Vorschlag-Hammer:Erwartungsgefahr

Als vor sechs Jahren beim Louis Spohr Wettbewerb für junge Geiger in Weimar ein neunjähriges Mädchen aus den Niederlanden unter anderem Telemann und Mozart darbot, glaubten die Juroren ihren Ohren nicht zu trauen

Von Harald Eggebrecht

Der Eindruck, den blutjunge Musiker machen können mit ihrer Frische und Unverbrauchtheit, ihrem Mut und Schwung, ihrer Naivität im besten Sinne und ihrer Virtuosität, ihrem Formverständnis und ihrer unerwartbaren Einsicht in den Sinn jener Musik, die sie spielen - dieser Eindruck wird gern mit dem Wort "Wunder" mystifiziert. Doch kommt es auch bei den sachlichsten Kritikern vor, dass sie eine bis dahin noch nie gemachte Musikerfahrung mit diesem Wort zu fassen suchen. Als vor sechs Jahren beim Louis Spohr Wettbewerb für junge Geiger in Weimar ein neunjähriges Mädchen aus den Niederlanden unter anderem Telemann und Mozart darbot, glaubten die Juroren ihren Ohren nicht zu trauen, so "wunder"bar frei, originell und urmusikalisch spielte Noa Wildschut. Wann immer sich jene Experten irgendwo sehen, wird daher nach der "kleinen Niederländerin" gefragt. Nun, die ist inzwischen 15 Jahre alt, die große Anne-Sophie Mutter hat sie gehört und in ihr Ensemble "Mutter's Virtuosi" eingeladen und als Stipendiatin in die Anne-Sophie Mutter Stiftung aufgenommen. Und Noa tritt auf, etwa am Sonntag (29. Mai) im Hubertussaal von Schloss Nymphenburg. Was damals reine Überraschung war über ein einmaliges Talent, sollte sich aber nicht in die so unsinnige wie gefährliche Erwartung verwandeln, es müsse wieder ein "Wunder" geschehen. Das kann bitter enttäuscht werden, weil die Entwicklung zum Beispiel ganz anders verläuft als vorgestellt. Wir sind also lieber freudig gespannt, einer phänomenalen Begabung bei ihren unter Umständen notwendig irritierenden Etappen auf dem Weg zur vollen Entfaltung zu folgen.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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