Werk 7:"Da braucht man einen langen Atem"

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Nach "Fack ju Göhte" nun "Die fabelhafte Welt der Amélie": Regisseur Christoph Drewitz über München als Musical-Standort

Interview von Christiane Lutz

Christoph Drewitz hatte damals überhaupt keine Lust, sich "Die fabelhafte Welt der Amélie" im Kino anzuschauen - und erlag dann doch dem Charme des Films. Der Regisseur hat vergangenes Jahr das Werk 7 als neue Bühne der Produktionsfirma "Stage Entertainment" mit der Film-Adaption "Fack ju Göhte" eröffnet. Nach neun Monaten war Schluss, weil nicht genug Zuschauer gekommen waren. Nun darf er ein zweites Mal ran, diesmal eben mit "Die fabelhafte Welt der Amélie". Das Musical hat am Donnerstag, 14. Februar, Premiere, es ist eine europäische Erstaufführung.

SZ: Was hat Sie überzeugt, die Regie für "Die fabelhafte Welt der Amélie" zu übernehmen?

Christoph Drewitz: Das Theater ist einfach wahnsinnig geil. Ich durfte bei "Fack ju Göhte" dabei sein, wie hier alles entstanden ist. Jetzt darf ich bei der ersten Verwandlung dabei sein, was thematisch, musikalisch und poetisch ein weiter Weg ist.

Und wie kamen Sie zu dem Stoff?

Als ich gehört habe, dass es "Amélie" als Musical am Broadway gibt, dachte ich, das ist perfekt als Musical. Aber dann war ich von der Umsetzung nicht überzeugt. Weil das total amerikanisiert war. Die Broadway-Version hatte nichts von dem Flair, den der Film hatte, nichts von dem französischen Charme. Hätten wir es hier so machen müssen wie in den USA, hätte ich kein Interesse gehabt.

Wie gingen Sie dann vor?

Wir haben mit den amerikanischen Komponisten und Autoren Daniel Messé und Nathan Tysen gesprochen, die waren offen und interessiert. Als es hieß, wir dürfen das Musical überarbeiten, war ich dabei. Also machte Ratan Jhaveri eine neue Orchestrierung, bei uns ist ein Akkordeon dabei. Heiko Wohlgemuth schrieb ein neues Buch, wir haben Szenen aus dem Film wieder reingenommen. Jeder Satz, der fällt, den haben wir besprochen und überlegt. Das hilft wiederum beim Regieführen.

Wie schwer ist es, einen fast 20 Jahre alten Film, den sehr viele kenne und mögen, auf die Bühne zu bringen?

Ich hab ja gerade mit "Fack ju Göhte" einen extrem erfolgreichen, recht neuen Film adaptiert. Wir können mit dem Medium Film nicht wirklich konkurrieren. Aber, und das ist das Tolle, bei "Amélie" geht es viel um ihre Traumwelten. Auch im Theater geht es darum, die Vorstellungskraft anzuregen. Die Frage ist also: Wie erzeugen wir die gleiche poetische Sprache mit Mitteln des Theaters? Und welche Erwartungen muss ich bedienen? Ich wäre ja bescheuert, das Ikonische an "Amélie" und die Erwartungshaltung des Publikums zu ignorieren.

Den Bob von Amélie zum Beispiel?

Die Frisur ist nicht mal das Entscheidende. Wenn wir eine Darstellerin gefunden hätten, der diese Frisur nicht steht, hätte ich das nicht daran fest gemacht. Aber es gibt starke Bilder im Film. Da musste ich schauen, dass wir die nicht nur nachproduzieren. Es gibt eine Szene im Film, in der Amélie rückwärts auf einer Glaswand die Tageskarte des Cafés aufschreibt und Nino, in den sie verliebt ist, auf der anderen Seite davon sitzt. Das kann ich auf einer 180 Grad offenen Bühne nicht machen. Also muss ich eine eigene Idee mit dem möglichst gleichen Charme finden.

