Vorschlag-Hammer:The awesome Glockenspiel

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Wer Besuch bekommt, ist gezwungen, die eigene Stadt, in der jede U-Bahn-Fahrt längst mit verbundenen Augen zu bewältigen wäre, als Neugieriger zu betrachten

Kolumne von Christiane Lutz

Wenn Freunde aus den USA ihren Besuch ankündigen, muss man sich als Münchner Gastgeber plötzlich völlig neue Fragen stellen: Wo gibt es ein gutes Hotel in der Au? Welches sind die touristischen Attraktionen, die man tatsächlich besichtigt haben muss (Alter Peter) und welche sollten die Amerikaner erleben, auch wenn man sie selbst für bescheuert hält (Hofbräuhaus)? Wie viel Geschichte ist eigentlich zumutbar? In welchen Brauerein (weil "so authentic!") gibt es unterhaltsame Führungen auf Englisch? Überhaupt: Gibt es Führungen auf Englisch? Als ich zuletzt Besuch einer Freundin aus den USA hatte, führte ich sie zu den verborgenen Perlen Schwabings und buchte eine anspruchsvolle Hamlet-Aufführung in den Kammerspielen, sie sollte ja was Besonderes erleben. Sie ist eingeschlafen. Kein Wunder, sie versteht ja auch kein Deutsch. Am letzten Tag ihres Besuchs stolperten wir zufällig durch die Orlandostraße, da, wo die Fan-Shops der Fußballvereine liegen und diverse Touristen-Geschäfte aufblasbare Brezen und viel zu billige Dirndl verkaufen. Sie fragte beleidigt, warum ich das alles vor ihr verheimlichen wollte. Ich hatte keine Antwort. Sie kaufte Schnapsgläser und Feuerzeuge mit weißblauem Logo.

Wer Besuch bekommt, ist gezwungen, die eigene Stadt, in der jede U-Bahn-Fahrt längst mit verbundenen Augen zu bewältigen wäre, als Neugieriger zu betrachten. Man muss wieder zu dem Menschen werden, der verträumt auf den Fahrradweg tappst, ehe ihn ein Wildgewordener zur Seite klingelt. Zum "Da surfen welche! Wir müssen sofort anhalten!"-Menschen. Das ist gar nicht so leicht. Denn mit den Jahren stellt sich bei jedem Münchner ein gewisser Gewöhnungseffekt gegenüber der Schönheit der eigenen Stadt ein, gegenüber manchen Dingen auch große Genervtheit. Es gibt zum Beispiel keinen Münchner, der freiwillig das Glockenspiel betrachtet, falls er zufällig zur richtigen Zeit über den Marienplatz geht. Wahrscheinlich flucht er nur über die Touristen, die das Ganze mit ihrem Tablet filmen und im Weg rumstehen. Und dann hat er Besuch und muss plötzlich wieder stehen mit den Amerikanern. Gäste erinnern dich schmerzhaft daran: Auf deiner nächsten Reise bist du derjenige, der dumm im Weg rumsteht und mit dem Handy irgendwelche Attraktionen fotografiert.

Wer dieser Tage also Besuch aus dem Ausland hat, sollte dem eine schöne Zeit bereiten. Er kann natürlich mit den Gästen einfach in der Isar abhängen und sie über die Wasserqualität staunen lassen. Oder er führt sie mal auf die Alte Utting, das Bar-Schiff, das auf einer Brücke in Sendling steht und jetzt endlich, endlich geöffnet ist. Falls der Besuch Deutsch versteht, kann man mit ihm am Samstag, 18. August um 21.15 Uhr auch ins Open-Air-Kino am Olympiasee gehen. Dort ist die herrlich münchnerische Serie Servus Baby mit Josephine Ehlert, Genija Rykova und Teresa Rizos zu sehen. Wenn der Besuch dann unbedingt drauf besteht, kann man am nächsten Tag ja immer noch ins Hofbräuhaus zum Weißwurstfrühstück gehen.

© SZ vom 14.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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