Vorschlag-Hammer:Unbesiegbarer Charme

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Wer Hamburg vor allem als Hauptstadt des Nieselns kennt, wird in diesem Sommer eines besseren belehrt. Schöner, weltstädtischer und großzügiger kann die Hafenstadt derzeit kaum wirken

Kolumne von Harald Eggebrecht

Reisen tut gut, plötzlich sieht die Welt anders aus als gewohnt, auch wenn es nur eine Woche Aufenthalt in Hamburg sein mag. Wer die Stadt vor allem als Hauptstadt des Nieselns kennt, wird in diesem Sommer eines besseren belehrt. Schöner, weltstädtischer, großzügiger kann die Hafenstadt kaum wirken. Also los: große Hafenrundfahrt mit dem stets spektakulären Anblick der Elbphilharmonie, noch dazu, wenn Industriekletterer von oben sich abseilen zum Fensterputzen. Wenn sie fertig sind, so die Einheimischen, müssen sie gleich wieder von vorne beginnen. Nebenbei fragt der Barkassenkapitän, ob auch Passagiere aus Bayern an Bord seien. Die betreffenden begrüßt er extra: "Willkommen in der Bundesrepublik Deutschland!" Recht hat er. Auch die Runde auf Binnen- und Außenalster erquickt bei solchem Strahlewetter. Und wer am Spätnachmittag hinaus nach Wedel an der Unterelbe fährt, kann erleben, wie Riesenschiffe und Passagierdampfer gemächlich vorüberziehen hinaus aufs Meer oder herein in die Stadt.

Dort gibt es die alte Laeiszhalle, deren großer Saal eine wunderbar warme, dichte Akustik hat, von der die "Elphi", nur träumen kann. Allerdings gleicht der kleine Saal eher einem Kino aus den Sechzigerjahren. Die Klimaanlage ließ sehr zu wünschen übrig, so dass Ivry Gitlis, dieser legendäre Geigenmeister von 95 Jahren beim Auftritt mit Martha Argerich das Podium betrat, die Augen verdrehte und "Luft" rief, "Luft für die Menschheit!" Dann erzählte er von einem Geiger, den alle geliebt hätten, Dirigenten, Orchester, Komponisten, "sogar Geiger!", von Fritz Kreisler, und spielte dessen "Liebesleid". Auch "Schön Rosmarin" bot Gitlis noch, so zart und zerbrechlich, seine Violine mit der Schnecke auf einem Podest abstützend. Es klang brüchig, aber doch von jenem unbesiegbaren Charme der Alten erfüllt, den diese Welt sonst so schmerzlich entbehren muss.

Wer was anderes als Opernfestspiele sucht, sollte am Freitag, 20. Juli, um 20 Uhr in die Kammerspiele gehen. Dort wird Friedrich Wilhelm Murnaus grandioser Stummfilm Faust von 1926 gegeben, und das Orchester Jakobsplatz München unter Daniel Grossmann spielt dazu die erhaltenen Teile der Originalmusik von Werner Richard Heymann.

© SZ vom 14.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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