Waldschlößchenbrücke Dresden:Die Brücke am Fluss

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Zerstörte Kirchen, verrußte Ruinen, verdreckter Fluss - Schönheit kann auch entstehen, wenn der Mensch eingreift. Warum sollte er dazu nicht eine Brücke bauen dürfen?

Th. Steinfeld

Es sind die Augen, die das Hässliche wahrnehmen. Aber die Empfindung des Hässlichen fährt in die Beine. Wer je durch ein zeitgenössisches Industriegebiet ging, kennt dieses Gefühl: Schwer werden die Glieder, die Füße wollen nicht voran, und beinahe jede Strecke wirkt unüberwindlich. Schrecklicher sind, in Friedenszeiten wenigstens, nur die zerstörten Flächen, die Tagebau und Steinbrüche hinterlassen, große Wüsteneien, in denen die Haut der Erde bis auf die Knochen aufgerissen ist.

Flüsse und Brücken gehören zusammen, auch im Dresdner Elbtal. (Foto: Foto: AP)

Hässlichkeit - das ist geraubter Raum, den man gleichwohl durchmessen muss. Die schöne Landschaft umgekehrt ist an die Erfahrung ihrer Begehbarkeit gebunden. Sie ist offen, aber gegliedert, kennt das Gehölz und den geschwungenen Weg, den Hügel und die Biegung, sie setzt den gestauten Blick voraus, sie hält die Balance zwischen Natur und Zivilisation, sie gehorcht in jeder Hinsicht dem mittleren Maß. Zu den vielen schönen Landschaften, die es in Deutschland gibt, gehört das Tal der Elbe bei Dresden.

Totalitäre Idee

In dieser Woche berät eine Kommission der Unesco darüber, ob diesem Tal der Status eines Weltkulturerbes abzuerkennen sei. Eine neue Brücke, mit deren Bau entgegen allen Bedenken längst begonnen wurde, soll bald das Tal überqueren und den in seiner Schönheit unendlich oft dokumentierten Blick über Fluss und Auen stören. Aber ist das Elbtal an dieser Stelle tatsächlich weniger schön, wenn eine Brücke hindurchführt? Muss der Blick über die Biegung des Flusses, wie ihn der Maler Bellotto um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts festhielt, allen Spätergeborenen Maßstab und Muster sein? Vermutlich gibt es gute Argumente dafür, an der historischen Perspektive festzuhalten und den Eingriff in etwas einzigartig Schönes zu bestrafen.

Einfach aber kann die Begründung nicht sein. Das Komitee muss sich in diesem Fall sehr genau überlegen, welchen Blick es da und aus welchen Gründen bewahrt haben will. Denn die reine, unduldsame Idee des Denkmal- und Landschaftsschutzes, also das schlichte Verlangen nach Beibehaltung historischer Zustände angesichts immer schneller voranschreitender Veränderung führt hier nicht weit, in diesem Fall weniger noch als sonst. Sie wird schnell totalitär.

Die Kommission muss, wenn man ihrer Entscheidung soll folgen können, eine Vorstellung von gebändigter Natur und kultureller Überlieferung entwickeln und auch davon, welche Rolle die Geschichte in ihren Vorstellungen zu einem Ensembleschutz spielt. Sie muss erkennen lassen, dass sie sich das Elbtal, seine Ästhetik und seine Historie sehr genau angeschaut hat.

Inbild des Schönen

Die Landschaft, als Inbild des Schönen, erscheint zwar als etwas Unwandelbares. Aber das ist ein Irrtum: Ihre Gestalt muss unablässig neu der Natur abgerungen werden, und auch die Uferlandschaften der Elbe wären bald versumpft und überwuchert, würden sie nicht in einem Zustand erhalten, der allen Beteiligten deutlich vor Augen zu stehen scheint und der doch nicht nur zeitloses Muster, sondern auch künstlichen Stillstand bedeutet.

Und selbstverständlich gehen in diesen Zustand der Landschaft materielle Voraussetzungen ein, die in der Beschwörung des Ideals nie zur Sprache kommen: vor allem der Umstand, dass die Auen und wohl auch die Hänge mit ihren Weinbergen über lange Zeit hinweg Zonen von niedriger Rentabilität darstellten, sich also eine intensivere ökonomische Nutzung nicht lohnte. Und was wäre mit der Elbe bei Dresden und ihrer Schönheit, hätte nicht ein zu allem Möglichen entschlossener Barockfürst den Plan gefasst, seine Hauptstadt in ein Zentrum auch einer ästhetischen Großmacht zu verwandeln?

Aber noch in einer anderen Hinsicht erscheint die Schönheit der Landschaft als etwas Stillgestelltes, das einer permanenten Veränderung abgerungen wird: Wirkt der Zauber der norditalienischen Innenstädte nicht wie ein Ausgleich für die Verwüstungen, die eine entfesselte Industriekultur in den Vorstädten und Ebenen anrichtet? Ist die Piazza della Signoria in Florenz nicht längst Ausgleich und Wiedergutmachung für Millionen von kastenförmigen Stahlbetonbauten im Arno-Tal?

Manifeste der Naturbeherrschung

Das gilt um so mehr, als es dabei offensichtlich nicht um die Schönheit geht, die aus Armut oder Kargheit entsteht, sondern um etwas Gewolltes, im Grunde Luxuriöses - um etwas, das man sich leisten kann und will, weil man auch über die Mittel zu seiner Erhaltung verfügt. Auch die Altstadt von Dresden ist etwas solchermaßen Stillgestelltes, wobei das Innehalten hier sogar die Rekonstruktion eines Zustands enthält, der eigentlich schon als unwiederbringlich verloren gelten musste.

Doch die zerstörten Kirchen, die verrußten Ruinen, der verdreckte Fluss - es ist alles wie ungeschehen gemacht, unglaublich alt und unglaublich neu zugleich, und der Gang durch die Vorstädte und Industriegebiete quälender denn je. Ist es das neue Alte, das die Unesco für alle Zeiten schützen will? Aber würde es ohne sein hässliches Gegenüber überhaupt existieren?

Hässlichkeit ist eng an Gewalt gebunden. Und doch ist nicht alles, was gewaltsam errungen erscheint, notwendig unansehnlich. Brücken zum Beispiel sind oft Manifeste der Naturbeherrschung, und immer stellen sie ein ästhetisches Risiko dar, denn sie verbinden Ufer, und kein Element der Landschaft ist, in den Kategorien der Schönheit betrachtet, sensibler als solche Flächen, in denen Land und Wasser einander berühren.

Versehrungen, die am Übergang zum Wasser geschehen, rühren heftiger an als Zerstörungen von Bauten oder gar von Landschaften. Jede Brücke stört daher eine als virulent empfundene Balance, einen wackligen Frieden. Doch gehören Flüsse und Brücken zusammen, auch in landschaftlich und historisch geschützten Gebieten. Und alles, alles wäre hier eine Frage der ästhetischen Begründung - und der Begehbarkeit, die jede Lösung besitzen müsste.

© SZ vom 24.06.2009/kar - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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