Wettbewerb:Kein Glück ohne Krise

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Valeska Grisebachs "Sehnsucht", der dritte deutsche Beitrag, bietet Tannen im Wind und die große Leistung dreier Laienschauspieler.

Susan Vahabzadeh

Der Himmel ist trüb über Berlin, und dann werden auch noch Prophezeiungen verbreitet, die die Gemüter der Filmliebhaber noch tiefer hineintreiben in die Melancholie: Einer Forsa-Umfrage für den Stern zufolge wird im alltäglichen Kinobetrieb alles noch schrecklicher, als es sowieso schon ist.

Nach dem bösen Besucherschwund 2005 würde in diesem Jahr ein weiterer Rückgang bevorstehen. Da grämen sich die Vielseher im Berlinalepalast, dabei werden sie selbst jeden Tag ungnädiger.

Ruhige Beobachtungen in "Sehnsucht"

Beim Verlassen der morgendlichen Vorab-Aufführungen sind entnervte Ausrufe professioneller Festivalbesucher zu hören: "Ich schau mir keine Filme mehr von Männern im Rentenalter an, es reicht!" (vorgestern), "Prätentiöse Sexszenen machen mich langsam aggressiv!" (gestern), "Wenn ich Tannen sehe, die sich im Wind wiegen, bin ich schon bedient!" (heute).

Fair ist das nicht, drückt aber eine Mischung aus Reizüberflutung und Kinoüberduss aus. Was überhaupt keine Entschuldigung ist: Als der Chef des Deutschen Filmmuseums, Hans Helmut Prinzler, seine letzte Retrospektive feierte und dabei mit einer Berlinale-Kamera überrumpelt wurde, merkte Senta Berger in ihrer Laudatio zu Recht an, dass er vom Kino nie genug bekommen hat, in all den Jahren nicht.

Die Tannen im Wind kommen in Valeska Grisebachs "Sehnsucht" vor, dem dritten der deutschen Wettbewerbsbeiträge, und sie schaden dem Film kein bisschen. "Sehnsucht" besteht aus sehr ruhigen Beobachtungen der Figuren und der Orte, an denen sie sich bewegen.

Grisebach hat mit Laienschauspielern gearbeitet, drei Menschen stehen im Mittelpunkt ihrer Geschichte. Am Anfang sieht man, wie ein junger Mann, Markus, versucht, dem Opfer eines Autounfalls zu helfen - es war dann, aber wie sich herausstellt, gar kein Unfall.

Ein Ehepaar hat sich umgebracht, der Mann ist einfach gegen einen Baum gefahren; und Markus reagiert darauf mit leiser Verstörung; seine Frau Ella findet's irgendwie romantisch. Die beiden leben in einem kleinen Dorf nicht weit von Berlin, sie scheinen ein glückliches junges Paar zu sein, auf sehr unspektakuläre Weise.

Sie reden nicht viel und haben nicht viel, Ella singt im Chor, Markus ist Schlosser, in der Freizeit gibt es spießige Familientreffen. Auf einer Fortbildungsreise der Freiwilligen Feuerwehr lässt Markus sich mit einer anderen Frau ein, ohne tiefere Absicht, aber er trifft sie immer wieder, bis er seine Ehe ernstlich in Gefahr damit bringt, sein ganzes Leben den Bach runtergeht.

Die Sehnsucht, die Valeska Grisebach meint, ist gar nicht der Wunsch nach einer konkreten Sache oder einem bestimmten Menschen - es geht eher um die Sucht, irgendwas zu haben, wonach man sich sehnen kann.

Szene aus "Sehnsucht" mit der Laienschauspielerin Ilka Welz (Foto: Foto: Berlinale)

Irgendwie scheinen sich ihre drei Figuren vor allem deswegen in Bedrängnis zu bringen, weil es ihnen nicht reicht, dass ihr Leben so dahinplätschert - Menschen werden eben nicht richtig glücklich, bloß weil die Dinge einigermaßen zufriedenstellend laufen. Entweder sie verlangen mehr oder sie brauchen eine Krise, um das, was sie haben, würdigen zu können.

Die Bären-Prognose bleibt schiwerig

Wie diese drei Schauspiel-Anfänger, die sich Valeska Grisebach ausgesucht hat, das zeigen, wirkt sehr natürlich - dass keiner von ihnen sich in übertriebenen Gesten verfängt, ist eine ziemlich eindrucksvolle Regieleistung.

Die Zaghaftigkeit, mit der Markus seiner Frau und der Geliebten begegnet, mag Schüchternheit vor der Kamera sein, es entsteht dadurch aber eine interessante Figur, ein vorsichtiger, unsicherer Mann, anfangs still und sehnsüchtig, und dann verzweifelt. "Sehnsucht" ist vielleicht nicht die Sorte Film, die einen nicht wieder loslässt, aber rührend ist er schon.

Die Bären-Prognose in diesem Jahr bleibt also einstweilen schwierig. Es gibt auch Stimmen, die warnen, die Berlinale könnte an Attraktivität für ausländische Filmemacher verlieren, wenn der Bär schon wieder zu Hause bleibt - und die vermeintliche Teutonenfeindlichkeit von einst in Affenliebe umschlüge.

Leckerbissen zum Schluss

Der Wettbewerb ist in der Mitte des Festivals jedenfalls ziemlich flau geworden, daran haben die deutschen Filme nichts ändern können. Solange es bei einem Durchhänger bleibt, kann man dem Festival daraus noch keinen Vorwurf machen. In Cannes und Venedig kommen zum Abschluss, wenn schon viele Gäste abgereist sind, oft die Ladenhüter, ein paar ehrenwerte Anstrengungen, die dann für die Restbesucher abgefeiert werden.

Dieter Kosslick hat sich immerhin drei potentielle Leckerbissen aufgehoben für die letzten Wettbewerbstage: die alten Meister Sidney Lumet mit "Find Me Guilty" und Claude Chabrol mit "Geheime Staatsaffären" und Hans-Christian Schmid mit seinem Exorzismus-Familiendrama "Requiem".

Was das Geschäftemachen betrifft, ist die Berlinale 2006 schon ein Erfolg, der European Film Market im Martin-Gropius-Bau, der Produzenten und Einkäufer aus aller Welt anlocken soll, ist heuer doppelt so groß und wurde von den Leuten aus der Branche gelobt.

Oskar Roehlers "Elementarteilchen", mit dem der Wettbewerb am Wochenende in Gang gekommen war, wurde inzwischen in zwei Dutzend Länder verkauft. Roehler auf Weltreise, das klingt doch irgendwie verheißungsvoll.

Auch wenn im Branchenblatt Variety zu lesen war, Roehlers Film sei für den "Elementarteilchen"-Autor Michel Houellebecq ein empfindliches Thema, und den nächsten seiner Romane wolle er lieber selbst verfilmen. Fürs Kino braucht man ein großes Herz - mal sehen, ob seines reicht für einen ganzen Film.

© SZ vom 15.02.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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