Vorbericht:Revolte, Rauch und freie Liebe

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Teilen sich Frau und Revolution: David Jakobs als Claude und Dominik Hees als Berger in "Hair". (Foto: Christian POGO Zach)

Das Gärtnerplatztheater feiert Premiere des Musicals "Hair", 47 Jahre nach der Münchner Erstaufführung

Von Karl Forster, München

Und dann kam die Polizei. Es passierte am 24. Oktober 1968 kurz nach 21 Uhr in der Brienner Straße 50, dort, wo heute das Volkstheater steht. Damals hieß das Bühnenhaus schlicht Theater an der Brienner Straße, und man beging die Premiere des Rockmusicals "Hair". Vieles hatte man schon gehört über die wilde Show vom Off-Broadway, wo am 17. Oktober '67 die Uraufführung stattfand, aber auch von den Proben zur deutschen Erstaufführung. Geschichten von Rainer Schöne, dem DDR-Flüchtling mit Band, der nun einen gewissen Berger spielen sollte, einen Fast-Bösen. Später machte er Karriere als Filmschauspieler in den USA. Oder von Jürgen Marcus, dem späteren Star des deutschen Schlagers, in der Rolle des Claude, eines Landeis im ach so bösen New York. Von Su Kramer gar mit dem hübschen Wuschelkopf. Alle drei waren in nicht immer schönster Beischlafharmonie verbunden. Als dann Berger & Kombattanten bei der Premiere kurz vor der Pause nackend auf der Bühne sangen, kam - tatü tata - die Polizei. Ob nun, bei der "Hair"-Premiere des Gärtnerplatztheaters, wieder Polizeieinsatz droht?

Es war natürlich ein Gag, hätte aber auch echt sein können, damals, als die Jugend überall begonnen hatte, außer Rand und Band zu geraten. Ohne dieses Phänomen hätte es "Hair" nie gegeben. Denn wer dieses Musical, das sich ja eigentlich jeglicher stringenter Handlung verweigert, als luftig-lustvolles Blumenkinder-Spektakel abtut, hat Amerikas finstere und brutale Geschichte von damals nicht verstanden. Er kann in Michael Herrs Reportagenroman "Dispatches" nachlesen, was die Präsidenten Johnson und Nixon der Jugend ihres Landes angetan haben. Und versteht dann die Gewissensbisse eines Claude Hooper Bukowski. Der ist hin- und hergerissen zwischen uramerikanischem Vaterlandsstolz und der Erkenntnis, dass dieser Krieg in Vietnam grausames Unrecht ist, aber auch zwischen der heilen Welt auf dem Land und dem wachsenden politischen Protest in der Großstadt New York, oder zwischen Sheilas naiver Liebe und Bergers Hass auf Einberufungsbescheide, so wie er, Claude, gerade einen bekommen hat.

Doch nicht nur Vietnam zerriss die Bevölkerung Amerikas. Im Frühjahr '67 war im Zeichen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung eine knappe halbe Million Amerikaner durch New York marschiert. Und Bertrand Castelli, der spätere erste Regisseur von "Hair", war schon beim Marsch aufs Capitol in Washington vier Jahre vorher dabei. Gerome Ragni und James Rado, die den Text schrieben, waren mehr Schauspieler als Autoren, politisch engagiert und bereit für Neues. Nur Galt MacDermot, der kanadische Komponist, war politisch eher neutral, hatte in Südafrika nur viel über Rhythmus gelernt und dann lange als Kirchenmusiker gearbeitet. Mit der letztlich unbekannt gebliebenen Komposition "African Waltz" schaffte er sogar eine Grammy-Nominierung. Eine Ehre, die seiner Musik in "Hair" nie widerfuhr.

Weil dieses Musical in seiner Grundform - 40 Songs zwischen marginaler Handlung - so disparat ist, und weil es nur in der grandiosen Verfilmung von Miloš Forman eine in sich konsequente und logische Geschichte gibt, stellt sie jeden Regisseur bei einer Neufassung vor zwei entscheidende Fragen: Bleibe ich beim etwas wirren, fast nur durch die Musik zusammengehaltenen Original? Oder wage ich, wie Forman, eine totale Neuinterpretation? Noch dazu ja die aktuelle politische Situation weder in den Staaten noch in Europa mit der damaligen vergleichbar ist. Identifikationsprobleme der Jugend? Zur Zeit gibt es andere. Aber ähnlich schlimme.

"Hair" ist zwar ein Rockmusical, hat aber mit Rock weit weniger zu tun als Webbers drei Jahre später erschienenes Opus primum "Jesus Christ Superstar" oder die "Rocky Horror Show" von Richard O'Brian. "Aquarius", der Einstiegssong, ist ein etwas verquastes lyrisches Geplapper, harmonisch klug, aber nur im Refrain zündend. Vieles dazwischen ist eher lapidar, abgesehen unter anderem vom groovigen "White Boys" oder der traurig feinen Ballade "Frank Mills". Grandios aber das Finale mit "The Flesh Failures" und dem berühmtesten "Hair"-Song "Let The Sunshine in", mit "Aquarius" in der Version der Fifth Dimension zum Welthit verschmolzen.

Und nun also das Gärtnerplatztheater. Gil Mehmert inszeniert, und Melissa King ist, wichtiger Bestandteil hier, zuständig für die Choreografie. David Jakobs hat auch als Claude schon Bühnenerfahrung, Dominik Hees spielte und sang vom Frank'n'Furter bis Buddy Holly schon viele große Musicalrollen, beide kennen sich aus "Das Wunder von Bern". Auch Bettina Mönch verfügt über viel Musicalerfahrung, die Sheila aber singt sie zum ersten Mal. Es wird sich zeigen, wie die Revolte der Jugend gegen Krieg und Konventionen in der Reithalle zündet, wie es sich hier lebt mit freier Liebe, süßen Rauchwolken und in bunten Kleidern.

"Hair", Premiere Do., 25. Febr., 19.30 Uhr, Ensemble des Gärtnerplatztheaters, Reithalle, Heßstr. 132

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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