Das mit der braunen Bob-Frisur, sagte die Amélie-Schauspielerin Sandra Leitner, sei absoluter Zufall gewesen. Kurz vor dem Casting hatte sie sich die Haare abschneiden lassen. Ihr Regisseur Christoph Drewitz war begeistert von ihrer Energie - und hätte sie auch ohne Bob für die Hauptrolle besetzt. (Foto: Franziska Hain)

Sie haben im Gegensatz zur Broadway-Version die Melodien von Yann Tiersen dabei. Wie wichtig war Ihnen das?

Sehr wichtig. Darüber hat sich der Film sehr stark definiert. In wie vielen U-Bahn-Stationen sitzen heute noch Akkordeonspieler und spielen den Soundtrack zu "Amélie"? Wenn das nur im Hintergrund läuft, ist man doch sofort in Frankreich. Es war für uns essenziell, das als Grundstimmung mit auf die Bühne zu nehmen. Tiersen hat aber keinen Musical-Score geschrieben, sondern atmosphärische Filmmusik. Also mussten wir seine und die Musik der Musical-Komponisten so zusammen bringen, dass das am Ende nach einer Einheit klingt.

Das Werk 7 wurde jetzt von der Turnhalle aus "Fack ju Göhte" zum Pariser Café umgebaut, der Zuschauer ist wieder sehr nah dran am Geschehen.

Ich finde das toll. Die Zuschauer sollen ruhig Details erkennen können: den Holzboden, die Bar. Wir müssen in diesem Theater die vierte Wand brechen.

Ist das charmante Detail das, was die Menschen suchen, wenn sie ins Musical gehen? Oder wünschen sie sich nicht viel mehr die glamouröse Überwältigung?

Wir haben hier kein "König der Löwen"-Erlebnis anzubieten, wo man mit dem Schiff anreist. Ich versuche immer, das, was ist, nicht wegzudiskutieren, sondern das als positives Merkmal herausstellen. Was können wir? Die Nähe zum Beispiel. Viele wollen in der ersten Reihe sitzen und nah dran sein. Das kriegt man nicht überall.

Bei "Fack ju Göhte" führte das aber auch zu Frust. Zu teure Tickets für zu wenig Komfort, alles improvisiert, die Toiletten draußen, das Abendkleid wird dreckig.

Den Gedanken verstehe ich natürlich. Trotzdem ist wichtig, dass man sich davon nicht einschüchtern lässt und dann nur die eine Art von Musical-Erfahrung bedient.

Für "Fack ju Göhte" bekamen Sie gute Kritiken, das Musical wurde mit Preisen ausgezeichnet. Trotzdem wurde das Stück abgesetzt. Was war das Problem?

Ich glaube, dass wir künstlerisch das Beste gemacht haben, was wir machen konnten. Da bin ich im Frieden. Ich bin auch überzeugt, dass das Stück unabhängig vom Werk 7 Zukunft haben wird. Ich weiß, dass es nicht leicht ist, ein Theater aufzumachen an einem Ort, der noch nicht etabliert ist. Da braucht man einen langen Atem. Wir sind nicht in Hamburg, wir haben kein 2000-Plätze-Haus, der Aufwand, den wir betreiben können, ist nicht so groß.

"Stage Entertainment" gelang es offenbar nicht, entsprechend Werbung zu machen. Ärgert Sie das als Künstler?

Da kann ich differenzieren. Klar hätte ich es schön gefunden, wenn sich die künstlerische Qualität in den Besucherzahlen widergespiegelt hätte. Ich kann mich aber nur künstlerisch in eine Produktion schmeißen, aber den Rest nicht beeinflussen. Jeder hat immer seine Meinung zum Marketing, zum Standort, aber mir ist bewusst, dass das komplex ist. Keine Ahnung, ob mehr Leute kommen, wenn fünf Plakate mehr in der Stadt hängen.

Christoph Drewitz, 40, arbeitet seit vielen Jahren für Stage Entertainment. Er inszenierte Produktionen von "Rocky - das Musical", "Mamma Mia", "3 Musketiere" und "Ich war noch niemals in New York". (Foto: Brauer Photos/Nitschke)

Was machen Sie und "Stage Entertainment" diesmal anders?

