Vorschlag-Hammer:Die Reise ist das Ziel

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Kaum war der Kinematograf erfunden, schickten die frühen Filmproduzenten und Verleiher ihre Kameraleute hinaus in alle Länder und Regionen, um die ganze Welt abzubilden und visuell verfügbar zu machen

Von Fritz Göttler

Ferienzeit. Reisezeit. Im Filmmuseum gibt es dazu eine ausführliche Reisefilm-Retro, am Dienstag startet die Abteilung "Fantastische Reisen". Was im Grund etwas Tautologisches hat, im doppelten Sinn. Denn erstens ist jeder Film eine Art Reisefilm - kaum war Ende des 19. Jahrhunderts der Kinematograf erfunden, schickten die frühen Filmproduzenten und Verleiher ihre Kameraleute hinaus in alle Länder und Regionen, um die ganze Welt abzubilden und dadurch verfügbar zu machen, visuell. Und die Bilder, die sie von dort mitbrachten, hatten, zweitens, immer etwas Fantastisches, etwas Mythisches. Der Unterschied zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen war durch das neue Medium geschwunden. Am Dienstag läuft ein Film, der das aufs schönste dokumentiert, ein Glanzstück aus der Mythenfabrik Hollywood: Jason und die Argonauten, 1963, vom Trickmagier Ray Harryhausen, Regie Don Chaffey. Es ist ein liebevoll fabrizierter Exkurs mit allen möglichen griechischen Monstern, der allerdings in Italien gedreht wurde, weil dort die Bauten der Griechen besser erhalten waren als in Griechenland, und der in einem Kampf-Ballett zwischen den Argonauten und einer Horde Skelette endet, untermalt von der Musik des genialen Bernard Herrmann. Am Freitag gibt es die fantastischste Reise von allen, ein auf Miniturform verkleinertes U-Boot wird mit drei Mann und einer Frau Besatzung in die Blutbahn eines verletzten Mannes gespritzt, um von innen eine Operation durchzuführen: The Fantastic Voyage, 1966, von Richard Fleischer.

Am Sonntag ist dann ein Frauentag in der Reihe, Johanna d'Arc of Mongolia, 1989, von Ulrike Ottinger, mit Delphine Seyrig und Irm Hermann in der transsibirischen Eisenbahn, die immer weiter durch die Wälder kriecht und durch die Geschichte des ganzen Europas, und sich zu einer Erforschung des Zusammenhangs von Reisen und Erzählen entwickelt: "Der Film macht Zeichen", schrieb Frieda Grafe, "es gehen Signale hoch". Ein zweiter Zugfilm: Snowpiercer, 2013, von Bong Joon-Ho, nach dem berühmten Comic. Nach der - selbst verschuldeten - Apokalypse kurvt die Rest-Menschheit ziellos im Zug durch die Eiswüsten, die einzelnen Waggons fungieren wahrhaft als Klassengesellschaft. Stagnation und Mobilität fallen in eins.

Reisefilme auch außerhalb der Reise-Retro: Vor der Morgenröte von Maria Schrader folgt dem Schriftsteller Stefan Zweig (Josef Hader) und seiner Frau auf dem finalen Trip vor den Nazis nach Brasilien, in den Tod. In The Assassin von Hou Hsiao-Hsien ist die Reise einer Profikämpferin und -killerin im alten China, der fantastischste, schönste Film dieses Sommers, Kino als Reise. "Einen Film drehen", sagte François Truffaut, "das ist wie eine Postkutschenfahrt im Wilden Westen. Anfangs hofft man, es wird eine schöne Fahrt, sehr schnell fragt man sich dann, ob man überhaupt an seinem Zielort ankommen wird . . ."

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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