Vor der Oscar-Verleihung:Spiel der Gangster und Gendarmen

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In der Königsklasse des besten Films aber herrscht vor der vor der 79. Verleihung der Academy Awards eine Ratlosigkeit wie noch selten zuvor.

Tobias Kniebe

Gleich drei Filmen wird zugetraut, eine Mehrheit zu mobilisieren, Wettbüros und Expertenpanels verteilen ihre Einsätze nahezu gleichmäßig. Und bevor man im Einzelnen untersucht, welche Modelle des Filmemachens hier auf dem Prüfstand stehen, gilt es diese Unsicherheit als Symptom zu begreifen: Hier muss eine doch recht verschworene Gemeinschaft von Kreativen entscheiden, wie wichtig sie die eigenen Ambitionen nimmt - gerade auch im Angesicht eines Publikums, das zunehmend desinteressiert mit den Schultern zuckt.

Die Harmonie ist vorbei

Voriges Jahr schien alles noch viel klarer: Da wurde leidenschaftlich über schwule Cowboys und urbane Rassenkonflikte diskutiert, ein neues soziales und politisches Bewusstsein in Hollywood, perfekt symbolisiert durch George Clooney, traf auf kriegsmüde und politikverdrossene Massen, die liberale Ideen begierig aufnahmen.

Dieser kurze Moment der Harmonie, wenn er denn real war, ist vorbei. Die Filmindustrie zeigt sich nach wie vor von Politik bewegt - das Publikum aber strömt lieber scharenweise in Nonsens-Späße und Nostalgiebeschwörungen à la "Fluch der Karibik 2", "Cars" oder "Nachts im Museum". Weder "Fast Food Nation" noch "Flug 93", weder "Flags of Our Fathers" noch "Blood Diamond" gelang es, ihre politischen Botschaften auch nur annähernd erfolgreich an den Mann zu bringen.

Den Wählern der Academy ist in dieser Situation alles zuzutrauen. Die Oscar-Geschichte ist voll von opportunistischen Verbeugungen vor der Macht der Massen - aber genauso gibt es die Fälle, in denen das Volk souverän ignoriert wurde. Die Nominierungen halten sich beide Optionen offen: Die meisten Nennungen erhielt die populäre Musicalverfilmung "Dreamgirls", die tatsächlich das Kunststück fertigbrachte, die Geschichte der Motown-Musik ohne einen einzigen echten Motown-Song zu erzählen.

Erfolgswahn à la USA

Für die Wahl zum besten Film wurde dieses Werk dann auch gar nicht erst zugelassen. Stattdessen tauchte Clint Eastwoods Antikriegsfilm "Letters from Iwo Jima" auf, der unnachgiebig düster ist und auch noch in Japanisch gedreht wurde. Wollte sich die Akademie beweisen, wie konsequent sie an den Kinokassen vorbei entscheiden kann, wäre das natürlich ein sensationeller Gewinner.

Damit rechnet ernsthaft jedoch niemand. Als wirklich aussichtsreiche Kandidaten für die Best-Picture-Statue gelten Martin Scorseses Gangster-und-Gendarmen-Versteckspiel "The Departed", Alejandro Gonzalez Iñárritus Beschwörung einer globalisierten Nicht-Kommunikation in "Babel" - und als Überraschungsbewerber "Little Miss Sunshine" von Jonathan Dayton und Valerie Faris, ein herzergreifendes Plädoyer gegen verbissenen Erfolgswahn made in USA.

Da fällt die Wahl dann schwer: Sollte man auf Scorseses erfolgreichen Genrefilm setzen, der immerhin stellvertretend für ein Lebenswerk und für klassischen amerikanischen Realismus steht? Auf ein weiteres Multipersonen- und Multirassen-Stück mit politischen Obertönen? Oder gar auf ein Musterbeispiel des Dysfunktional-aber-glücklich-Familienstücks, das seit Jahren in der unabhängigen Filmszene Triumphe feiert?

Anders sieht es dagegen bei den Regisseuren aus - da wird Martin Scorsese endlich einmal als klarer Sieger gehandelt. Ebenso klar scheint die Lage bei den Darstellerinnen. Helen Mirrens rückstandslose Verwandlung in "The Queen" gilt als bombensichere Hauptrolle - sodass ihre Konkurrentin Dame Judi Dench gleich eine Knieoperation in London eingeschoben hat und zu Hause vor dem Fernseher bleibt.

Ebenfalls kaum angezweifelt wird Jennifer Hudsons Favoritenrolle bei den Nebendarstellerinnen. Sie spielt nicht nur in "Dreamgirls" das ewig missachtete Talent, auch im wahren Showgeschäft musste sie schon spektakuläre Niederlagen einstecken - eine der Lieblingsgeschichten der Academy.

Bei den Männern setzt die Mehrheit der Auguren auf Eddie Murphy als Nebendarsteller, der in "Dreamgirls" einen recht spektakulären Auftritt als James-Brown-Verschnitt hingelegt hat. Sein Ruf als ernsthafter Filmkünstler ist jedoch keineswegs gefestigt, außerdem ist er in Hollywood relativ unbeliebt - so könnte ihm der sexbesessene Opa aus "Little Miss Sunshine", Alan Arkin, noch gefährlich werden.

Trotz oder Gold?

Noch wilder wird über die Hauptrolle spekuliert: Da galt Forest Whitaker lange als uneinholbar, weil er in "The Last King of Scotland" ein ziemlich überzeugendes Porträt Idi Amins geschaffen hat. Auf der Zielgeraden aber werden auch Leonardo DiCaprio ("Blood Diamond") und sogar der greise Peter O'Toole ("Venus") immer häufiger genannt. O'Toole verzauberte mit einer späten Offensive die Talkshows - und ihn nicht zu wählen hieße auch, ihn zum achten Mal zu übergehen.

So wird sich am Sonntagabend, Entscheidung für Entscheidung, ein neues Stimmungsbild der Branche zusammensetzen, das auch jene Kategorie berührt, die den Deutschen auch dieses Jahr am Herzen liegt: den besten fremdsprachigen Film. Da ist zwar "Pans Labyrinth", Guillermo del Toros wunderbar bizarre Märchen-Monster-Tour durch den spanischen Faschismus, der bekannteste und in den USA auch erfolgreichste Film.

Falls sich der Abend aber mehr in Richtung "Babel" entwickelt, hin zu gewichtigen Statements zur Lage des Planeten, sehen einige auch Florian Henckel von Donnersmarck und sein "Leben der Anderen" vorn. Nicht nur er wird also verfolgen, ob Hollywood einmal mehr nur den eigenen Eskapismus vergoldet - oder trotzig auf der Fortsetzung einer politischen Mission beharrt.

© SZ vom 24.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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