimts Geschenke konnte sie unbefangen annehmen

Nicht einmal zum Rudern legte Flöge ihre Broschen und um den Hals gewickelten Muffketten der Wiener Werkstätte (WW) ab: teure Aufmerksamkeiten von Klimt, die sie unbefangen annehmen konnte, weil sie als Geschäftsfrau finanziell unabhängig war. Seit 1904 betrieb sie in der Mariahilfer Straße den Salon "Schwestern Flöge", den die WW vom Geschäftsschild bis zu den Vitrinen ausgestattet hatte. Dort bot sie die sachlich-reduzierten Juwelen nicht nur zum Kauf an, sie trug sie zu ihren Reformkleidern auch selbst - und setzte so ein neues Modeverständnis durch. Vor Coco Chanel gab es Emilie Flöge.

Zehn bedeutende Kreationen aus dem Schmuckangebot der WW hat Gustav Klimt seiner Freundin nachweislich geschenkt. Und wenn ihr danach war, leistete sich diese Influencerin der Wiener Moderne ein schönes Stück auch selbst.

Tauchen die frühen Meisterwerke der 1903 gegründeten Designschmiede heute am Kunstmarkt auf, müssen Sammler tief in die Tasche greifen. Die Arbeiten sind Höhepunkte eines avantgardistischen Gestaltungswillens in allen Lebensbereichen, mit denen die Initiatoren der "Produktiv-Genossenschaft" Koloman Moser und Josef Hoffmann die Dekorationsorgien des Historismus überwanden. In dieser Saison stößt man in der Jugendstilofferte der Wiener Auktionshäuser gleich auf drei Josef-Hoffmann-Preziosen. Beim Dorotheum sind am 12. Dezember eine runde Brosche mit Schmucksteingirlanden von 1908 ab 40 000 Euro und ein rechteckiger Malachit-Anstecker von 1911 ab 15 000 Euro zu haben.

Malachit-Brosche von Josef Hoffmann. (Foto: Dorotheum)

Das Im Kinsky wiederum wartet am 30. November mit einer Kette von Hoffmann aus Flöges Privatschatulle auf, die mit bis zu 80 000 Euro geschätzt ist. Man erkennt das Collier mit plakativem Anhänger aus ovalen und runden Perlmuttplättchen, die zwischen filigrane Silberstege gefasst sind, auf einer Mode-Aufnahme der Fotopionierin Madam d'Ora von 1910.

Bis heute regt Klimts opakes Verhältnis zu Flöge die Fantasie an. Ist es diese geheimnisvolle Liebe, die er in seinem epochalen Gemälde "Der Kuss" sublimiert? Um die letzte Jahrtausendwende kam das Geschäft mit den Memorabilien dieser Seelenverwandtschaft in Schwung.

Die Preziosen lagen wie Blei in den Vitrinen. Wirklich geschätzt werden sie erst heute

Im Oktober 1999 ließ Wolfgang Fischer, Autor und Kunsthändler, den 1981 von ihm erworbenen Flöge-Nachlass bei Sotheby's in London versteigern. Zwei Klimt-Geschenke erwiesen sich als Kronjuwelen der Auktion: eine zarte Halskette von Koloman Moser mit Karneolperlen, milchweißem Chalzedon und facettierten Silberplättchen sowie ein herzförmiger Anhänger, den ein Spiegel und zwei schwarz irisierende Opale zieren.

Klimt überraschte Flöge mit den Accessoires an Weihnachten 1903 beziehungsweise 1904. Für jedes der Unikate hatte er 100 Kronen bezahlt, das entsprach seinerzeit in Wien zwei durchschnittlichen Monatsgehältern. Ein Jahrhundert später sicherten sich Enthusiasten aus dem Sammlerumfeld der Neuen Galerie New York die beiden Stücke zu je 51 000 Pfund.

Die 1903 ausgeführte Halskette von Kolo Moser zählt zu den ersten Kleinodien der WW. Eine ästhetische Revolte kündigte sich an: Nicht um den materiellen Wert ging es, sondern ausschließlich um den künstlerischen Ausdruck. Demonstrativ verzichtete man auf die fade Perfektion von Brillanten und verwendete stattdessen subtil glänzende, glatt geschliffene Farbsteine. So ausgeklügelt waren die Konstruktionen, zumal der Designs Josef Hoffmanns - die zierliche geometrische Umrahmung, die feinen handgeschlagenen Plättchen, die wie hingewürfelten bunten Cabochons -, dass sie dem Handwerker Virtuosität und viele Arbeitsstunden abverlangten.

Emilie Flöge 1910 mit Hoffmann-Collier auf einem Foto von Madam d'Ora. (Foto: Im Kinsky)

In den drei Jahrzehnten ihrer Existenz entwarf die WW 2900 Schmuckstücke. Heute zirkuliert überwiegend Emailware aus der späteren Zeit, darunter Utensilien wie Gürtelschließen und Manschettenknöpfe, günstig produziert in Auflagen bis zu tausend Exemplaren. Die Preise dafür liegen zwischen einigen Hundert bis 5000 Euro.

Museale Kreationen sind dagegen selten. Auftraggeber und Besitzer jener Luxusobjekte in Kleinstauflage war eine winzige Gruppe von Kennern, darunter viele Juden. Was vor den Raubzügen der Nazis gerettet werden konnte, befindet sich überwiegend in privaten und öffentlichen Sammlungen. Für diese Raritäten sind bis zu sechsstellige Eurobeträge fällig. Als etwa Flöges Kolo-Moser-Muffkette, auch diese ein Geschenk von Klimt, im Mai 2016 beim Dorotheum versteigert wurde, fiel der Hammer bei 160 000 Euro.

Vor allem die Entwürfe der vier maßgeblichen Gestalter haben das Preisniveau ins Astronomische gehoben: Josef Hoffmanns architektonisch-ausgewogene Gesamtkompositionen, Kolo Mosers bewegte, stilisierte Naturformen, Carl Otto Czeschkas feingliedrige Blattrankengeflechte und schließlich Dagobert Peches kapriziöse Rokokospielereien. Doch immer stärker rücken auch Spezialisten aus der zweiten Reihe wie Eduard Wimmer-Wisgrill in den Fokus.

So sehr sich Emilie Flöge bemühte, den neuen Stil vorzuleben - in ihren Vitrinen lag der Schmuck wie Blei. Radikal schön war er, aber in der Diskrepanz von niedrigem Materialwert und hohem Verkaufspreis am Markt vorbeiproduziert. Hundert Jahre später kennt die Wertschätzung dieser Miniaturkunstwerke unter Sammlern keine Grenzen.

© SZ vom 24.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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