Wagners Urenkelin im Interview:Kinder, schafft Neues!

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Nike Wagner warnt vor geistloser Selbstvermarktung á la Paris Hilton, spricht über dynastische Ansprüche und die Zukunft der Bayreuther Festspiele.

Wolfgang Schreiber

Kurz vor Beginn der Bayreuther Festspiele sind die Spekulationen um deren Zukunft voll entbrannt. Dabei geht es hauptsächlich um die Nachfolge des 87-jährigen künstlerischen Leiters Wolfgang Wagner und um die Chancen seiner 29-jährigen Tochter Katharina, die ihm in der Festspielleitung nachfolgen will. Ihre "Meistersinger"-Inszenierung, die in der nächsten Woche Premiere hat, wird die Diskussion weiter anreichern. Unterdessen meldet sich ihre Cousine Nike Wagner zu Wort, die das Kunstfest Weimar "Pèlerinage" leitet und in der Vergangenheit mit klaren Bayreuth-Ambitionen angetreten war.

Urenkelin Richard Wagners und Ur-Urenkelin von Franz Liszt: Nike Wagner. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Sind Sie noch immer, wie vielfach behauptet wird, eine "Kandidatin" für die Festspielleitung von Bayreuth in der Nachfolge Ihres Onkels Wolfgang?

Nike Wagner: Das ist eine komplizierte Angelegenheit. Das Interesse an Bayreuth selbst wird immer bleiben. Bayreuth gehört nun einmal zu meinem Erbe, in der Villa Wahnfried bin ich aufgewachsen. Werden die Festspiele künstlerisch aufregend und klug geführt, bin ich völlig happy - egal, von wem sie geleitet werden. Mit meiner Aufgabe in Weimar, meiner anderen Kultur-Heimat, hat sich mein Bayreuth-Interesse ohnehin auf angenehmste Weise relativiert. Bei meinem Festival in Weimar werden Dinge weitergedacht, die durchaus auch für Bayreuth interessant sein könnten, eine Ausweitung der Kunstzonen, die Verbindung von Raum, Sound, bildender Kunst, Tanz, Musik und Medien.

SZ: Weimar ist nicht Bayreuth. Wie sehen Sie die heutige Situation der Festspiele in Anbetracht des hohen Alters von Wolfgang Wagner?

Wagner: Ach, wissen Sie, so ein eingefahrener Betrieb mit den immer gleichen Stücken hält sich lange, auch wenn keiner ihn mehr "führt". Denken Sie an den Seeräuber Störtebeker, der auch ohne Kopf noch lange vor seiner Mannschaft entlangtorkelte! Ob mein Onkel noch führt oder längst geführt wird, wer will das entscheiden? Das Festspielhaus ist nach außen hin dicht. Aber im Ernst: Die aktuelle Situation ist hochgradig gefährlich. Gefährlich, weil die Chance auf einen wirklichen Neubeginn verspielt werden könnte. Gefährlich, wenn die Diskussion um die Nachfolge nicht öffentlich gemacht wird und man sich nicht den Rat der fähigsten Köpfe holt. Gefährlich, wenn man sich jetzt nicht Zeit für eine reife Entscheidung nimmt, sondern meint, alten Geist in junge Schläuche füllen zu können.

SZ: Sie meinen damit die Kandidatur Ihrer Cousine Katharina Wagner?

Wagner: Sie merken aber auch alles.

SZ: War ja nicht schwer zu erraten. Sie sehen im Stiftungsrat die bestimmende Institution. Wie muss er sich in der vielleicht schon bald anstehenden Nachfolge-Entscheidung verhalten?

Wagner: Der Stiftungsrat muss die Courage haben, etwas zu wollen von Bayreuth. Er muss Verantwortung nicht nur dem Werk gegenüber, sondern der Essenz des Wagnerschen Denkens gegenüber entwickeln: Kinder, schafft Neues! Das muss anders aussehen, als nur für Ruhe und Ordnung zu sorgen, für das Weiterlaufen des Betriebes und die Selbstfeier der Nation. Er darf gerne auch seine Fixation an dynastische Kontinuitätsträume ablegen und mündig werden.

SZ: Wie beurteilen Sie die Kräfteverhältnisse im Stiftungsrat?

Wagner: Bayern und der Bund sind die Löwen im Stiftungsrat. Bayern ist der Institution historisch und emotional weit näher und wird sich besonders engagieren müssen bei der Erstellung intelligenter, vom medialen brainwashing möglichst unabhängiger Nachfolge-Kriterien. Wir stehen in der Tat vor einer Weichenstellung für die Zukunft.

SZ: Wo lauern die Probleme für die Bayreuther Festspiele der Zukunft?

Wagner: Problematisch werden solche Festspiele, wenn sie sich politisch vereinnahmen lassen, oder wenn das rigorose Kunst-Konzept dem Betrieb überantwortet wird und eine geistlose Selbstvermarktung überhand nimmt. Dazu gehört vor allem das typisch Wagnersche - oder inzwischen verwaltungstechnische? - Besitzdenken: Wir haben das Haus, wir haben die Werke, was kann uns schon passieren? Historisch problematisch wird es dann, wenn die Anforderung an ein permanentes inhaltliches Neudenken, Neusehen, Neuhören der Werke nur im Sinne von Eventkultur und forcierter Zeitgeistigkeit gehandhabt wird, statt die Wagnerschen Ideen verantwortlich weiterzudenken, in unsere Zeit hineinzusprengen, mit den Mitteln von heute das Gesamtkunstwerk weiterzuführen.

