Wahlerfolg der Piratenpartei:Aller Welt Feind

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Illegale Downloads als Wahlprogramm: Wie der Skandal um die Internet-Tauschbörse "The Pirate Bay" zum bemerkenswerten Erfolg der Piratenpartei beigetragen hat - nicht nur in Schweden.

Thomas Steinfeld

Vor etwa zwei Wochen, als sich abzeichnete, dass die Piratenpartei bei den Wahlen zum Europäischen Parlament einen Erfolg erzielen könnte, hörten die alten Parteien in Schweden auf, den politischen Zusammenschluss der Raubkopierer zu bekämpfen. Plötzlich war nicht mehr von Autorenrechten und Diebstahl die Rede. Statt dessen hieß es, das Urheberrecht sei nicht mehr zeitgemäß, es gebe da einen erheblichen Handlungsbedarf.

Bei der Europawahl in Schweden erreichte die Piratenpartei 7,1 Prozent der Stimmen - darunter hauptsächlich Männer unter dreißig. (Foto: Screenshot: http://piratenpartei.de)

Offenbar ahnte man schon, was dann tatsächlich eintrat: Dass die jungen Wähler für die Piratenpartei stimmten, die Männer vor allem, und zwar so viele, dass, würden nur die Wähler unter dreißig erfasst, die Piraten wenn nicht den größten, so doch den zweitgrößten Verein stellten. In Schweden erreichte die Partei in der Wahl eine Quote von 7,1 Prozent der Stimmen und darf nun wohl eine kaum einundzwanzigjährige Wirtschaftsstudentin als Abgeordnete nach Brüssel schicken. Und immerhin entschieden sich selbst in Deutschland, auch hier in einer das Maß des Erfolges übersteigenden Stimmung von Aufbruch und nahem Sieg, über zweihunderttausend Menschen für die Piraten.

Seltsam, und das alles wegen des Rechts, unbeobachtet im Internet herumstöbern und illegal Programme, Musik oder Filme kopieren zu dürfen, also eine Lizenz zum Diebstahl zu erhalten? Wenn das, was man stiehlt, legal erworben nur ein paar Euro kostet? Und das alles in Schweden, in einem friedlichen, ordentlichen, gesetzestreuen und von großem Gemeinsinn geprägten Land - mit einem, zugegeben, sehr hohen technischen Standard? Nein, wie immer, wenn es in einer politischen Auseinandersetzung nur um einen Punkt gehen soll und immer mehr soziale Energie in diese einzelne Frage hineinschießt, steht ein gesellschaftliches Anliegen von größerem Ausmaß zur Debatte.

Vorhut neuer Mächte

Es ist nur so, dass die alten Konfliktlinien zwischen linker und rechter Gesinnung sich hier verschoben haben: Wie so oft geht es um Freiheit versus Eigentum, nur dass sich dieses Mal der entfesselte Liberalismus mit dem Aufstand wider das Kapital verbindet. Und es gäbe dieses fast schon absurde Vertrauen in die Bedeutsamkeit dieses Gegenstands - der persönlichen Freiheit im Internet - nicht, wenn nicht gleichzeitig ein Bewusstsein davon existierte, wie viel persönliche Integrität jeder einzelne Menschen für den universalen digitalen Datenverkehr preisgeben musste. Die Revolte hat sich den Punkt, an dem sie sich entzünden wollte, also mit Bedacht gewählt.

Die Symbolfigur dieser Partei ist der Pirat, ihr Banner zeigt das schwarze Segel. Tatsächlich verbindet diese Partei mehr mit der Piraterie, als ihr selbst lieb sein mag. Nicht nur dass ihr Bewusstsein fehlt, etwas Verbotenes zu schützen und zu befördern. Mehr noch, sie inszeniert den Aufstand der Besitzlosen gegen Reichtum und Macht.

Das Internet ist ihre karibische See. Darauf kreuzen die mit teurer Fracht beladenen Lastschiffe, die der spanischen Krone gehören - aber der Pirat, ein notorischer Verlierer, der sich in einen Gewinner zu verwandeln trachtet, erkennt die herrschenden Eigentumsverhältnisse nicht an. Er will sie, in einzelnen Portionen wenigstens, zu seinen Gunsten verändern. Und selten genug kann er daraus einen persönlichen Vorteil ziehen: Als die vier führenden Köpfe des mit der Partei verschwisterten Internet-Portals "Pirate Bay" vor zwei Monaten wegen "Beihilfe zur Verletzung des Urheberrechts" verurteilt wurden, wurde auch ein Schadenersatz von fast drei Millionen Euro fällig. Keiner der Piraten war zahlungsfähig.

Computergestützte Wissensgesellschaft

Das Grundrecht auf kostenlosen Zugang zu allen digital zugänglichen Dokumenten, für die auch im Internet ein Anspruch auf Urheberrecht erhoben wird, scheint ein sehr schmales Parteiprogramm zu sein. Aufgerufen ist darin offenbar zunächst nicht der Bürger, sondern der Konsument, der auf seiner persönlichen Integrität besteht und sich die Freiheit der Wahl vorbehält. Politisch betrachtet, vom Standpunkt eines entwickelten sozialen Bewusstseins aus, erscheint diese Haltung kleinlich und eigensinnig - würde nicht, in jeder Veröffentlichung der Piratenpartei, in jeder öffentlichen Äußerung eines ihrer führenden Köpfe, sofort die Verbindung zur computergestützten "Wissensgesellschaft" geschlagen. Da nimmt sich jemand selbst als entscheidende Modernisierungsinstanz als Bannerträger einer neuen Macht wahr. Und so wird die Partei zumindest in Schweden von ihren Konkurrenten auch wahrgenommen.

Deswegen sind die Piraten am Ende dann doch mehr als eine Partei mit nur einem Anliegen. In ihr hat sich eine Ahnung von Zukunft niedergeschlagen. Schließlich aber, da kann man gewiss sein, wird es den Piraten im Internet so ergehen wie ihren Vorbildern in der Karibik. Denn wenn die Piraten im siebzehnten Jahrhundert ihre Verstecke verließen und gegen die alte Macht segelten, so taten sie das mit Kaperbriefen der Engländer oder Franzosen.

Sie bildeten, jenseits der Legalität, die schwache Vorhut der neuen Seemächte, und sie taten das solange, wie die Engländer und Franzosen jede noch so kleine Niederlage der Spanier höher schätzten als die Sicherheit des Seehandels. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts die Seeräuber aus ihrem letzten Schlupfloch vertrieben waren. Nur - wo sind die neuen Seemächte im Internet?

© SZ vom 09.06.2009/bey - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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