Klar bringe ich Ideen ein. Wie: Lass doch unsere Hauptdarstellerin Sandra Leitner schon vor der Premiere mit einem Song rausgehen.

Haben Sie am Theater was verändert? Die Toiletten rein geholt?

Das war natürlich Thema. Aber das entscheide ich nicht. Klar hätte ich ja gesagt, hätte man mich gefragt, ob man die Leute überdacht zum Klo und zurück kommen lassen soll. Andererseits: Die coolsten Veranstaltungsorte der Welt sind irgendwelche siffigen Rockclubs, da scheren die Toiletten keinen. Weil es die halt schon seit 150 Jahren gibt. Wir müssen uns erst noch etablieren. Wer bei "Göhte" im Abendkleid kam, wird das vermutlich nicht nochmal tun. Und hoffentlich trotzdem eine gute Zeit haben.

Haben Sie etwas über München gelernt?

Bedingt. Ich war ja nicht ständig bei Vorstellungen da. Das Hamburger Publikum ist natürlich ein anderes als das Münchner Publikum. Dort gibt es eine andere Musical-Tradition, da kommen sehr viele Touristen nur deshalb hin. Hier musst du dich mehr beweisen, mein Gefühl. Du musst geduldig sein. Dich demütig dem Standort nähern. Wir sind hier, und wir würden uns freuen, wenn ihr uns willkommen heißt.

Welches neue Musical hat Sie zuletzt begeistert ?

"Dear Evan Hansen" und "Come from away" in New York.

Also der Broadway.

Die Masse an kreativen Menschen, die da was machen wollen, ist dort einfach größer. Ich glaube nicht, dass wir das in Deutschland nicht leisten können, "Fack ju Göhte" ist ein gutes Beispiel für eine komplett deutsche Produktion. Man muss die Leute nur dafür zusammenbringen. Wir haben aber nun mal nicht diese Tradition. In Deutschland gibt es keine Musical-Libretto Ausbildung, wir haben ganz wenig Komponisten. Meist sind es Quereinsteiger, die einfach Lust haben. In den USA kann man Drama-Writing und Musical-Theater-Writing studieren. Typen wie Lin-Manuel Miranda, der "Hamilton" geschrieben hat, ein Genie, die haben halt noch zehn andere brillante Leute um sich. Dann kommt so was Geniales wie "Hamilton" raus, ein Hip-Hop-Musical.

Entwickelt sich das deutsche Musical denn auch endlich weiter?

Große Produktionsfirmen haben lang auf die pompösen Formate gesetzt. Klar ist das toll, wenn bei "42nd Street" 50 Leute stepptanzen. Es wird immer die großen Shows geben, und die soll es auch geben. Aber wenn man modernes Musiktheater machen will, muss sich das Musical verändern und entwickeln. Das braucht Zeit. Ich mag den Begriff "erziehen" eigentlich nicht, aber ich möchte den Leuten zeigen: Hey, das gibt es auch! Das versuchen wir hier im Werk 7. In London und New York würden wir gar nicht darüber reden, weil da vielfältige Musical-Formen nebeneinander existieren.

Was reizt Sie an der Musical-Regie?

Musical ist die einzige relevante Musiktheaterform, die sich dynamisch gut entwickelt. Weil es eine riesige Bandbreite gibt von "Les Misérables" zu "Fack ju Göhte" und dazwischen "Hamilton" und "Amélie". Die Menschen wollen eine schöne Geschichte erleben. Egal, ob sie einen Film schauen, ein Buch lesen oder ins Musical gehen. Du musst nur hier mehr dafür tun, dass das wahrgenommen wird. Das frustriert manche meiner Kollegen. Aber es gibt im deutschsprachigen Musicalbereich noch so viel Spielraum, was voranzubringen. Da möchte ich dabei sein. Mein kreativer Dynamo läuft.

© SZ vom 13.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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