SZ: Bei Ihrer Kandidatur in den vergangenen Jahren wollten Sie die Bayreuther Festspiele in ihrer Struktur und ihrem inhaltlichen Angebot verändern. Warum überhaupt? Und wohin sollte es nach Ihren Vorstellungen gehen?

Wagner: Eine Strukturveränderung wird ohnehin kommen. Es wird sicher eine "echte" GmbH geschaffen und ein Geschäftsführer von Staats wegen eingesetzt werden, und es werden normale Intendantenlaufzeiten eingeführt werden. Mehr noch geht es aber um inhaltliche Erweiterungen, andere Wagner-Bühnen haben Bayreuth ja längst den Rang abgelaufen. Bayreuth braucht eine neue Dramaturgie und kann sich da auch einiges erlauben. Frau Cosima, die den Spielplan erstellt hat, ist bekanntlich längst verblichen! Bei der oberfränkischen Posse des Kandidaten-Vortanzens von 1999/2001 habe ich einen ziemlich detaillierten Plan für die inhaltliche Neuorientierung in Bayreuth ausgearbeitet. Dieses Papier liegt dem Festspielhaus vor, und es ist ein schöner Lohn meiner Bemühungen, dass sich meine Cousine Katharina daraus bereits bedient, wenn ihr die leidige Frage nach einem "Konzept" gestellt wird.

SZ: Was müsste geschehen, um die Bayreuther Festspiele auch für junge Generationen interessant zu machen?

Wagner: Paris Hilton holen? Harald Schmidt über die Szene laufen lassen? Wagner-Lightshows auf den Wiesen und Bratwurst umsonst? Verzeihen Sie, aber ich halte die Jugend, wenn sie sich überhaupt für Kunst, Musik und Theater interessiert, für schlau genug, um selber auf Wagner zu kommen. Man muss ihr nicht immer alles häppchenweise heran- und hinterhertragen. Die Vermittlungsprobleme bei anderen Komponisten sind weit größer als bei Wagner.

SZ: Was muss der Mann oder die Frau an der Spitze der Bayreuther Festspiele mitbringen, um dieses Festival sinnvoll und erfolgreich zu leiten?

Wagner: Nehmen wir die unverfängliche männliche Figuration: Er muss langjährige Opern-, Theater-, Kunsterfahrung mitbringen, muss sich international umgetan haben, offenen Geist, Phantasie, künstlerische Sensibilität und eine Portion Verrücktheit haben - und den Mut, gegen den Mainstream zu arbeiten. Von Wagner sollte er auch was verstehen, von den Werken wie von der Historie. Aber nicht nur von Wagner, sonst versteht er auch von Wagner nichts.

SZ: Ist es überhaupt nötig, dass ein Wagner-Familienmitglied die Bayreuther Festspiele leitet?

Wagner: Wie dringlich ist die Erfüllung unserer royalistisch-dynastischen Wunschträume? Wie sehr überwuchert unsere Gen-Romantik die Dringlichkeit einer wirklich kompetenten Leitung der Festspiele? Wir sollten eher staunen, dass es dank vieler historischer und biographischer Zufälle möglich war, das Festspielunternehmen so lange in Familienhand zu halten und dass in Wieland Wagner noch einmal ein Künstler dabei war. Jetzt muss der "Eignungsparagraph" der Stiftungssatzung ernst genommen und genauer definiert werden. Nicht noch einmal darf einer, nur weil er Wagner heißt, sich die Lizenz zuschustern, in Bayreuth auch künstlerisch tätig zu sein. Der Corpus Bayreuth verdirbt nicht, wenn Fremdblut in seine Adern gepumpt wird. Haus, Festspielkonzept und die musikalisch-theatralische Qualität der Wagnerschen Werke bürgen dafür: Bayreuth geht so leicht nicht unter.

SZ: Aber wo bleibt dann die Familie Wagner?

Wagner: Um der Einmaligkeit von Bayreuth und seiner Familiengeschichte gerecht zu werden - meinetwegen auch um des lieben Marketings willen -, soll den Nachkommen Wagners eine repräsentative Funktion eingeräumt werden. Ich empfehle die Form der konstitutionellen Monarchie, sie hat sich nicht nur in England bewährt. Allen wäre damit geholfen, sowohl die gesellschaftlichen als auch die familiären Zwangsvorstellungen würden sich auflösen, und "Bayreuth" könnte endlich - mit Blick auf die Zukunft - weitergedacht werden.

Nike Wagner ist die Urenkelin Richard Wagners und durch dessen Frau Cosima die Ur-Urenkelin von Franz Liszt. Die 1945 geborene Tochter Wieland Wagners wuchs in Bayreuth auf, studierte Theater-, Musik- und Literaturwissenschaft, promovierte über Karl Kraus und setzte sich in Vorträgen und Büchern mit dem Werk Richard Wagners auseinander. Seit 2004 leitet sie das Kunstfest Weimar "Pèlerinage"

© SZ vom 16.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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