Warten auf Goebbels:Endspiel und Schnulze

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Kino als Überwinterungs-Programm, eine deutsche Filmcrew dreht in der Heide. Es ist der der Kriegs-September des Jahres 1944. Man inszeniert einen Dreh und hofft, dass nicht Goebbels, sondern die Alliierten kommen.

Von Meike Feßmann

Eine Menge Kulissenschieberei und Budenzauber veranstaltet dieser Roman, der sich wie das Skript zweier ineinanader geschobener Drehbücher liest. Im September 1944 versammelt der Regisseur Konrad Eisleben einen Trupp von Schauspielern im fiktiven Dorf Altenburg in der Heide, um die in Babelsberg zu riskant gewordenen Dreharbeiten eines Ufa-Films fortzusetzen. Im Auftrag des Propagandaministeriums soll der Film die Bevölkerung auf den Wiederaufbau nach dem Krieg einstimmen. Die Premiere ist für den 1. Mai 1945 geplant, den Tag, den das Drehbuch als Tag der Verkündung des "totalen Siegs" durch Hitler und Goebbels vorsieht.

Doch Eisleben hat keine Eile. Er sieht die Dreharbeiten als Überwinterungsprojekt, um die zwangsverpflichteten Schauspieler vor dem Kriegseinsatz zu bewahren. Und er benützt die Zeit, um die "banale Siegestaumelschnulze", die vom Kriegsheimkehrer Hans Weimar erzählt, in einen Film umzumodeln, der als "weiße Fahne" für die Alliierten durchgehen kann.

Zwischen zwei Wirklichkeitsebenen, unterbrochen von kurzen Meldungen über die Etappensiege der Alliierten sowie von Goebbels-Zitaten - vom Schulaufsatz über die Dissertation bis hin zu Tagebucheintragungen -, springt Bernd Schroeder: zwischen den Szenen des Films und der im Verhältnis dazu realen Szenerie, dem Kriegswinter 44/45 in der Heide, mit all den Konflikten in der Filmcrew. Insbesondere zwischen Eisleben und seiner jungen Frau, der Schauspielerin Johanna Leise, geht es hoch her.

Als Ufa-Star mit Hollywood-Angeboten ist sie bessere Rollen gewöhnt als die Rolle der Hilde Weimar, dem vom besten Freund ihres Mannes schwangeren Hausmütterchen, das dem Kriegsheimkehrer den in seiner Abwesenheit gezeugten Familienzuwachs erklären muss. Je mehr Johanna die Biederkeit ihrer Rolle auf die Nerven geht, desto mehr rebelliert sie gegen ihren Mann. Sie korrigiert seine Regieanweisungen, erfindet andere Dialoge und will sich nicht als Sekretärin einspannen lassen. Lange verschweigt sie ihm ihre Schwangerschaft. Als er die Geburt unbedingt filmen will, ebenso wie zuvor die Leiche des bei einem Bombenangriff getöteten Regieassistenten, zweifelt sie an seinem Verstand.

Der dramaturgische Bogen, der einen möglichen Auftritt von Goebbels als Spannungselement bemüht, ist ein wenig schlapp gespannt, auch die angestrengte Beckett-Analogie entpuppt sich als Windei. Die Ehekämpfe sind noch das vitalste Element des Romans. Der Schriftsteller und Drehbuchautor Bernd Schroeder, bekannt als der Immer-noch-Gatte von Elke Heidenreich, mit der er zwar über "Alte Liebe" schreibt, aber nicht mehr zusammenlebt, schlägt in "Warten auf Goebbels" viel zu viele längst geschlagene Schlachten.

Sprachlich kann man zwischen Propaganda-Drehbuch und realer Szenerie kaum unterscheiden. Nicht umsonst enthält der Roman eine Besetzungsliste, die dem Leser die Zuordnung erleichtert. In einer Mischung aus Schmierentheater und Endzeitposse droht das Interessante des Stoffes zu verdampfen. Allerdings ist der Roman ohnehin ein zweiter Aufguss. Denn der Stoff, den Schroeder durch geringfügige Modifikationen fiktionalisiert, um ihn dann im Duktus eines grotesken Dokumentarromans darzubieten, wurde von Hans-Christoph Blumenberg in den 1990er-Jahren recherchiert und unter dem Titel "Das Leben geht weiter. Der letzte Film des Dritten Reichs" zu einem Buch und später zu einem Film verarbeitet.

Wolfgang Liebeneiner, seit 1942 Produktionschef der Ufa, heute nicht mehr ganz so bekannt wie Veit Harlan, aber weit geschmeidiger in die Nachkriegskarriere geglitten, verbirgt sich hinter Konrad Eisleben. In Johanna Leise kann man unschwer Hilde Krahl erkennen. Bernd Schroeder hat sie ebenso verfremdet wie Heinrich George und Marianne Hoppe, die gleichfalls in dem verschollenen Film "Das Leben geht weiter" mitgespielt haben. Natürlich darf man einen historischen Stoff immer wieder neu bearbeiten. Die Mischung zwischen Fiktionalisierung und Dokumentation leuchtet in "Warten auf Goebbels" aber ebenso wenig ein wie der Verzicht auf eine eigene Sprache. Bernd Schroeder hat sich allzu sehr auf das Gewicht eines Stoffes verlassen, der ihm unter den Fingern zerrinnt.

© SZ vom 06.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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